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Privatschulen liegen im Trend

Pro Woche werden in Deutschland ein bis zwei neue Privatschulen gegründet. Bis zu einhundert neue Schulen entstehen pro Jahr, besonders in Ostdeutschland. Hier gab es vor 1989 keine Internate oder Tageschulen in freier Trägerschaft. Bundesweit holen Privatschulen auf. Das liegt daran, dass der Zuspruch anhält und es leichter geworden ist, neue Schulen zu gründen.

Von Katrin Sanders | 09.08.2008
    Am Anfang steht die große Unzufriedenheit und der Wunsch nach einer anderen Pädagogik - darin unterscheidet sich der Hamburger Schulversuch der Sängerin Nena nicht von den Motiven anderer Eltern, die sich aufmachen, eine Schule für ihre Kinder zu gründen:

    "Ich möchte, dass meine Kinder gerne zur Schule gehen. Ich möchte, dass jedes Kind in diesem Land gern zur Schule geht. Es ist einfach nicht richtig, dass die meisten Kinder zur Schule gehen wie zum Zahnarzt."
    Voller Elan und Engagement werden Eltern, denen es langt, zu Schulgründern. Gerade sie sind es, auf die heute neu entstehende Privatschulen zurückgehen. Daneben gründen erfahrene Profis, die eine pädagogische Vision von Schule haben, sagt Roman Friemel, Geschäftsführer des Privatschulverbands NRW:

    "Die schon seit langem ein gutes pädagogisches Konzept in der Schublade haben, die immer darauf warten nur ergibt sich nicht die Chance, das ganze umzusetzen. Dann ergibt sich irgendwann die Situation und man sagt, man hat gute Säulen, gute Pädagogen, die auch willig sind an der Vision zu arbeiten."
    So oder so: Schulgründungen sind kein Betätigungsfeld für Spontis. Gründungszeiträume von zwei bis drei Jahren sind Minimum. Konzept, Gebäude und immer schwieriger zu bekommen: gute Lehrer, das sind die Eckpunkte. Dazu noch die Finanzierung. Dass die meisten Gründer dran bleiben und Insolvenzen die Ausnahme sind, spricht für die Risikobereitschaft und das hohe Eigeninteresse. Dies ist aktuell auch erkennbar an Schulgründen aus der Wirtschaft:
    "Da gibt es sehr gute mittelständische Betriebe, die Angst haben, dass sie das Personal nicht mehr bekommen können, aufgrund des demografischen Wandels, das sie brauchen um gut arbeiten zu können. Deswegen versucht man hier, vernünftig verzahnt die schulische Ausbildung mit der praktischen Ausbildung und ich denke, dass da ein gutes Paket geschnürt werden kann, das auch den Unternehmen dient."
    Jede fünfte berufsbildende Schule ist in privater Hand. Solche Bildungsangebote dürfen durchaus auch "auf dem Land" liegen. Private Grund-, Realschulen oder Gymnasien aber gibt es vornehmlich in Städten und Ballungszentren. Hier können freie Schulen Profil zeigen und gegenüber dem staatlichen System punkten:

    "Vielleicht bildet es nicht das ab, was ich brauche für Hochbegabte oder für Kinder, die Lernschwierigkeiten haben, die über Lese-Rechtschreibschwäche klagen oder Diskalkulie, die muss ich individuell fördern in einem kleine System und das kann der Staat im Moment nicht abbilden, das ist einfach so."
    Gute Gründe fürs Gründen. Von einem Boom zu sprechen, geht aber wohl zu weit. Der Anteil der Privatschulen liegt bei den allgemein bildenden Schulen bei knapp acht Prozent. In Bayern ist jede zehnte Schule in freier Trägerschaft.

    Zuwächse bewegen sich im Bereich der Stellen hinterm Komma. Zum Vergleich: In den Niederlanden ist der Privatschulanteil mit 76 Prozent fast zehn Mal so hoch. Dabei sind die Wartelisten auch hierzulande oft lang. Eltern sind bereit für private Bildung zu zahlen: Für sie geht es ums Schulprofil und den Ganztagsbetrieb an vielen Privatschulen. Und nicht zuletzt wissen Eltern und Schüler auch die kleinen klimatischen Vorzüge zu schätzen:

    "Es ist eine kleine Schule, überschaubar, es ist eine schöne Atmosphäre und auch dass hier der Stundenausfall gering ist.

    Die Klassen sind bedeutend kleiner, die Schulen sind kleiner. Probleme mit Müll haben wir nicht und auch die Räume sind sauberer."
    Etwa 80 Prozent der 4700 Privatschulen bundesweit sind traditionsreiche Gründungen der Kirchen. Neue Gründungen kommen vor allen Dingen aus der Walldorfpädagogik oder sind freie Initiativen, die weder kirchlich, noch weltanschaulich gebunden sind. Die antiautoritäre Schule der 70er ist in diesem Portfolio allerdings ebenso eine Ausnahme wie die Kaderschmiede.

    Ob Elite oder Elterninitiative - besonders die neuen Bundesländer holen auf in Sachen Privatschule und auch Nordrhein-Westfalen erlebt ein Zwischenhoch bei den Gründungen. Das führt Roland Friemel vom Privatschulverband auf den Regierungswechsel 2005 zurück:

    "Der Wettbewerb zwischen staatlichem Schulwesen und Privatschulwesen ist gewollt, ist politisch auch gewollt. Das ist eine grundsätzliche Neuerung. Und man hat politisch auch die Weichen ein wenig anders gestellt an der ein oder anderen Stelle: Da geht um kleine Dinge an der ein oder anderen Stelle. Man hat gesagt: Wie hoch muss die Sicherheitsleistung sein, um eine Privatschule gründen zu können. Aber es geht auch um pragmatische Dinge, muss ich Arbeitsverträge schon vorhalten bei der Antragstellung oder reichen die Anzeigen. Und deswegen ist auch wichtig, dass das Verfahren neu strukturiert wird und das ist auch geschehen."
    Privatschulen gelten inzwischen als zweite Säule im System - egal ob als Promigründung oder mit traditionsreichem Hintergrund. Alexander Luckow jedenfalls, Sprecher der Hamburger Schulbehörde, sieht Wettbewerbsvorteile:
    "Aus unserer Sicht eine Entwicklung, die langsam fortschreitet, die aber eine gesunde ist, denn Konkurrenz belebt das Geschäft und unsere staatlichen Schulen können da nur profitieren."