Donnerstag, 25. April 2024

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Primatenforschung
Nicht immer nur Schimpansen!

Über Schimpansen weiß die Forschung sehr viel, über Gorillas viel weniger. Um Fragen der Evolution artübergreifend auf den Grund zu gehen, haben sich Forschungsgruppen zu "ManyPrimates" zusammengeschlossen. Das Ziel: Ein Versuch - viele Wiederholungen. Am besten mit Affenarten, die selten erforscht werden.

Von Jennifer Stange | 16.03.2020
Zwei schwarze Brüllaffen (lat.: Alouatta caraya) sitzen laut rufend und mit weit aufgerissenem Maul auf einem Baum
Verhaltensexperimente mit Brüllaffen sind ausdrücklich erwünscht im Verbund "ManyPrimates". (dpa / Ronald Wittek)
Morgens 9.30 Uhr im Pongoland im Leipziger Zoo, einer großzügigen Anlage für Menschenaffen.
"Wir sind jetzt hier bei den A-Schimpansen, da wird Manuel Bohn auch gleich diese Gedächtnisaufgabe mit denen durchführen. Das ist die größte Gruppe der Schimpansen und hier links, also direkt gegenüber, das sind die Gorillas. Und weiter da links sind die Bonobos und da ganz hinten die Orang-Utans und dann nochmal eine andere Gruppe der Schimpansen."
Die Doktorandin Sarah DeTroy arbeitet hier am Wolfgang-Köhler-Primatenforschungszentrum. Genau wie Manuel Bohn, der bereits im Testraum mit großem Schaufenster sitzt und auf den ersten freiwilligen Schimpansen wartet, der hoffentlich gleich durch eine Luke kommt, die vom Freigehege in den Raum führt.
Finde die versteckte Traube
"Es ist ja eine Gedächtnisaufgabe, die wir machen. Und da wird eine Traube versteckt unter einem von diesem Behältern. Und dann wartet man unterschiedlich lang, bis man den Schimpansen die Möglichkeit gibt zu sagen, ja wo ist das. Und das machen sie, indem sie drauf zeigen, dass die das dann kriegen. Und entweder wartet man null Sekunden, oder fünfzehn, oder dreißig Sekunden. Ja, da haben wir einen der ersten."
Es ist Lobo, der sich durch den Raum schwingt. Der Schimpanse taxiert den Psychologen Manuel Bohn. Der sitzt in einer Art Käfig auf einem Hocker mit einem kleinen Tisch vor sich. Darauf drei Becher, die auf dem Kopf stehen, neben sich eine Schüssel Trauben.
"Ja, jetzt macht er ganz viel Krach, das ist so dieses Display-Verhalten, was männliche Schimpansen vor allem zeigen."
Der Wissenschaftler Manuel Bohn vor einem Affengehege im Leipziger Zoo.
Manuel Bohn vom Leipziger Forschungszentrum für Frühkindliche Entwicklung hat "ManyPrimates" mitgegründet. (Dlf / Jennifer Stange)
Kurz darauf setzt sich Lobo Manuel Bohn gegenüber, die Studie kann beginnen. Wissenschaftler Bohn legt immer wieder eine Traube unter einen der Becher. Der Schimpanse hat keine Mühen zu zeigen, wo das gewesen ist. Im Gegenteil, nach ein paar Minuten verliert Lobo die Lust, scheinbar gelangweilt schlägt er die Hand vor sein Gesicht.
"Es ging ja erstmal darum zu sehen, funktioniert das überhaupt? So ein großes kollaboratives Projekt in der Primatenforschung gab es noch nicht und deswegen war die Vorstellung, man fängt mit etwas einfachem an."
Das Ziel: Eine globale wissenschaftliche Infrastruktur
ManyPrimates heißt dieses Projekt. Manuel Bohn vom Leipziger Forschungszentrum für Frühkindliche Entwicklung hat es mit ins Leben gerufen, um eine globale wissenschaftliche Infrastruktur zu schaffen, die Ringversuche ermöglicht. In Kooperation unter anderem mit dem Deutschen Primatenforschungszentrum in Göttingen, den Zoos im schottischen Edinburgh und Chicago und einem Schutzprojekt in Kenia.
"Was das Projekt ermöglicht, ist, dass wir zum allerersten Mal wirklich Fragen systematisch beantworten können. Zum Beispiel sowas wie Gruppenunterschiede. Es führt auch dazu, dass wir ganz viele Spezies zum allerersten Mal systematisch uns anschauen können. Also zum Beispiel, es gibt sehr wenige Studien mit Gorillas. Und hier mit ManyPrimates, wenn wir hier die ganzen Gorilladaten zusammen führen, dann können wir wirklich mal Aussagen über Gorillas machen."
"Schlechte Schätzungen"
Bisher wurden Einzelstudien häufig mit wenigen Vertretern nur einer Affenart durchgeführt. Verlässliche, allgemein gültige Aussagen, beispielsweise über kognitiven Fähigkeiten einer Spezies, waren so ebenso schwer möglich, wie evolutionäre Unterschiede zwischen den Arten zu bestimmen. Deshalb gehörten einige der bisher gewonnenen Erkenntnisse auf den Prüfstand, sagt Bohn.
"Weil man ein bisschen, technisch gesprochen, immer nur schlechte Schätzungen hatte für die Fähigkeit einer bestimmten Spezies."
Denn was das Kurzzeitgedächtnis eines einzelnen Gorillas oder Schimpansen leisten kann, gelte nicht für die gesamte Spezies und ließe sich auch nicht ohne weiteres verallgemeinern. Und doch wurde das in der Vergangenheit häufig gemacht.
Eine Reihe populärwissenschaftlicher Erkenntnisse leiten sich beispielsweise aus den Beobachtungen der berühmten Verhaltensforscherin Jane Goodall ab. Sie pflegte einen sehr engen Kontakt zu den Schimpansen und fütterte sie. Heute weiß man: Das beeinflusste das Verhalten der Tiere erheblich.

Genauso macht es einen Unterschied, ob Bohn bewusst, oder unbewusst auf den Becher starrt, unter dem die Traube versteckt ist, und so Lobo hilft.
Zu dieser Studie zum Kurzzeitgedächtnis von Primaten hat die Forschungskooperation die Ergebnisse im Wissenschaftsmagazin PLOS ONE veröffentlicht. Menschenaffen schnitten demnach am besten ab. Außerdem habe sich gezeigt: Je ähnlicher die Evolutionsgeschichte der unterschiedlichen Spezies, desto ähnlicher waren auch die kognitiven Fähigkeiten. Heißt also, das Kurzzeitgedächtnis hat sich abhängig von der Affenart unterschiedlich entwickelt. Das eigentlich Spannende sei aber:
"Diese erste Studie, diese Pilotstudie war einfach unser Versuch, zu zeigen, es funktioniert. Wir haben jetzt hier zwölf Institutionen gefunden, die da mitarbeiten, wir haben über 150 Primaten getestet von elf unterschiedlichen Spezies, und das zeigt einfach, es funktioniert."
Und die Publikation hat das Interesse weiterer Forschungseinrichtungen geweckt, die mitmachen wollen. Das, sagt Bohn, geht nur, wenn die vereinbarten wissenschaftlichen Standards bei der Studienanordnung und -dokumentation gewährleistet sind und die Ethikrichtlinien eingehalten werden. Beispielsweise dürfen die Tiere nicht durch Futter- oder Wasserentzug zum Mitmachen genötigt werden. Welche Studien hier zukünftig durchgeführt werden, soll im Verbund entschieden werden.
Bohn interessiert sich vor allem für Kommunikation und Gesten. Ob und welche Menschenaffen auf etwas Abwesendes zeigen können - auf einen leeren Teller, auf dem vorher Trauben lagen, beispielsweise. Fragen, die Bohn auch im Rahmen von ManyPrimates für spannend hält, denn bisher sind auch hier die Erkenntnisse nicht eindeutig. Nicht mal für die relativ viel beforschten Schimpansen.
"Manche Leute sagen, nee, die machen das nicht und nehmen das so als Anlass, das als spezifisches menschliches Moment zu sehen und andere wiederum sagen, nee die können das doch."
Wenn sich Schimpanse Lobo während der Studie an den Kopf greift und die Augen verdeckt, will er dann ebenso Unverständnis zum Ausdruck bringen, wie Menschen die sich an den Kopf greifen? Auch diese Frage ließe sich theoretisch im Rahmen der Forschungskooperation Many Primates klären, sagt Manuel Bohn.