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Prestigefrage für Putin

Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin hatte die Winterspiele 2007, damals noch als Präsident, in den Schwarzmeer-Kurort geholt: das Gelingen dieses umstrittenen Projekts ist immer mehr eine Prestigefrage - auch für die jetzige Regierung um Putins Nachfolger im Amt, Präsident Dmitri Medwedjew. Moskau braucht einen berechenbaren Partner, der künftige Bürgermeister Sotschis wird als formeller Gastgeber nicht nur über ein gewaltiges Olympia-Budget mitbestimmen, sondern auch viele Probleme bewältigen müssen.

Von Robert Baag |
    "Ersatz für unseren Boden geben sie uns nicht. Wohnraum gibt es nicht. Bauvorhaben für Olympia finden praktisch nicht statt. Ich weiß das, weil ich hier lebe und sehe, was in dieser Stadt vor sich geht!"

    Eine Momentaufnahme vor kurzem im russischen Schwarzmeer-Badeort Sotschi, in dessen Umgebung die olympischen Winterspiele 2014 ablaufen sollen. Inzwischen gehen die Menschen auch schon mal auf die Straße, um ihrem Ärger Luft zu machen, obwohl ihnen Ministerpräsident Putin, der wohl eifrigste Befürworter dieses sportlichen Groß-Spektakels, nach dem Zuschlag für Sotschi vor bald zwei Jahren umgehend versichert hatte:

    "Gemeinsam bereiten wir uns auf ein überragendes internationales Ereignis vor, ein weltweites Fest, ein Fest für das ganze russische Volk. Wir können nicht zulassen, dass dieses Fest auch nur für einen einzigen Bürger durch Probleme während der Vorbereitungsarbeiten überschattet wird. Niemand darf deshalb Probleme haben."

    Die Praxis sieht inzwischen anders aus: Die umfangreichen Bauvorhaben hinken dem Zeitplan hinterher. Die globale Wirtschaftskrise, von der auch Russland betroffen ist, bedroht dem Vernehmen nach auch das umgerechnet knapp zehn Milliarden Euro schwere Olympia-Budget. Ökologen beklagen schon jetzt schwere Umweltschäden durch rücksichtslose Erd- und Rodungsarbeiten in der einzigartigen subtropischen Gebirgs- und Küstenlandschaft rund um Sotschi. Und nicht zuletzt häufen sich die Klagen über Korruption bei Behörden und Firmen.

    "Abenteuerliche und ganz offensichtlich auf Korruption basierende Projekte wie die geplante Straße von der Nachbarstadt Adler zum Skigebiet 'Krasnaja Poljana' müssen sofort eingestellt werden!", fordert deshalb Boris Nemcov, ehemaliger stellvertretender russischer Regierungs-Chef in den 90er Jahren unter Präsident Boris Jelzin und danach in Daueropposition zu Vladimir Putin und auch zu dessen Nachfolger Dmitrij Medwedew. Nemcov, geboren im gut 300.000 Einwohner zählenden Sotschi, tritt an bei den für Sonntag anberaumten Bürgermeisterwahlen.

    Zunächst schien die Strategie der Moskauer Zentrale zu sein, Nemcov innerhalb einer eher bizarren Kandidatenriege lächerlich wirken zu lassen. Der eigene Favorit Anatolij Pachomov von der Putin-Partei "Geeintes Russland" - allerdings ein eher farbloser Mann und zuvor Bürgermeister der Provinzstadt Anapa - war von den Parteistrategen offenbar ausersehen worden, den soliden und Stabilität versprechenden Lokalpolitiker zu geben - im Gegensatz zu Bewerbern wie einer Ballerina des Bolschoj-Balletts, einer Porno-Darstellerin, aber auch dem rechtspopulistischen Duma-Abgeordneten Anatolij Lugovoj, einem ehemaligen KGB-Mitarbeiter, der von den britischen Behörden verdächtigt wird, in London im Herbst 2006 den Mordanschlag auf den oppositionellen früheren KGB-Mann Aleksandr Litvinenko verübt zu haben.

    Lugovoj zog aber seine Kandidatur zurück, nachdem man in Moskau offenbar gemerkt hatte, dass diese Art von Schmierentheater um den Bürgermeister-Sessel der Olympiastadt 2014 gut geeignet schien, den Ruf Sotschis und Russlands insgesamt zu ramponieren.

    Ein Ammoniak-Attentat auf Nemcov vor einigen Wochen, das ihn allerdings nur leicht verletzte, die ständige Behinderung seines Wahlkampfs, ein offenbar "von oben" angeordneter Medienboykott gegen Nemcov - all diese Zutaten sorgten für einen vordergründig erstaunlich exotischen, überregional beachteten Wahlkampf. Schon sind Stimmen zu hören, dies sei vielleicht Staatspräsident Dmitrij Medwedew zu verdanken, der sich mit einem liberaleren Image von seinem Vorgänger Putin absetzen wolle. Anders der Publizist Alexander Minkin:

    "Bitte, nennt das nicht 'Wahlen'! Nennt es: 'Ernennung', 'Bestallung' mit Hilfe irgendwelcher Manipulationen. Was sich heute in Russland als 'Wahlen' bezeichnet, sind keine Wahlen! Die Prozedur heißt: 'Wahlen' - aber sie sind es nicht! Na, das wär's!"