Dienstag, 21. Mai 2024

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Prionen aus dem Reagenzglas

Genetik. – Der Rinderwahnsinn BSE oder die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen werden nach Überzeugung der meisten Forscher ausschließlich durch Eiweisse ausgelöst. Ein Experiment, das in der aktuellen "Cell" veröffentlicht wird, könnte diesen Ansatz beweisen.

Von Volkart Wildermuth | 22.04.2005
    Prionen sind keine Lebewesen, sie sind bloße Chemie. Und trotzdem können sie sich in der geeigneten Umgebung vermehren. Ihr Biotop ist das Gehirn, denn hier findet sich die natürliche Variante des Prion-Proteins. Dieses Eiweiss kann in zwei Formen vorliegen. Im gesunden Gehirn hat es eine eher weiche Struktur. Die krankhafte Variante dagegen ist starr und hart. Kommt dieses harte Prion-Protein ins Gehirn, wirkt es wie ein Stempel, der das gesunde Eiweiss in die kranke, die starre Form presst. So werden aus einem krankhaften Prion-Protein schnell zwei, aus zwei vier und immer so weiter, bis die Nervenzellen an den harten Fasern zugrunde gehen und das Gehirn immer weniger in der Lage ist den Körper zu steuern. Dieses Modell der Prioneninfektion klingt überzeugend. Doch es bleiben Zweifel, denn bislang ist es niemand gelungen, die krankhaften Prionen im Reagenzglas zu vermehren. Mit einer neuen Methode hatte Professor Claudio Soto von der Universität von Texas in Galveston jetzt Erfolg.

    "Wir können im Reagenzglas das natürliche Geschehen exakt nachstellen. Wir starten mit Prionen aus dem Gehirn kranker Hamster und vermehren sie. Dann verdünnen wir das Ganze, bis von dem Ausgangsmaterial nichts mehr übrig ist. Das künstlich erzeugte Prion vermehren wir weiter und infizieren damit Versuchstiere und diese Hamster werden krank."

    Zuerst wirken die Hamster unruhig, dann entwickeln sie Bewegungsstörungen, rund 170 Tage nach der Infektion mit den Reagenzglas-Prionen sterben sie schließlich. Ihr Gehirn zeigt die typischen schwammartigen Löcher einer natürlichen Prioneninfektion. Es gab schon früher Versuche, Prionen entweder chemisch zu synthetisieren oder sie gentechnisch in Bakterien herzustellen, aber mit dem so erhaltenen Material ließen sich keine normalen Tiere infizieren. Claudio Soto verwendete dagegen Hirnextrakte aus gesunden Hamstern, die reichlich natürliches Prionprotein enthalten. Diesem Rohmaterial konnten dann winzige Spuren krankhafter Prionen ihren Stempel aufdrücken, so dass große Mengen starrer Prionfasern entstanden. Mit Ultraschall wurden die Fasern zerkleinert und dazu verwendet, weiteres Rohmaterial zu infizieren. Am Ende konnte Claudio Soto infektiöse Prionen isolieren, die ganz sicher im Reagenzglas entstanden sind. Die Methode funktioniert auch, wenn alle Erbsubstanz entfernt wurde, damit steht fest: Anders als alle anderen Erreger bestehen Prionen wirklich nur aus Eiweiss. Allerdings ist das Stempelmodell der Infektion wohl doch etwas zu einfach. Soto:

    "Wenn wir das normale Prionprotein isolieren und gereinigtes krankhaftes Prionprotein dazugeben, also nur mit den beiden Eiweissen arbeiten, findet keine Vermehrung statt. Erst wenn wir den Rest des Gehirnextraktes zufügen beginnt die Reaktion. Das heisst, das für die Umwandlung noch ein weiteres Eiweiss benötigt wird. Daran sind wir sehr interessiert und denn das könnte ein neuer Ansatz für eine Therapie der Prionerkrankungen sein."

    Claudio Soto hofft, den mysteriösen Faktor X schon bald aus dem Gehirn isolieren zu können. So wichtig er aber auch sein mag, er ist nicht Teil des Erregers. Der besteht ausschließlich aus der krankhaften, starren Variante des Prionproteins. Dabei kann das Prioneiweiss verschiedene dieser starren Formen annehmen, die jeweils unterschiedliche Symptome verursachen. Obwohl sie chemisch identisch sind lösen die Erreger mehrere unterscheidbare Krankheiten aus. Das galt lange als kaum glaubhaft und deshalb als starkes Argument gegen die Vorstellung, dass Prionen wirklich nur aus Eiweiss bestehen. Soto:

    "Wenn wir Prionen nehmen, die unterschiedliche Formen der Krankheit auslösen, und wir vermehren sie im Reagenzglas, dann erhalten wir Prionen, die jeweils die gleichen Symptome verursachen. Das ist ein eindeutiger Beweis, dass die ganze Information über die besondere Krankheitsvariante in der Struktur des falsch geformten Prions steckt."

    Wie unterschiedliche Stempelformen können die verschiedenen Prionenstämme das natürliche Eiweiss jeweils nach ihrem Bilde formen. Für diese besondere Form der Vererbung sind die normalen genetischen Moleküle DNA und RNA überflüssig. Mit den Experimenten von Claudio Soto dürfte endgültig feststehen, dass die Prionen den Rekord für den kleinsten Krankheitserreger halten. Sie bestehen wirklich nur aus einem einzigen, bösartigen Eiweissmolkül.