Archiv


Prekäre Lage

Geologie. - Italien liegt langgestreckt wie ein Wellenbrecher mitten im Mittelmeer. Dass das Land mit den längsten Küsten Europas dabei Gefahr läuft, von Tsunamis getroffen zu werden, die an den gegenüberliegenden Küsten ausgelöst wurden, liegt auf der Hand. Italienische Geologen haben deshalb eine das gesamte Staatsgebiet abdeckende Risikoabschätzung vorgenommen.

Von Thomas Migge |
    "Wir wollten ganz grundsätzlich einmal herausfinden, welche konkreten Gefahren in punkto Tsunami für Italien bestehen. Bis jetzt gab es da nur einige wenige Untersuchungen, die nur partiell Auskunft gaben. Wir erstellten eine komplette Risikostudie”"

    Roberto Basili ist Geologe und Mitarbeiter des nationalen Instituts für Erdbeben- und Vulkanforschung in Rom. Zusammen mit Kollegen verschiedenster Disziplinen – Experten für Erdbeben, Mathematiker, Geologen, Physiker und Computerexperten – entwickelte er ein mathematisches Modell und eine Software, um die Ausmaße von Tsunamis im Mittelmeer zu errechnen. Dazu der an dem Projekt mitbeteiligte Mathematiker Alessio Piatanesi:

    "Tsunamis provozieren Gravitationswellen, die sich mit Gleichungen berechnen lassen, die wir seit Ende des 19. Jahrhunderts kennen. Neu ist, wie wir diese Daten heute auswerten, mit Computern, die aus den mathematischen Modellen anschauliche Simulationen machen. Für unsere Simulationen benötigten wir als Parameter die Geschwindigkeit der Wellen, die eventuelle Höhe der Wellen, wenn sie die Küsten erreichen"

    Geologe Piatanesi erforschte dafür jene Gebiete des Mittelmeers, für die es in den letzten 2000 Jahren dokumentierte Seebeben gibt. Die bei diesen Seebeben registrierten oder berechnete Wellenenergien setzten er und seine Mitarbeiter in Beziehung zur Nähe der italienischen Küsten. Basili:

    "Wir beschränkten uns bei dieser Forschung auf die italienischen Küsten, die die längsten ganz Europas sind. Ausgehend von den bekannten geologischen Realitäten errechneten wir die möglichen Gefahren, die von jenen Tsunamis ausgehen, die in diesem Unterwasser-Erdbebengebieten entstehen können, und setzten die Testergebnisse in Computersimulationen um”"

    Eine der Computersimulationen in den Laboratorien des nationalen Forschungsinstituts zeigt den so genannten hellenischen Bogen: eine aktive Erdbebenzone im südlichen Ionischen Meer, zwischen dem östlichen Sizilien, Malta, dem südlichen Kalabrien und Apulien einerseits und Griechenland bei Kreta anderseits. Eine Gegend, die 365 vor Christus von einem 8,4 auf der Richterskala messenden Beben heimgesucht wurde. Eine Katastrophe, die wohl schlimme Zerstörungen anrichtete. Die Computersimulationen der römischen Forscher zeigen deutlich, dass ein Tsunami in Folge eines neues Bebens der gleichen Stärke im Bereich des hellenischen Bogens in Italien an rund 1.200 km Küste ebenfalls größte Schäden anrichten würde. Roberto Basili:

    "Alle bisherigen Test-Simulationsverfahren beschränkten sich auf eine einzige Gegend, eine einzige Küste. Unser Modell stellte die Tsunamifolgen verschieden starker Erdbeben im gesamten Mittelmeerraum für alle italienischen Küsten dar. Dafür haben wir sämtliche bereits bekannte Daten zu den Unterwasser-Erdbebengebiete im Mittelmeer zusammengefasst. Daraus können wir Entwicklungsverläufe für mögliche Tsunamis zu erstellen"

    Neben dem hellenischen Bogen wurden für das Projekt die Erdbebenzone im südlichen tyrrhenischen Meer, zwischen Sardinien und dem westlichen Sizilien, und jenes Unterwassermassiv zwischen Spanien und Tunesien erforscht, das zum nordafrikanischen Atlasgebirge gehört. 2003 kam es hier zu einem Beben mit der Stärke 6,8 auf der Richterskala, das in Algerien und auf den Balearen für Überschwemmungen sorgte. Die Experten vom Zivilschutz wollten dabei herauszufinden, welchen Küstenabschnitte zukünftig besser vor möglichen Tsunamiwellen geschützt werden sollten.