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"Prigow war ein Phänomen"

Der international bekannte Mitbegründer des russischen Konzeptualismus, der Dichter Dimitri Alexandrowitsch Prigow, ist im Alter von 66 Jahren gestorben. Prigow sei für ihn immer ein Phänomen gewesen, sagt Wolfgang Schlott, Spezialist für russische Literatur und Kultur an der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen.

Moderation: Rainer Schossig |
    Rainer Schossig: Die Russen lieben bekanntlich die Farbe Rot. Doch er nannte seine große programmatische Installation trotzig "Pulsierendes Schwarz". Und so war er ein Soz Art-Künstler, doch eher still und in sich gekehrt. Er sah nicht rot, sondern eher schwarz. Die Rede ist von dem russischen Dichter Dimitri Alexandrowitsch Prigow. Der international bekannte Mitbegründer des russischen Konzeptualismus ist am Montag, heute, im Alter von 66 Jahren gestorben. Dies meldete die Nachrichtenagentur RIA Nowosti heute. Wolfgang Schlott, Sie sind Spezialist für russische Literatur und Kultur an der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen. Prigow galt ja als einer der wichtigsten Poeten der postsowjetischen Ära. Das heißt aber doch, er gehörte zunächst einmal lange Jahre zu den Autoren des Samisdat?

    Wolfgang Schlott: Ja, selbstverständlich. Herr Dimitri Alexandrowitsch Prigow hat seit 1971 publiziert, aber nicht in den sowjetischen Staatsverlagen, sondern, ja, im Samistad, im Untergrund.

    Schossig: Was heißt das?

    Schlott: Er war einer derjenigen, die sozusagen mit kleinen Editionen, kleinen Heftchen den Moskauer Samisdat angekurbelt hat. Er hat ja bereits zu diesem Zeitpunkt hunderte von Gedichten geschrieben und hat bis zum heutigen Zeitpunkt mehr als 20.000. Also er war bereits in der frühen Phase unglaublich produktiv. Das kann man feststellen an der heutigen Bestandsaufnahme, er hat eine Sammlung von etwa 13, 14 Bänden. Das ist unglaublich.

    Schossig: Sie haben Dimitri Prigow persönlich gekannt. Was war er für ein Mensch, Herr Schlott?

    Schlott: Also, ich habe Dimitri Prigow 1995 in Bremen natürlich erlebt. Ich war natürlich vorher in Moskau und hab ihn da und dort bei Lesungen erlebt, im persönlichen Gespräch. Prigow war für mich immer ein Phänomen. Ein quicklebendiger Mensch, der unglaublich schnell denken konnte, unglaublich schnell sprach und das Phänomenale an ihm: Er bewegte sich ja nicht nur im Bereich der Dichtung, der konzeptualistischen Dichtung, sondern auch im Bereich der Poesie, der visuellen Kunst. Er hat viele, viele Collagen gemacht, er hat große Zeitungstexte verfremdet. Seine Collagen waren bereist in den 80er Jahren bekannt in Westeuropa. Und er hat dann natürlich nach 1989, als er dann frei reisen durfte, viele, viele Preise auch bekommen für seine Kunst.

    Schossig: Er ist also eigentlich gar nicht recht einzuordnen in die literarische Szene ganz und auch nicht in die künstlerische. Was würden Sie sagen, wo gehört er mehr hin?

    Schlott: Ja, das ist das Phänomenale an ihm. Er ist natürlich der klassische Vertreter des Moskauer romantischen Konzeptualismus. Aber er hat sich immer distanziert gegenüber dem Theoretiker Boris Groys, indem er sagte "ich bin eigentlich ein konzeptualistischer Dichter, aber ich habe eine völlig eigene Vorstellung von meinen Konzepten". Und das ist das Phänomenale an ihm. Er hat sozusagen seinen großen Gedichtszyklen, den Kommunismus demythologisiert. Er hat die Poesie in logische Konstruktionen überführt und hat die logischen Konstruktionen ad absurdum geführt. Er war ein hoch gebildeter Dichter, der natürlich mit allen philosophischen Theorien ausgestattet war und auf diese Weise natürlich eine fantastische Dichtung produziert hat.

    Er kommt eigentlich vom Futurismus, seine frühen Werke, das ist Chlebnikow, Welimir Chlebnikow, der große Vertreter des Futurismus, und hat dann bereist in den 70er Jahren eine ganz eigenständige Poesie entwickelt. Diese Poesie ist eine Mischung aus Lautmalerei, aus Imitation der Imitation, eine Verfremdung der sowjetischen Realität, aber auch sozusagen der gesamten Realität in Prigow, der vor allen Dingen nach 1989 sehr viel gereist war, hat ja sich auseinandergesetzt mit der japanischen Kultur, mit afrikanischen Mythen und hat das alles sozusagen verfremdet. Er ist sozusagen ein universaler Dichter, der weit über die russische Poesie hinauswirkt. Das sieht man dann auch bei seinen Performances oder auch, das letzte Mal die Sound-Art-Tagung in Bremen, wo er seine "Asbuki" vorgetragen hat. Ein Phänomen, fantastisch, wo er gesungen hat, wo seine Poetik plötzlich anfängt zu schweben, wo die Leute meinen, sie befinden sich in einem Konzert.

    Schossig: Sie haben das Jahr 1989 erwähnt, Herr Schlott. Sie haben gesagt, er sei ein großer, umfassender Künstler gewesen. Er hat den Samistad überlebt, aber er ist nun doch relativ jung mit 66 verstorben. Ist ihm denn die ihm nötige Anerkennung in Russland jetzt noch zuteil geworden in den letzten Jahren?

    Schlott: Ja, aber natürlich. Er hat 1993 einen Puschkin-Preis bekommen, das ist eine der höchsten Dotierungen, die man bekommen kann. Er ist vielfach anerkannt worden, er hat unglaublich viele Editionen gehabt in den 90er Jahren, aber er hat auch sich wiederum distanziert, er hat sich distanziert von dem Putinschen Russland, er ist ein Dichter, der eben sozusagen im klassischen Sinne ein Dichter auch des Undergrounds gewesen ist, der gegen jegliche Festlegung, Kodifizierung sich gewehrt hat.

    Schossig: Danke an Wolfgang Schlott von der Forschungsstelle Osteuropa Bremen. Er erinnerte an den russischen Konzeptkünstler Dimitri Prigow, der heute in Moskau gestorben ist.