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Prishtina Calling

Dass in der Medienlandschaft des Kosovo eher nationalistische Töne vorherrschen, überrascht kaum. Aber von einem Hügel hoch über Pristina sendet ein kleiner Radiosender Störgeräusche in den nationalistischen Konsens: Radio Urban FM. Aus dem kleinen, einstigen Piratensender ist die Plattform für Kosovos junge urbane Gegenkultur geworden.

Von Sven Töniges |
    Samstag, Punkt 18 Uhr über den Dächern von Prishtina. MC PamOn und MC Ismi ziehen den Regler hoch: "Slang Bangers" hebt an, die populäre wöchentliche Hip-Hop-Sendung auf Radio Urban FM, Kosovos alternativem Radiosender.

    Dann, mit einem Schlag erlischt das abendlich funkelnde Prishtina draußen vorm Studiofenster: Stromausfall mal wieder, nicht zum ersten Mal heute.

    Unaufgeregt kümmert man sich um das Notstromaggregat. Nebenan in den Redaktionsräumen sitzt derweil Arient Abdülyhe bei Kerzenlicht und erklärt das Musikkonzept des Senders; denn Hip-Hop, Alternative oder Techno - für den Chef von Radio Urban sind diese Genres kein Selbstzweck:

    "Selbst in den neunziger Jahren unter strikter serbischer Herrschaft und Apartheid gab es in Prishtina eine sehr gut entwickelte Subkultur. Es gab alles: Heavy Metal, Hip-Hop, Gothic, was auch immer. Aber seit dem Krieg löst sich alles auf in einem Mainstream aus Turbo-Folk und volkstümlicher Musik. Schuld sind die großen Fernsehsender, die bringen den ganzen Tag irgendwelche Seifenopern mit Turbo-Folk-Stars. Inzwischen sind die zum Rollenmodell für albanische Familien geworden. Wir versuchen, gegen zu steuern und unterstützen alternative, kritische Künstler und Bands, die nirgendwo sonst Sendezeit kriegen."

    Ein staatlicher Fernsehsender und zwei private teilen sich den Markt im Kosovo. Gegen ihre Monokultur aus nationalistischer Folklore sendet Radio Urban bereits seit 1999 tapfer an. Damals, unmittelbar nach dem Krieg, gründete Arient gemeinsam mit einem Freund das Radio. Und schon damals hatten sie mehr im Sinn, als nur alternative Musik:
    "Von Beginn an wollten wir Debatten über Tabu-Themen anstoßen. Wir hatten zum Beispiel lange Zeit eine wöchentliche Mode-Sendung mit einem offen homosexuellen Moderator. Natürlich erhielten wir Drohungen, aber wir machten weiter. 2001 brachten wir das erste Interview nach dem Krieg auf Serbisch! Das war mit einem Belgrader Journalisten, einem der Macher von Radio B-92, das wir sehr respektieren. Na ja, ich will nicht sagen, dass wir B-92 kopieren, aber der Sender war schon ein Vorbild für uns, inwieweit Medien die Gesellschaft beeinflussen können. Schließlich war nicht zuletzt Radio B-92 für den Sturz Milosevics verantwortlich."

    Kein Wunder also, dass die Regierung des Kosovo den Sender mit einigem Argwohn beäugt; unabhängige Berichterstattung steht - paradoxerweise - gerade seit den heftigen Unruhen im März 2004 unter verschärfter Beobachtung

    "Dem staatlichen Fernsehen RTK wurde vorgeworfen, die Unruhen geschürt zu haben. Das führte letztlich dazu, dass heute gar nicht mehr über Demonstrationen berichtet wird. Wir denken, das ist falsch: Um etwas über eine Demo direkt vor deiner Haustür zu erfahren, musst du BBC oder Deutsche Welle einschalten. Also schicken wir unsere Reporter mit Funkgeräten raus, sie berichten dann live und stehen mit den Organisatoren, den Sicherheitskräften oder der UNO-Polizei ständig in Kontakt."

    Mit dieser Agenda ist Radio Urban in Kosovos Medienlandschaft einzigartig. Auf inzwischen 200.000 regelmäßige Hörer bringt man es nach eigenen Angaben. Beachtlich für den einstigen kleinen Piratensender. Zumal Radio Urban mit seinem Rund-um-die-Uhr-Programm angewiesen bleibt auf spärliche Werbeeinnahmen und Spenden. Wer glaubt, etwa die UN-Verwaltung unterstütze nach Kräften den Sender als Garanten für Medien-Pluralismus, der täuscht sich:

    "Grundsätzlich haben wir zwar keine Probleme mit der Regierung und UN-Verwaltung. Aber wir sind auch nicht gerade ihr Lieblingssender: In neun Jahren haben die noch nicht einen Werbe-Spot bei uns geschaltet und uns schon gar nicht sonst wie finanziell unterstützt. Wir sind denen wohl zu kritisch."

    Unterdessen kann es weitergehen: Der Strom ist wieder da. MC PamOn und Ismi schicken wieder Hip-Hop hinaus ins samstagabendliche Kosovo, UFO-Click, die zurzeit angesagteste heimische Hip-Hop-Formation.