Archiv


Premio Strega

Fünf Namen standen noch zur engeren Auswahl, darunter die Favoritin Melania Mazzucco mit ihrem Buch "Vita". Die Namen verliest Margareta Mazzantini, die glamouröse letztjährige Strega-Gewinnerin. Der Showmaster Bruno Vespa liebt attraktive Damen - er wollte mal sehen, ob sich mit Literatur nicht auch Einschaltquoten erzielen lassen, sagt er.

Von Michael Kadereit |
    Der Talkmaster selbst verkündet den Namen der Gewinnerin: Melania Mazzucco. Und entdeckt zu seinem Erstaunen, daß Italiens renommiertester Literaturpreis eine banale, wenn auch luxuriös verpackte Likörflasche ist: Vom Sponsor, dem Amaro-Hersteller Strega eben. Unter seinen applaudierenden Talkgästen neben Claudia Cardinale und Lina Wertmüller sitzen Schauspieler, Politiker, Verleger. Nur Lina Wertmüller hat das umfangreiche und nicht leicht zu lesende Buch der Mazzucco ganz durchgearbeitet, will vielleicht sogar einen Film darüber drehen: Wertmüller:

    Es ist ein wunderbares Buch, es führt einen in ein echtes Abenteuer des Lebens - zwei junge Leute in Amerika, erzählt die Geschichte wie New York damals war - faszinierend, bravo!

    Damals, das ist 1903. Tausende von Immigranten landen täglich auf Ellis Island und werden von New Yorker Einwanderungsbeamten überprüft, darunter die neunjähige Vita und der zwölfjährige Diamante, beide aus Tufo di Minturno irgendwo im tiefsten Mezzogiorno. Ein paar Dollar hat der Junge in der Unterhose versteckt, beide heißen Mazzucco, so wie die Autorin, sie entfaltet eine Lebens- und Liebesgeschichte.

    Die 37jährige Römerin Melania Mazzucco hatte vor dem Preisbuch "Vita" bereits drei Romane veröffentlicht und verschiedene Literaturpreise bekommen,war auch letztes Jahr schon für den Strega nominiert. Alle drei Bücher sind auch auf Deutsch erschienen: "Der Kuß der Medusa", "Das Turmzimmer" und "Die erschütternde Mutlosigkeit der reizenden A.S.". Dieses vorletzte Mazzucco-Buch ist eine sensible Einfühlung in das Leben der unglücklichen Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach, der langjährigen Freundin von Erika und Klaus Mann. Ähnlich wie dafür hat Melania Mazzucco für den neuen Roman tief in der Geschichte gegraben, diesmal der ihrer eigenen Familie. Mazzucco:

    Mein Onkel hatte mir einen Teil dieser Geschichte erzählt. Als ich beschloß, das Buch zu schreiben, ließ ich mir von ihm alles erzählen, was ihm sein Vater vor fast achtzig Jahren mitgeteilt hatte. Durch seine Erinnerungen, mit Hilfe von Archiven, Bibliotheken und dem was ich auf Dachböden fand, habe ich die Geschichte meiner Familie rekonstruiert, durch die Geschichte von Vita und Diamante. Ich habe versucht, dieses große Abenteuer, das Abenteuer des Lebens, mit ihren Augen zu sehen: Augen voller Naivität, Heiterkeit, Verzweiflung und Hoffnung. Die beiden hat es wirklich gegeben, Diamante ist der Vater meines Vaters.

    Man könnte das Ergebnis wohl Doku-Fiction nennen: Denn den atemlos ohne Punkt und Komma im Präsens geschriebenen Episoden von Vita und Diamante, Namen voller Hoffnung die es damals im Süden häufig gab, folgen immer wieder Einschübe mit der Geschichte der Autorin: Wie sie bei Recherchen um Annemarie Schwarzenbach in New York in Little Italy plötzlich in der Straße stand, von der ihr Onkel mal erzählt hatte, wie sie dann nach und nach die verdrängte Vergangenheit von Armut, Auswanderung nach Amerika und Rückkehr ihrer Familie nach Italien entdeckte und aufschrieb. "Vita" erinnert ein wenig an die Großstadtromane von Theodor Dreiser und John Dos Passos - epische Geschichten um den amerikanischen Traum, diesmal aus italienischer Sicht und mit Hauptpersonen, die es wirklich gab.

    Die Misere der illegalen Einwanderer, die heute täglich in Italien landen, schwinge auch ein bißchen mit, sagt Melania Mazzucco: Mit dem Immigranten-Abenteuer von Vita und Diamante möchte sie ihre italienischen Leser auch an das Schicksal ihrer Vorfahren erinnern, die vor hundert Jahren voller Illusionen an einer fremden Küste landeten.

    Link: mehr ...

    1478.html