Diedrich: Das Embryonenschutzgesetz wurde 1991 verabschiedet. Es hat uns damals den gesetzlichen Rahmen aufgezeigt, in dem wir arbeiten dürfen. Sprich, was dürfen wir machen, was so wenig machen. Das hat den Vorteil gehabt, dass damit auch der Gesellschaft deutlich gemacht wurde, dass ein Missbrauch dieser neuen Techniken unter Strafe steht. Aber es hat natürlich uns auch einen sehr restriktiven Rahmen gegeben, sodass der Fortschritt, der sich auf diesem Sektor doch gezeigt hat in den letzten Jahren, eher im Ausland sich abspielt und nicht in Deutschland. Und dieser Fortschritt geht durchaus auch zu Lasten unserer Patienten. Das ist eigentlich der Hauptpunkt, weshalb ich gesagt habe, dass das Embryonenschutzgesetz letztlich doch versagt hat und unbedingt überholungsbedürftig ist.
Krauter: Inwieweit profitiert dieser Vorstoß von den Äußerungen der Bundesjustizministerin?
Diedrich: Wir arbeiten ja schon sehr lange daran und erscheint ja hier durchaus schon etwas Bewegung herein zu kommen. Aber ich glaube nicht, dass die Justizministerin das in ihrer Rede in der Humboldt-Universität so ganz alleine aus einer Sonntagslaune heraus gesagt hat. Das heißt, man denkt schon darüber nach, den Umgang mit den Embryonen etwas differenzierter zu sehen. Die These von Frau Zypries ist ja, dass ein Embryo erst dann die Würde hat und damit unter den Schutz des Grundgesetzes, Artikel 1, fällt, wenn er sich auch in die Gebärmutter eingepflanzt hat. Erst durch diese Tatsache wird er zu einem Menschen, der auch Würde hat. Während sie auf der anderen Seite sagt, der Embryo im Reagenzglas hat diese Würde eben noch nicht.
Krauter: Wobei sich die Ministerin explizit gegen die Präimplantationsdiagnostik (PID) gewandt hat. Fassen wir zunächst noch einmal die Argument für die PID zusammen? Gibt es wirklich klare Belege für die Verringerung der Mehrlingsschwangerschaften und die Vermeidung von Fehlbildungen?
Diedrich: Nein, so würde ich das nicht nennen. Es ist nicht so, dass schon belegt ist, dass die Präimplantationsdiagnostik dazu führt, die Einpflanzungschance eines Embryo zu verbessern. PID ist eine Methode, um schon einen Embryo im Reagenzglas auf eine Erbkrankheit, die in der Familie vorkommt, zu untersuchen und nur denjenigen Embryo dann in die Gebärmutter einzupflanzen, der nicht Träger dieser Erbkrankheit ist. Wenn Sie so wollen, ist es eine vorgezogene pränatale Diagnostik, die sonst ja erst in der Schwangerschaft gemacht wird. Die Qualität eines Embryo, sprich die Einpflanzungsfähigkeit, können wir heute durchaus auch gut nach alleine morphologischen Kriterien beurteilen können, das heißt, wie sieht ein Embryo am zweiten oder dritten Tag nach der Gewinnung der Eizelle unter dem Mikroskop aus, ist er zum Beispiel gleichmäßig geteilt. Wenn in diese Kriterien erfüllt, dann wissen wir, dass dieser Embryo eine Chance von etwa 40 Prozent hat, sich einzunisten und zu einer Schwangerschaft zu führen.
Krauter: Aber diese Kriterien dürfen heute in Deutschland nach geltendem Recht nicht verwendet werden!
Diedrich: Nach dem Embryonenschutzgesetz ist es so, dass wir drei Eizellen befruchten dürfen. Wenn es zu einer Befruchtung kommt, müssen wir diese drei Embryonen auch in die Gebärmutter zurücksetzen. Das bedeutet natürlich, dass wir damit auch ein höheres Risiko einer Zwillings- und Drillingsschwangerschaft haben. Das Risiko ist in Deutschland im Vergleich zum Ausland deutlich höher, etwa 30 Prozent. Wir wissen, dass Mehrlingsschwangerschaften die Gesundheit der Frau und natürlich auch der dann meist zu früh geborenen Kinder gefährden. Ziel einer jeden Kinderwunschbehandlung muss daher die Einlingsschwangerschaft sein. Dies können wir nach dem derzeitigen Gesetz nicht. Die Länder um Deutschland herum – Belgien Skandinavien, aber auch Frankreich – zeigen uns jedoch, dass es möglich ist, die Chancen einer Schwangerschaft durch die Reagenzglasbefruchtung zu erhöhen und gleichzeitig das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft zu senken.
Krauter: Das ist aber im Prinzip doch ein Plädoyer für die Präimplantationsdiagnostik, denn auch die visueller Beurteilung der Embryonen könnte ja unter diesen Begriff fallen!
Diedrich: Das ist richtig. Wenn Sie so wollen, ist das eine abgewandelte Präimplantationsdiagnostik. Unter PID verstehen wir im eigentlichen Sinne die Entnahme einer Zelle aus dem Embryo, und dann die Untersuchung dieser Einzelzelle auf die genetische Erkrankung, die in der Familie vorkommt. Aber wenn Sie so wollen, ist natürlich die morphologischen Beurteilung des Embryos, ohne dass wir Zellen entnehmen müssen, durchaus auch eine Art Diagnostik vor der Implantationen, sprich Präimplantationsdiagnostik.
Krauter: Nun hat sich die Bundesjustizministerin explizit mit den Argument des Dammbruchs gegen Präimplantationsdiagnostik ausgesprochen. Wenn man gute und schlechte Embryo trennt, wer garantiert, dass die Auswahl möglicherweise später nicht noch weitergeht. Was sagen Sie dazu?
Diedrich: Ich meine, dass sie an diesem Punkt etwas widersprüchlich ist. Sie sagt auf der einen Seite, der Embryo im Reagenzglas hat noch keine Würde, die Frau kann darüber frei verfügen, wie auch in der Schwangerschaft. Dann meine ich, sollte auch die Präimplantationsdiagnostik nicht verboten sein. Natürlich gibt es bei der Präimplantationsdiagnostik die Möglichkeit, festzustellen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Das wollen wir aber gar nicht. Wir wollen eine genetische Erkrankung ausschließen. Und wenn man bestimmte gesetzliche oder auch berufsrechtliche Richtlinien erarbeitet, dann glaube ich schon, dass man diesen Missbrauch durchaus verbieten kann oder unter Sanktionen stellen kann. Das heißt also, ich glaube nicht, dass es richtig gedacht ist, eine Methode zu verhindern, nur weil sie missbraucht werden kann. Man muss den Missbrauch unter Strafe stellen, um den Teil dieser Methode, der vielleicht für einige Betroffene hilfreich sein kann, dann auch einzusetzen.