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Pressekodex
Presserat will umstrittene Richtlinie beibehalten

Der Deutsche Presserat empfiehlt Medien auch weiterhin, die Herkunft potenzieller Straftäter bei der Berichterstattung nur in Ausnahmefällen zu nennen. Manche Journalisten sehen darin einen selbstverpassten Maulkorb und die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.

Von Anja Nehls | 12.03.2016
    Eine Person tippt auf der Tastatur eines Laptop Computers.
    "Wir sind doch nicht dazu da, zu verschweigen", meint zum Beispiel Rolf Seelheim von der "Nordwest Zeitung". (imago / Jochen Tack)
    "Ein 40-Jähriger und ein 28-Jähriger sind von der Berliner Polizei festgenommen worden, weil sie in erheblichem Umfang Drogen hergestellt und verkauft haben." So stand es vor ein paar Tagen in einer Berliner Tageszeitung. Wo die Täter herkommen, erfahren die Leser nicht. Und wenn es nach den Empfehlungen des Deutschen Presserats geht, wird das auch in Zukunft so bleiben. Bei einer Erwähnung eines 40-jährigen algerischen Drogenhändlers könnten sich alle anderen Algerier vorverurteilt fühlen, sagt Lutz Tillmanns vom Deutschen Presserat:
    "Ein wesentlicher, weil menschenrechtsbezogener Grundsatz ist, nicht zu diskriminieren. Nicht den Einzelnen zu meinen und die Gruppe zu treffen damit. Und das ist natürlich bei Minderheiten eher das Thema als bei Mehrheiten."
    Deshalb bleibt auch nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht die Richtlinie 12.1 des Pressekodex so, wie sie ist:
    "In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründeter Sachbezug besteht."
    Das sehen einige Journalisten angesichts des enormen Zuzugs an Flüchtlingen und aller damit verbundenen Begleiterscheinungen, auch der Kriminalität, als Problem. Rolf Seelheim von der "Nordwest Zeitung" aus Oldenburg sieht in einem selbstverpassten Maulkorb die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr:
    "Bis heute konnte mir noch keiner richtig klarmachen, was denn ein begründeter Sachbezug ist. Hier macht es sich der Presserat schlicht zu einfach. Journalisten sollen sagen, was ist. Es ist eine ganz ungute Debatte, die natürlich auch dahin führen kann, dass eines Tages auch bei ganz anderen Sachverhalten erstmal gefragt wird, was bei wem wie verstanden werden könnte. Wir sind doch nicht dazu da, zu verschweigen."
    In gewisser Hinsicht eben doch, meint Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Staatlichen Institutionen wie der Polizei käme eine wesentliche Rolle bei der Bekämpfung von Rassismus zu, denn die Medien können nur berichten, was sie von der Polizei erfahren:
    "Die Polizei darf demnach weder den Medien noch der Öffentlichkeit Informationen über Hautfarbe, Religion, Staatsangehörigkeit, nationale oder ethnische Herkunft eines Tatverdächtigen zukommen lassen. Nur wenn dies unbedingt erforderlich ist, was etwa bei einem Fahndungsaufruf der Fall sei."
    Aber das kommt selten vor. Die Berliner Polizei hält sich deshalb an den Pressekodex. In einer Polizeimeldung dieser Woche ist die Rede von fünf mutmaßlichen Einbrechern, 17, 18 und 19 Jahre alt, die mit einem Gullydeckel die Scheibe eines Tabakgeschäfts eingeworfen, Geld und Zigaretten gestohlen und auf der Flucht noch zwei Autos gerammt haben.
    "Der Polizei geht es nicht um Stigmatisierung"
    Immerhin gibt es die Herkunft der Täter auf Nachfrage: Einer der Männer ist Syrer, einer Libanese, zwei stammen aus der Türkei und einer hat die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Ist diese Information wichtig? Arnold Plickert von der Gewerkschaft der Polizei meint ja und würde lieber gleich Klartext reden:
    "Der Polizei geht es nicht um Stigmatisierung, sondern um Aufklärung der Bevölkerung. Der Eindruck eines Maulkorbs ist verheerend für das Vertrauen der Bevölkerung und ihrer Polizei. Polizeiliche Erkenntnisse über Tatverdächtige und ihre Hintergründe sind auch zur Verbesserung einer Präventionsstrategie notwendig. Wir müssen offen über die Probleme dieses Landes reden dürfen, dazu gehört auch, dass wir zum Beispiel über die deutliche Überrepräsentierung junger Menschen mit Migrationshintergrund im Bereich der Verurteilten sprechen können."
    Ob solche Informationen den Rechten Argumente liefern, oder ob eher das Verschweigen schadet statt nützt, ist strittig. Im Einzelfall entscheiden aber wie gehabt weder Politiker noch Behörden, sondern Journalisten, für die die Empfehlung des Presserats nicht bindend ist. Die "Sächsische Zeitung" will jetzt einen Mittelweg gehen , und zwar, indem sie immer die Nationalität der Täter oder Verdächtigen nennt – egal, ob es sich dabei um Deutsche handelt oder um Ausländer.