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"Was ist bloß in Joachim Gauck gefahren?"

Bundespräsident Gauck sorgt mit einem DLF-Interview für Aufsehen. Darin forderte er eine aktivere Rolle Deutschlands in der Welt - auch militärisch. Die Zeitungs-Kommentatoren fragen sich, was in Gauck gefahren ist. Die taz hält ihn gar für eine Fehlbesetzung – und die SZ sieht in seinen Äußerungen noch weiteren Sprengstoff.

16.06.2014
    Bundespräsident Gauck: "Im Kampf um die Menschenrechte sei es erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen"
    Bundespräsident Gauck: "Im Kampf um die Menschenrechte sei es erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen" (dpa / picture-alliance / Michal Dolezal)
    Der NORDBAYERISCHE KURIER fragt sich:
    "Was ist bloß in Joachim Gauck gefahren? Zu den Waffen greifen, um Zivilisten zu schützen? Die Bundeswehr befindet sich gerade auf dem Rückzug aus Afghanistan, weil das dort nicht geklappt hat. Gauck will eine deutsche Außenpolitik des Einmischens statt des Wegsehens. In seiner Mission wirkt er entrückt und gerät - anders kann es nicht gesagt werden - ins Schwadronieren. Gaucks Versuch, doch noch den großen Wurf zu schaffen, muss scheitern, wenn er sich dabei auf höchst gefährliches Terrain begibt und das Gespür verliert, was angeraten ist und was nicht",
    kommentiert der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth.
    Auch die TAZ aus Berlin wirft Gauck vor, sich gefährlich unpräzise ausgedrückt zu haben:
    "Wo es um Menschenleben geht, verbietet sich Schwadronieren. Für einen Moment nur muss man sich vorstellen, Gauck säße nicht im Schloss Bellevue, sondern im Außenministerium. Es ist der Moment, an dem man versteht, was Deutschland an Frank-Walter Steinmeier hat - und warum Gauck so auch als Bundespräsident eine Fehlbesetzung darstellt. - Vor vier Jahren trat sein Vorvorgänger Horst Köhler zurück - nach heftiger Kritik an einem Interview, in dem er Auslandseinsätze auch zur Sicherung freier Handelswege verteidigte. Gauck wird kaum so schnell seinen Hut nehmen. Aber diejenigen, die ihn ins Amt gehievt haben, die SPD vorneweg, sollten ihm dringendst deutlich machen, dass es eine Wiederwahl nur geben wird, wenn er seine haltlosen Reden über deutsche Außenpolitik einstellt",
    fordert die TAGESZEITUNG.
    Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG kritisiert einen anderen Aspekt:
    "Problematischer als das Drumherumgerede ist Gaucks Vision vom Anbrechen einer neuen Zeit. Es habe 'früher eine gut begründete Zurückhaltung' gegen Militäreinsätze gegeben, die könnten die Deutschen jetzt 'vielleicht ablegen'. Warum jetzt? Weil wir einen stabilen Rechtsstaat haben? Das war vor zehn Jahren nicht anders. Weil das Trauma von Schuld und 'Nie wieder Krieg' ins Geschichtsbuch gehört? Gauck sagt es nicht, aber es klingt bei seinen Worten mit: dass irgendwann mal Schluss ist. Das ist der eigentliche Sprengstoff seiner Botschaft. Er sollte ihn schleunigst unschädlich machen",
    meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
    Auch die VOLKSSTIMME aus Magdeburg ist nicht einverstanden:
    "'Schwerter zu Pflugscharen' war das Motto der Friedensbewegung. Das geeinte Deutschland hat sich gerade damit einen Namen gemacht, als Vermittler und nicht als Militärmacht aufzutreten. Kläglich, dass Gauck sich von der Pflugschar verabschiedet hat und laufend das Schwert schwingen will."
    Der KÖLNER STADT-ANZEIGER mahnt, die Äußerungen nicht überzuinterpretieren:
    "Joachim Gaucks Aufruf zu einer aktiveren deutschen Außenpolitik taugt nicht als Beleg für Großmannssucht oder gar Kriegsfantasien des Präsidenten. Wo immer er über den Einsatz des Militärs sinniert, fügt er standardisiert die Formel von der 'Ultima Ratio' hinzu. Allerdings wirkt es nach mehr als einem Dutzend Bundeswehr-Einsätzen, als liefe er allzu eifrig durch offene Türen. Seiner Rolle als Gewissen der Nation entspräche eher der prinzipielle Zweifel, ob Krieg eine Lösung sein kann. Die aktuellen Krisenherde zeigen: Der 'Griff zu den Waffen', dem Gauck das Wort redet, ist stets die Geste des Scheiterns",
    betont der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
    "Joachim Gauck spricht eine politische Selbstverständlichkeit gelassen aus",
    finden die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN.
    "Ein Land wie die Bundesrepublik, als verlässlicher Partner geschätzt, ökonomisch stark und schon deshalb ein Land mit Einfluss in der Welt, darf in internationalen Krisen nicht den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Wer sich weltweit für die westlichen Werte, für Demokratie und Menschenrechte einsetzt, muss diese Werte auch verteidigen, wenn sie in Ländern wie Afghanistan, dem Südsudan oder der Zentralafrikanischen Republik mit Füßen getreten werden – und das, notfalls, auch mit der Hilfe von Soldaten",
    meinen die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe.
    Die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld hält fest:
    "Die Deutschen wissen, wohin Krieg führt. Aber sie wissen auch, dass das Böse manchmal nur mit Gewalt bekämpft werden kann. Nur mit militärischer Gewalt konnten die Alliierten Europa samt Deutschland 'befreien', wie es ein anderer Vorgänger Gaucks ausgedrückt hat - Richard von Weizsäcker. Gauck steht in dessen kluger Tradition."
    Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG sieht es so:
    "Gauck hat jetzt zum zweiten Mal öffentlich die Debatte über mehr deutsche Verantwortung in der Welt angestoßen - die letztlich auch ein Nachdenken über letzte militärische Konsequenzen bedeutet. Wenn es um Leben Unschuldiger, um die Sicherung von Menschenrechten, um Frieden geht und UNO-Debatten und Wirtschaftssanktionen vielleicht nicht ausreichen: Wegsehen? Darüber muss eine ernsthafte gesellschaftliche Debatte geführt werden",
    schließt die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt (Oder).
    In der Zeitung DIE WELT geht es um die Lage im Irak:
    "Der Al-Qaida-Ableger Isis, der sich als 'islamischer Staat in der Levante und Großsyrien' aufrüstet, hat in den letzten Tagen die Nachbarn alarmiert und, indem seine Kämpfer Richtung Bagdad marschieren, alle Alarmsirenen der Region ausgelöst. Der Nahe Osten brennt. Europa ist zu nah, um den Brennraum zwischen Golf und Mittelmeer sich selbst zu überlassen. Die Türkei ist durch die Kriege in der Nachbarschaft unmittelbar betroffen und bedarf der Unterstützung via Nato. Eindämmung des gewalttätigen Fanatismus ist wahrscheinlich auf Sicht die einzig mögliche Politik",
    heißt es in der Zeitung DIE WELT.
    Der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn plädiert für ein Eingreifen der USA:
    "Wenn vom Libanon über Jordanien und Syrien bis in den Irak religiöse Extremisten mit Blut eine ideologisch verseuchte Schneise schlagen, wünscht man sich kein Amerika im Passiv-Modus. Sondern eine Führungsmacht, die den zerstörerischen Kräften entgegentritt. Nicht allein mit Feuerkraft. Sondern im Maßstab eines Marshall-Plans mit langem Atem. Und gemeinsam mit anderen wie Iran oder Russland, ohne die sich der Aktionsradius der Sektierer nicht verkleinern lässt. Amerika kann sich im Irak nicht länger den Rückwärtsgang erlauben. Es hat zu viel gut zu machen. Im Grunde genommen: alles",
    unterstreicht der GENERAL-ANZEIGER.
    Die F.A.Z. hat Sorge, dass wegen der Gewalt im Irak die Lage in der Ukraine in Vergessenheit gerät:
    "Tatsache ist, dass sich der Westen um seiner Sicherheit willen um beide Konflikte kümmern muss. Dabei ist die Bedrohung durch einen islamistischen Terrorstaat in der Nachbarschaft Europas unmittelbarer und leichter fassbar als die durch Russland, das zwar versucht, mit Gewalt sein Einflussgebiet im postsowjetischen Raum auszudehnen, aber keine Terroristen in Europas Städte schickt. Russland und die Fanatiker der Isis kann man nicht auf eine Stufe stellen. Aber es wäre ein Fehler, die russische Aggression gegen die Ukraine nicht ernst zu nehmen",
    warnt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
    Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG befürchtet,
    "dass sich die Ukraine-Russland-Krise in den nächsten Tagen zuspitzt. Denn im Osten der Ukraine herrscht faktisch Krieg. Ein Beleg dafür ist der Abschuss einer ukrainischen Militärmaschine durch prorussische Separatisten. Es ist ein weiterer Versuch der gewaltsamen Einschüchterung. Der ukrainische Präsident, gerade erst im Amt, steht in dieser Lage erheblich unter Druck, auch unter dem der eigenen Bevölkerung. Die für Politiker übliche 100-Tage-Schonfrist ist Petro Poroschenko nicht vergönnt. Erschwerend kommt für ihn der Streit um die Gaslieferungen hinzu und das gerade jetzt. Poroschenko braucht dringend Hilfe aus dem Westen",
    glaubt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.