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Pressefreiheit auf italienisch

Um Italiens Pressefreiheit steht es schlecht: Von 139 untersuchten Staaten landete Italien im neuesten Ranking der Organisation "Reporter ohne Grenzen" auf Platz 40. Die Ursache hat einen Namen: Silvio Berlusconi. Die Macht des italienischen Ministerpräsidenten und Medienzars ist so umstritten wie einzigartig in Europa. Kirstin Hausen berichtet.

19.05.2008
    Donnerstagabend. Auf RAI 2, dem zweiten Kanal des staatlichen Fernsehens, läuft "Anno zero", eine in Italien umstrittene Hintergrund-Sendung. Umstritten, weil kritisch. Zu kritisch für den Geschmack von Silvio Berlusconi, dessen Gerichtsprozesse auch schon Thema der Sendung waren.
    Der Moderator, ein untersetzter Herr mit grauen Locken, heißt Michele Santoro. Er symbolisiert wie kein anderer Journalist den Kampf gegen die Medienübermacht des neuen und alten italienischen Ministerpräsidenten. Denn aus seiner Kritik an Silvio Berlusconi macht Santoro keinen Hehl. Thema der Sendung vom Donnerstagabend: die außereuropäischen Einwanderer, die Angst der Italiener vor ihnen und die Ausländerpolitik der Regierung Berlusconi.

    Zu Wort kommen beide Seiten: wütende Anwohner und wütende Einwanderer, ein Regierungspolitiker und eine Anwältin, die Einwanderer verteidigt. Gesagt wird aber auch, dass die Situation, die heute von den Regierungsparteien als unhaltbar kritisiert wird, zum Teil von ihnen selbst verschuldet wurde. Denn sie verabschiedeten 2002 gegen die Stimmen der Opposition ein Einwanderungsgesetz, dass in der Praxis die illegale Einreise gefördert hat.

    Im Studio sitzt auch Marco Travaglio, ein Journalist, der seit einer Woche die Schlagzeilen beherrscht. In einem Fernsehinterview hatte er Renato Schifani, den neuen Senatspräsidenten, als "Freund der Mafia" bezeichnet. Ein Skandal, der sämtliche Politiker empörte.

    Der Skandal besteht aber nicht darin, dass der Senatspräsident früher die Versicherungsagentur Sikula Broker gemeinsam mit dem später verurteilten Mafiaboss Mandalà betrieb und dass er als externer Berater für den Gemeinderat von Villabate bei Palermo arbeitete, der dann wegen Mafiainfiltration aufgelöst wurde. Der Skandal ist, dass es jemand wagt, dies im Fernsehen zu sagen. Schifani will Travaglio jetzt wegen Diffamierung verklagen.

    "In Wirklichkeit will jemand das Klima des Dialogs und der Zusammenarbeit, das sich im Parlament entwickelt, vergiften. Ich muss jetzt den Preis dafür bezahlen, aber ich bin äußerst gelassen."

    Auf die Vorwürfe selbst geht der Senatspräsident Renato Schifani nicht ein. Das staatliche Fernsehen RAI, das das Gespräch mit Marco Travaglio live ausstrahlte, hat sich bereits öffentlich bei Schifani entschuldigt. Zur Genugtuung der Regierungsparteien. Aber auch Vertreter der Opposition haben diesen Schritt begrüßt. Niemand aus der Partei von Walter Veltroni hat Marco Travaglio verteidigt. Doch das ist der angefeindete Journalist bereits gewöhnt. Und es kümmert ihn nicht.

    "Ich bin Journalist, und mir ist egal, was die Politiker über mich sagen. Journalisten müssen über die Wahrheit informieren, und das habe ich getan."

    Marco Travaglio versteht sein journalistisches Handwerk, und er hat einen Berufsethos, der vielen italienischen Journalisten längst abhanden gekommen zu sein scheint beziehungsweise ausgetrieben wurde. Zensur ist gar nicht nötig, wenn bestimmte Themen von vorneherein ausgeklammert werden, weil die Journalisten Unannehmlichkeiten befürchten. Gleichzeitig ist ein Abstumpfen zu beobachten. Viele Italiener winken müde ab, wenn es um die nicht so weißen Westen der Politiker geht. Eine weiche Diktatur nennt das der Schriftsteller Nanni Ballestrini. Sie betreffe die gesamte Gesellschaft.

    "Wir sind schon länger, seit dem Beginn der Ära Berlusconi, in dieser Phase der Dekadenz. Travaglio hat etwas sagt, was nicht neu ist, was man nachlesen kann. Aber es liest niemand nach, weil es den Italienern gleichgültig ist. Im Gegenteil: wenn ein Politiker sich so verhält, dann ist er clever und wird auch noch bewundert. So wie Berlusconi, dessen Faszination auch daher rührt, dass er so viele Prozesse am Hals hat."
    Trotzdem mag es Berlusconi nicht, wenn über diese Prozesse in den Medien gesprochen wird. Bei seinen eigenen Fernsehkanälen genügt ein Anruf, um kritische Berichte zu unterbinden. Beim staatlichen Fernsehen RAI ist sein Einfluss noch nicht so direkt, aber trotzdem spürbar. In Italien besetzen nämlich die Regierungsparteien die Führungspositionen in der RAI mit ihren Wunschkandidaten. Und schon bald wird neu entschieden über diese Posten.