Leonardo da Vincis Mona Lisa ist nicht das einzige Frauenbildnis im Pariser Louvre, das dem Betrachter seit Jahrhunderten Rätsel aufgibt. Gleich nebenan im Saal mit den französischen Meisterwerken des 19. Jahrhunderts verwirrt eine andere Dame den Besucher. Sie ist nackt auf einem Bett ausgestreckt dargestellt. Auch wenn sie uns den Rücken zukehrt, blickt sie doch über ihre rechte Schulter hinweg und fixiert uns. Am rechten Bildrand qualmt eine Wasserpfeife. Ein kunstvoll auf dunklem Haar drapierter Turban und ein Fächer aus Pfauenfedern weisen sie als elegante Haremssklavin aus.
Doch irgendetwas scheint mit der so genannten "Großen Odaliske" des Jean-Auguste-Dominique Ingres aus dem Jahre 1814 nicht zu stimmen. Ihr nackter Rücken ist viel zu lang wiedergegeben und als völlig unrealistisch entpuppt sich auf den zweiten Blick auch ihre Beinstellung. Konnte oder wollte der Künstler es nicht besser machen? An Meisterschaft mangelte es dem 1780 geborenen und 87-jährig in Paris gestorbenen Ingres sicher nicht, wie die große Retrospektive im Louvre überdeutlich macht, in der jetzt neben knapp 200 anderen Werken auch die Odaliske gezeigt wird.
Ist nicht Ingres der strenge französische Klassizist, der, ausgebildet bei Jacques-Louis David, dem Hofmaler Napoleons, bereits mit 21 Jahren den Rom-Preis für seine Malerei erzielt, in Italien die Meisterwerke der Antike verinnerlicht und dann blutleere Historienmalerei für Napoleon und die restaurierte Monarchie produziert? Ist nicht Ingres der erklärte Feind der Romantiker Delacroix und Géricault, die sich ihre Bildthemen lieber in der eigenen Epoche suchen und dafür nicht wie er bei Homer nachschlagen müssen und die lieber in Farben schwelgen als auf Zeichnung und Linie zu setzen? Solch tief sitzende Klischees will die chronologisch aufgebaute Gesamtschau entschärfen.
Keine 20 Jahre alt ist Ingres, als er Zeichnungen nach Werken Dürers und Holbeins anfertigt und Giotto, Leonardo und immer wieder Raffael kopiert. "Die Gesandten des Agamemnon", von Ingres der Jury des Prix de Rome vorgelegt, stehen noch ganz unter dem Einfluss Davids, ein Umstand, der ihm wohl auch das Romstipendium beschert. Doch dann tauchen in seiner Malerei stark stilisierte Figuren auf. Ingres’ "Verletzte Aphrodite auf dem Weg in den Olymp" wirkt ungelenk und wenig plastisch wiedergegeben. Formal erinnert die Szene eher an primitive italienische Malerei. Auf Kritik stößt 1806 sein Bild "Napoleon auf dem Kaiserthron". Die statische Frontalansicht des blässlichen Kaisers in vollem Ornat und mit starrem Blick lasse an mittelalterliche Darstellungen Karls des Großen denken. Ingres habe sein Talent für "gotische Kunst" verschwendet, lautet der Vorwurf.
Ingres hat sich indes in Rom eingerichtet, woran auch der baldige Fall Napoleons nichts ändern wird. Es entstehen Porträts einflussreicher Franzosen in Rom. Leicht blasiert gibt sich etwa Laurent Cordier vor Ruinenkulisse und regenschwerem Himmel. Ingres entgeht hierbei kein Detail an Kleidung und Mimik. Meisterhafte Akribie bei der Behandlung der Stoffe und Schmuckstücke vor allem in seinen Porträts adliger Damen lässt beinahe fotorealistische Bilder entstehen. 1813 dekoriert er das Schlafzimmer Napoleons in dessen römischer Residenz mit "Ossians Traum". Über dem Kopf des Schlafenden tauchen schemenhafte, in Grautönen gehaltene Gestalten auf. Die Szene wirkt wie eine filmische Überblendung. In kleinformatiger, so genannter Troubadour-Malerei passt sich Ingres kompromisslos dem Publikumsgeschmack an. Ereignisse aus der nationalen Geschichte sind hier ins Bild zu setzen. Leonardo da Vinci könnte kaum pathetischer in den Armen Franz I. sterben als auf Ingres’ Bild von 1818. Es gibt kein Genre, in dem Ingres es nicht zur Meisterschaft bringt.
Nach seiner Rückkehr aus Italien feiert er 1824 mit dem riesigen Ölbild "Der Wille Ludwigs XIII." in Paris seinen Triumph. Maria mit dem Christuskind schaut erstaunlich sinnlich auf den knienden Ludwig herab. Lediglich das Bildthema unterscheidet Maria von ihrer lasziven Geschlechtsgenossin, der großen Odaliske von 1814, denn ideale Frauenbildnisse sind sie beide. Eines seiner Aktmodelle erinnert sich, dass Ingres beim Malen vor Begeisterung "Schreie des Entzückens" ausgestoßen und sich am Ende mit galantem Handkuss von jedem seiner Modelle verabschiedet habe.
84-jährig schafft Ingres das berühmte "Türkische Bad", mit dem die Pariser Schau endet. Unzählige nackte Frauenkörper drängt Ingres auf kreisförmigem Bildgrund in unterschiedlichen Posen zusammen. Es entsteht ein Gewirr von Linien und flachen Volumen. Die Raumwirkung ist zweitrangig. Die herausragende Pariser Schau zeigt Ingres als perfektionistischen Historienmaler, grandiosen Porträtisten, aber eben auch als behutsam agierenden Revolutionär in der Malerei, der sich vor allem in den Frauenakten seine ganz eigene Klassik erfunden hat. Wenn es um die ideale Linie geht, dann kann auch mal, wie bei der Odaliske, die menschliche Anatomie außer Kraft gesetzt werden. Künstler wie Picasso haben dies beim Anblick von Ingres "Türkischem Bad" sofort begriffen. Aber das wäre ein Thema für eine andere Ausstellung.
Doch irgendetwas scheint mit der so genannten "Großen Odaliske" des Jean-Auguste-Dominique Ingres aus dem Jahre 1814 nicht zu stimmen. Ihr nackter Rücken ist viel zu lang wiedergegeben und als völlig unrealistisch entpuppt sich auf den zweiten Blick auch ihre Beinstellung. Konnte oder wollte der Künstler es nicht besser machen? An Meisterschaft mangelte es dem 1780 geborenen und 87-jährig in Paris gestorbenen Ingres sicher nicht, wie die große Retrospektive im Louvre überdeutlich macht, in der jetzt neben knapp 200 anderen Werken auch die Odaliske gezeigt wird.
Ist nicht Ingres der strenge französische Klassizist, der, ausgebildet bei Jacques-Louis David, dem Hofmaler Napoleons, bereits mit 21 Jahren den Rom-Preis für seine Malerei erzielt, in Italien die Meisterwerke der Antike verinnerlicht und dann blutleere Historienmalerei für Napoleon und die restaurierte Monarchie produziert? Ist nicht Ingres der erklärte Feind der Romantiker Delacroix und Géricault, die sich ihre Bildthemen lieber in der eigenen Epoche suchen und dafür nicht wie er bei Homer nachschlagen müssen und die lieber in Farben schwelgen als auf Zeichnung und Linie zu setzen? Solch tief sitzende Klischees will die chronologisch aufgebaute Gesamtschau entschärfen.
Keine 20 Jahre alt ist Ingres, als er Zeichnungen nach Werken Dürers und Holbeins anfertigt und Giotto, Leonardo und immer wieder Raffael kopiert. "Die Gesandten des Agamemnon", von Ingres der Jury des Prix de Rome vorgelegt, stehen noch ganz unter dem Einfluss Davids, ein Umstand, der ihm wohl auch das Romstipendium beschert. Doch dann tauchen in seiner Malerei stark stilisierte Figuren auf. Ingres’ "Verletzte Aphrodite auf dem Weg in den Olymp" wirkt ungelenk und wenig plastisch wiedergegeben. Formal erinnert die Szene eher an primitive italienische Malerei. Auf Kritik stößt 1806 sein Bild "Napoleon auf dem Kaiserthron". Die statische Frontalansicht des blässlichen Kaisers in vollem Ornat und mit starrem Blick lasse an mittelalterliche Darstellungen Karls des Großen denken. Ingres habe sein Talent für "gotische Kunst" verschwendet, lautet der Vorwurf.
Ingres hat sich indes in Rom eingerichtet, woran auch der baldige Fall Napoleons nichts ändern wird. Es entstehen Porträts einflussreicher Franzosen in Rom. Leicht blasiert gibt sich etwa Laurent Cordier vor Ruinenkulisse und regenschwerem Himmel. Ingres entgeht hierbei kein Detail an Kleidung und Mimik. Meisterhafte Akribie bei der Behandlung der Stoffe und Schmuckstücke vor allem in seinen Porträts adliger Damen lässt beinahe fotorealistische Bilder entstehen. 1813 dekoriert er das Schlafzimmer Napoleons in dessen römischer Residenz mit "Ossians Traum". Über dem Kopf des Schlafenden tauchen schemenhafte, in Grautönen gehaltene Gestalten auf. Die Szene wirkt wie eine filmische Überblendung. In kleinformatiger, so genannter Troubadour-Malerei passt sich Ingres kompromisslos dem Publikumsgeschmack an. Ereignisse aus der nationalen Geschichte sind hier ins Bild zu setzen. Leonardo da Vinci könnte kaum pathetischer in den Armen Franz I. sterben als auf Ingres’ Bild von 1818. Es gibt kein Genre, in dem Ingres es nicht zur Meisterschaft bringt.
Nach seiner Rückkehr aus Italien feiert er 1824 mit dem riesigen Ölbild "Der Wille Ludwigs XIII." in Paris seinen Triumph. Maria mit dem Christuskind schaut erstaunlich sinnlich auf den knienden Ludwig herab. Lediglich das Bildthema unterscheidet Maria von ihrer lasziven Geschlechtsgenossin, der großen Odaliske von 1814, denn ideale Frauenbildnisse sind sie beide. Eines seiner Aktmodelle erinnert sich, dass Ingres beim Malen vor Begeisterung "Schreie des Entzückens" ausgestoßen und sich am Ende mit galantem Handkuss von jedem seiner Modelle verabschiedet habe.
84-jährig schafft Ingres das berühmte "Türkische Bad", mit dem die Pariser Schau endet. Unzählige nackte Frauenkörper drängt Ingres auf kreisförmigem Bildgrund in unterschiedlichen Posen zusammen. Es entsteht ein Gewirr von Linien und flachen Volumen. Die Raumwirkung ist zweitrangig. Die herausragende Pariser Schau zeigt Ingres als perfektionistischen Historienmaler, grandiosen Porträtisten, aber eben auch als behutsam agierenden Revolutionär in der Malerei, der sich vor allem in den Frauenakten seine ganz eigene Klassik erfunden hat. Wenn es um die ideale Linie geht, dann kann auch mal, wie bei der Odaliske, die menschliche Anatomie außer Kraft gesetzt werden. Künstler wie Picasso haben dies beim Anblick von Ingres "Türkischem Bad" sofort begriffen. Aber das wäre ein Thema für eine andere Ausstellung.