Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Primatenversuche in der Schweiz
Praktisch verboten

In der Schweiz ist nicht nur die Würde des Menschen gesetzlich verankert, sondern auch die Würde der Kreatur an sich. Ein hoher Anspruch, der in einer strengen Tierschutzverordnung umgesetzt wird und in Teilen des Landes dazu führt, dass Forschungsprojekte mit Primaten gar nicht mehr durchgeführt werden können. Eine Entwicklung, die für die Forschungslandschaft nicht ohne Konsequenzen bleibt.

Von Anneke Meyer | 28.06.2015
    Zwei Rhesusaffen und ihre Jungen sitzen auf einer Mauer
    Seit 2009 finden an der ETH Zürich sowie an der dortigen Uni keine invasiven Versuche mit Primaten mehr statt. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    "Also spezifisch auf die Primatenforschung hat das sicher einen großen Einfluss. Es gibt sicher weniger Leute, die überhaupt damit anfangen würden, Primatenforschung zu planen, gerade hier in Zürich. Aber das wird dann irgendwann problematisch, weil dann gleichzeitig auch in der Schweiz Forschung dann schon ausgelagert wird ins Ausland. Und das kann nicht das Ziel sein. Also schlussendlich wollen wir die Bedingungen für die Tiere verbessern und garantieren, dass das Wohl der Tiere geschützt ist. Und das soll und das können wir am besten, wenn die Versuche in der Schweiz stattfinden."
    Der Affenstall des Instituts für Neuroinformatik in Zürich. Der Boden ist mit Stroh bedeckt. Äste dienen als Klettergerüst. Von der Decke baumeln Wäschekörbe.
    "Viel ist eigentlich Teil des Enrichments. Da wird zum Beispiel das Futter verstreut, damit sie das suchen müssen. Die große Herausforderung ist eigentlich, dass man die Tiere beschäftigt."
    Nagetiere seien für die Hirnforschung oft nicht geeignet
    Bisher steht Valerio Mante allerdings mit leeren Gehegen da. Er ist von der renommierten Stanford University an das Doppelinstitut von Uni und ETH Zürich gewechselt, um hier das Vernunftzentrum des Gehirns, den Präfrontalen Kortex, zu untersuchen. Es geht um das Verständnis psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie, im besten Fall um eine Therapie. Weil Nagetiere viele der relevanten Hirnabschnitte nicht haben, kommen als Versuchstiere nur Primaten in Frage. Bis die endlich ins Gehege einziehen dürfen, muss Valerio Mante erst einmal seine Mitarbeiter beschäftigen:
    "Wir arbeiten momentan eigentlich nur mit Daten, die ich schon aus den USA hatte, weil mein Gesuch hier blockiert ist."
    In der Schweiz hat Tierschutz einen besonderen Stellenwert. Die "Würde des Tieres" ist seit 1992 sogar per Volksabstimmung in der Bundesverfassung verankert. Entsprechend streng ist das Genehmigungsverfahren.
    "Also das Verfahren hat zwei Phasen sozusagen. In einer ersten Phase wird ein Gesuch von einer Tierversuchskommission begutachtet. Schlussendlich kommt es zu einem Entscheid der Tierversuchskommission, der in meinem Fall klar positiv war. Und darauf hinaus hat das Veterinäramt auch eine Bewilligung für diese Versuche erstellt."
    Aber grünes Licht hat Valerio Mante trotzdem nicht. Das liegt an einer Besonderheit im Kanton Zürich: Drei Mitglieder der elfköpfigen Tierschutzkommission können gemeinsam Einspruch gegen den Mehrheitsbeschluss einlegen. Drei, das ist auch die Anzahl der Vertreter von Tierschutzorganisationen in dem Gremium.
    "Und das ist, was in meinem Fall passiert ist. Und das kann jetzt im Prinzip meine Forschung über Jahre hinweg blockieren."
    In Berufung auf die schwer zu definierende Würde des Tieres kann quasi jede Form von Tierversuch gestoppt werden. Eine Erfahrung, die vor Valerio Mante auch andere Forscher schon gemacht haben. Seit 2009 finden an ETH und Uni keine invasiven Versuche mit Primaten mehr statt. Die betroffenen Wissenschaftler sind aus der akademischen Forschung ausgestiegen oder haben die Ausrichtung ihrer Forschung geändert.
    Die Absicht der Tierschützer ist damit nicht unbedingt erreicht. Obwohl die Zahl der Tierversuche in der Schweiz insgesamt sinkt, nimmt der Anteil, der an Hochschulen und Kliniken durchgeführt wird, eher zu. Die Zahl der Affen hat sich zwar in den letzten 15 Jahren auf etwa 100 halbiert. Die der Mäuse hat sich dagegen verdreifacht, auf über 250.000.
    Für Grégoire Courtine, Professor an der Polytechnischen Hochschule in Lausanne, ist diese Entwicklung nicht der Weisheit letzter Schluss.
    "Es gibt so viele Fehlschläge beim Übertragen von Forschungsergebnissen in die Klinik. Das können wunderbare Entdeckungen in Nagern sein. Aber es hilft den Menschen nicht. Und das liegt auch daran, dass wir nicht den Weg über Primaten gehen."
    In seinem Labor in Lausanne lässt Grégoire Courtin querschnittgelähmte Ratten wieder laufen. Dazu stimuliert er das intakte Nervensystem der bewegungsunfähigen Hinterbeine mit Strom. Teile des zerstörten Rückenmarks können so wieder regenerieren. Bevor er sich traut, Patienten zu behandeln, untersucht er kritische Punkte erst in Primaten. Bis er dafür eine Genehmigung in der Schweiz bekommt, wollte er aber nicht warten.
    "Derzeit führe ich meine Experimente in China durch, bei einer privaten Firma. Das ist sehr effizient. Wir halten uns auch dort an die Europäischen Richtlinien, haben eine Ethikkommission und gute Tierhaltung."
    Auch andere Wissenschaftler verlagern ihre Forschung ins Ausland. Nach China, wo es kein offizielles Tierschutzgesetz gibt, oder in europäische Länder, in denen Primatenforschung mehr Rückhalt hat. Für Valerio Mante ist das allerdings keine Option.
    "Ich bin Optimist und ich mache mir auch wirklich Sorgen, dass es möglich sein soll für eine kleine Minderheit, Forschung zu blockieren. Und ich glaube, da muss man unbedingt dagegen kämpfen."