Seit Juli gilt in Hongkong das sogenannte Sicherheitsgesetz. Es erlaubt chinesischen Behörden Zugriffe in der Sonderverwaltungszone. Das wird das Leben in Hongkong wohl massiv einschränken.
Erst zu Beginn der Woche hatten Journalistinnen und Journalisten Hongkongs Verwaltungschefin Carrie Lam gefragt, ob sie garantieren könne, dass nach dem Inkrafttreten des Gesetzes weiterhin die Pressefreiheit herrsche. Daraufhin sagte sie, das könne sie nur, wenn Journalisten ihr "hundertprozentig garantieren" könnten, dass sie "keine Gesetzesverstöße" begingen.
Düstere Prognose
Das neue Gesetz ist schwammig formuliert und wird schon jetzt strikt ausgelegt. Im Interview mit @mediasres berichtet Cédric Alvianí von Reporter ohne Grenzen: "Ein Journalist, der in Hongkong von einer pro-demokratischen Demonstration berichtet, kann zum Beispiel eines Verbrechens beschuldigt werden."
Alviani ist Direktor des Ost-Asien-Büros von Reporter ohne Grenzen. Er befürchtet, dass die Pressefreiheit generell sehr unter Chinas Maßnahmen leiden könnte, wenn demokratische Staaten jetzt nicht eingreifen. Darüberhinaus wolle China weltweit versuchen, Einfluss auf Medien zu nehmen.
Das Interview im Wortlaut:
Allrogen: Können Journalistinnen und Journalisten in Hongkong noch ungehindert ihren Beruf ausüben?
Alviani: In der Tat gab es für Journalisten in Hongkong oder auch anderswo wohl noch nie ein Gesetz von solch einer Bedeutung wie jetzt das Nationalgesetz. Ein Journalist, der in Hongkong von einer pro-demokratischen Demonstration berichtet, kann zum Beispiel eines Verbrechens beschuldigt werden. Das Gesetz gilt für Journalisten, die in Hongkong arbeiten, aber auch irgendwo anders. Das heißt, wenn irgendjemand auf diesem Planeten etwas über Hongkong kommentiert, kann er an irgendeinem Tag damit konfrontiert werden, gegen das chinesische Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben. Und wenn diese Person dann nach China verreisen will und am Hongkonger Flughafen ist, kann sie dort verhört und verhaftet werden. In China wird immer noch die Todesstrafe verhängt. Das ist für Journalisten, die über Hongkong oder über China schreiben, egal aus welchem Land heraus sie das tun, erschreckend.
Allrogen: Und wie kann das neue Gesetz auf die Journalisten angewendet werden? Die Presse wird in dem Sicherheitsgesetz nicht direkt erwähnt; es ist, wie Sie sagen, auch ziemlich schwammig formuliert.
Alviani: Absolut. Normalerweise hat ein Gesetz ja zum Ziel, Kriminaldelikte anzuzeigen, um zu verhindern, dass sich solche Kriminalfälle überhaupt ereignen. Hier handelt es sich um ein Gesetz, dessen Ziel es nicht ist, Kriminaltaten aufzudecken. um eben zu vermeiden, dass sie sich ereignen, sondern man schafft einen Vorwand, um die politische Opposition bei der Pekinger Regierung abzustrafen. Also handelt es sich um ein sehr unklar formuliertes Gesetz, man kann es auf viele Bereiche ausdehnen und eben auch auf den Journalismus beziehen.
Allrogen: Man kann also sagen, dass Journalisten, die etwa über Demonstrationen berichten oder die Texte veröffentlichen, die das chinesische Regime kritisieren, Gefahr laufen, von der Regierung gerichtlich belangt zu werden? Man liest ja davon, dass es jetzt Leute gab, die festgenommen worden sind, weil sie ein weißes Plakat in die Höhe gehalten haben.
Alviani: Ja, das ist so. Diese weißen Plakate fallen nicht in die Kategorie Journalismus, aber das Gesetz ist eben so mehrdeutig, dass es sich auch auf den Journalismus anwenden lässt. In China weiß Reporter ohne Grenzen von 114 Journalisten, die inhaftiert worden sind, weil sie sich für die Meinungsfreiheit eingesetzt haben. Eine große Mehrheit davon, mehr als 80 Prozent, sind für einen der vier Fälle, die in dem Sicherheits-Gesetz genannt werden, verhaftet worden. Damit ist doch klar: Wenn China jetzt diesem Gesetz auch in Hongkong Gültigkeit verschafft, wird es dort zu ähnlichen Anwendungen kommen wie jetzt schon in China.
Allrogen: Wurden nicht schon vor dem 1. Juli in Hongkong Journalisten bedroht und bestraft?
Alviani: Doch, natürlich, schon jetzt ist die Presse- und Meinungsfreiheit in Hongkong rückläufig. Im Jahr 2002 – dem Jahr der Rückgabe Hongkongs an China – belegte Hongkong im Ranking der Pressefreiheit bei Reporter ohne Grenzen den 18. Platz. In diesem Jahr ist es der 80. Zu so einem Abfall innerhalb von zwei Jahrzehnten ist es hier vorher noch nie gekommen. Und das scheint noch nichts zu sein im Vergleich zu dem, was sich jetzt ereignet. China belegt in diesem Ranking mit Platz 177 einen der letzten Ränge. Ein Land also, in dem die Pressefreiheit mit am wenigsten respektiert wird.
Allrogen: Und wenn wir über Satire reden, die eignet sich ja gut als Indikator um festzustellen, wie stabil die Demokratie eines Landes ist. Ich habe in einem Bericht von Ihnen gelesen, dass es bis vor kurzem eine Fernsehsendung in Hongkong gab, Headliner, die jetzt aus dem Programm genommen worden ist. Was bedeutet das für die Satire und die Pressefreiheit in Hongkong allgemein?
Alviani: Vor zwei Jahren wurde ein Karikaturist für seine Kommentare, man kann sagen, bedroht. Er wollte seine künstlerischen Arbeiten im Rahmen einer Ausstellung in Hongkong zeigen. Und vor kurzem wurde eine Satiresendung aus dem Programm genommen. Es ist also klar, dass Satire in Hong Kong nicht mehr toleriert wird. Und dass Leute, die trotzdem damit weitermachen, verhaftet werden. Das ist sehr schwerwiegend.
Allrogen: Damit die chinesische Regierung das Sicherheitsgesetz überhaupt auf Journalisten anwenden kann, braucht es ja eine Institution, eine Art Büro, die das Gesetz praktisch umsetzt. Dieses Büro ist gestern eröffnet worden. Wie genau kann es die Journalisten nun kontrollieren?
Alviani: Im großen und ganzen berichten die neu installierten Einrichtungen nicht an die Hongkonger Behörden und sind diesen auch nicht unterstellt, sondern berichten direkt an das Regime in Peking. Also werden sie die Möglichkeit großräumig nutzen, Journalisten unter Druck zu setzen, ihre Arbeit zu kontrollieren und sie einzuschüchtern, und sie müssen das nicht vor dem geltenden Hong Konger Recht begründen.
Allrogen: Was wird denn mit Ihrer Organisation Reporter ohne Grenzen passieren? In Hongkong? Sie selber befinden sich ja in Taipeh.
Alviani: Als Reporter ohne Grenzen vor vier Jahren sein Repräsentanzbüro in der Region eröffnet hat, haben wir glücklicherweise Taiwan und nicht Hongkong als Basisstation gewählt, weil wir damals schon gemerkt haben, dass man in Hongkong doch das Eingreifen Chinas befürchten muss, also haben wir uns für Taipeh entschieden. In Taiwan wird das Gesetz eingehalten. Tatsächlich können wir jetzt kein Büro in Hongkong unterhalten, ohne Gefahr zu laufen, für irgendwelche Straftaten zur Rechenschaft gezogen zu werden und das nur aus dem Grund, weil wir die Nichteinhaltung der Pressefreiheit in China und in Hongkong kritisiert haben.
Allrogen: Trotzdem ist es, Sie haben es gesagt, egal an welchem Ort auf der Welt gerade gefährlich, ein Interview zu führen, auch für uns beide. Was wird mit diesem Interview nun passieren, wird es von Hongkong kontrolliert werden, wie gefährlich ist das für Sie?
Alviani: Das weiß man nicht so genau. China kann nicht alles kontrollieren. Aber im vergangenen Jahr hat Reporter ohne Grenzen in einem Bericht darauf hingewiesen, dass China seit zehn Jahren an einer neuen Weltordnung arbeitet. Was sich daran zeigt, dass China sehr viel Geld und Energie dafür verwendet, um seine Kontrolle über die Medien überall auf der Welt auszudehnen. Auf Journalisten außerhalb Chinas wächst seitdem der Druck und auch die Einschüchterungsmaßnahmen, die von der chinesischen Regierung ausgeübt werden. Jeder weiß mittlerweile, dass die chinesischen Botschafter in jedem Land auf der Welt die Aktivitäten der dortigen lokalen Medien sehr genau verfolgen. Einschüchterungsversuche, damit Informationen von Journalisten nicht die Runde machen, gehören eigentlich nicht zur diplomatischen Praxis. Einige schrecken noch nicht einmal davor zurück, bewusst falsche Informationen zu streuen. Also kann man davon ausgehen, dass chinesische Botschafter künftig schwarze Listen führen könnten von Journalisten, die über Sachen schreiben, die der Regierung nicht gefallen. Und diese Journalisten werden dann ganz offiziell dafür beschuldigt, gegen das chinesische Gesetz verstoßen zu haben.
Allrogen: Was bedeutet all das für den investigativen Journalismus? Wir haben vorgestern gehört, dass Facebook und alle anderen sozialen Medien mit China nicht kooperieren wollen und sich aus Hongkong zurückziehen. Kann man also nicht mehr von einem freien Internet sprechen?
Alviani: Ja, die demokratischen Länder müssen sich jetzt ganz dringend zusammenschließen, um China zu zwingen, mit diesen Bedrohungen, die die Pressefreiheit gefährden, aufzuhören. Ansonsten riskieren wir, dass die kommende Generation die weltweite Pressefreiheit, wie wir sie kennen, nicht mehr kennen wird. Und wir müssen uns anstrengen, damit der Investigativ-Journalismus als ein unerlässliches Gegengewicht in der Demokratie weiterhin bestehen bleiben kann.