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Proben für den Ernstfall

Eine Narkose ist heutzutage Routine. Zu gefährlichen Zwischenfällen kommt es nur sehr selten. Allerdings: Wenn ein Patient plötzlich unter Atemnot leidet oder sein Herz aufhört zu schlagen, dann geht es um Leben und Tod. Anästhesisten müssen dann sehr schnell das Richtige tun. Doch das kann man trainieren.

Von Marieke Degen | 12.05.2009
    Ein Operationssaal in der Uniklinik Leipzig. Eine Anästhesistin springt für ihren Kollegen ein.

    "Hallo! -

    Hallo. Ich bin der Kollege. Sie lösen mich ab?

    Ja. das ist schön, ich hatte heute nämlich noch keine Pause

    Was ist mit der Antibiose?

    Läuft noch."

    Auf dem Tisch ein junger Mann Mitte 20. An seinem Fuß klafft eine große Fleischwunde. Die Narkose ist gerade eingeleitet worden, und die Chirurgen wollen anfangen zu arbeiten.

    "Der Patient zieht immer noch die Zehen weg!"

    Die Anästhesistin wirft einen prüfenden Blick auf den Überwachungsmonitor: Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung des Blutes.

    "Und er wird nicht beatmet im Moment. Jetzt müssen wir erstmal gucken, dass wir manuell umschalten - genau."

    Plötzlich blinkt es auf dem Überwachungsmonitor. Der Blutdruck des Patienten fällt ab, sein Herz schlägt schneller. Die Anästhesistin spritzt ihm ein Medikament, das den Blutdruck wieder ansteigen lassen soll. Doch dann der nächste Schreck: Der Patient hat kaum noch Sauerstoff. Hektik bricht aus. Die künstliche Beatmung klappt nicht mehr.

    "Er ist ganz schlecht zu beatmen, ich krieg jetzt auch keine Luft mehr rein

    Ja, Sie müssen doch bitte eine Pause machen, wir haben gerade keinen Druck mehr bei dem Patienten, unterbrechen Sie bitte die Operation!"

    Was ist los mit dem Patienten? Ein allergischer Schock, tippt die Anästhesistin. Am Anfang der Operation hat der junge Mann Penicillin bekommen und offenbar nicht vertragen. Seine Atemwege haben sich verengt - eine lebensbedrohliche Situation.

    "Also ich sehe keine CO2-Kurve, aber ich sehe ein CO2, das ist das, was mich hier verwundert an dem Monitor, es ist keine Kurve da. Ah, jetzt kommt eine Kurve. 2,5 Milligramm Adrenalin ..."

    Die Ärztin spritzt Adrenalin. Es wirkt. Die Atemwege weiten sich, der Patient bekommt wieder Luft. Der Notfall ist gemeistert.

    "Vielen Dank allen Beteiligten für das schöne Szenario, es ist jetzt beendet. Wir treffen uns im Debriefing-Raum. Vielen Dank."

    Erschöpft zieht sich die Anästhesistin das Headset vom Kopf. Ihre Kollegen im Kontrollraum nebenan nicken zufrieden. Sie haben jeden Schritt genau beobachtet und notiert. Der Operationssaal ist das Herzstück des Leipziger Simulationszentrums, der Patient: Ein Plastikdummy. Seit zwei Jahren können hier ausgebildete Ärzte gefährliche Situationen trainieren - wie Piloten in einem Simulationscockpit. Dazu zählen auch Narkose-Zwischenfälle, die in der Praxis zum Glück nur sehr selten vorkommen. Volker Thieme leitet das Simulationszentrum. Er hat heute einen der beiden Chirurgen gespielt:

    "Die Anästhesie ist gekennzeichnet durch - wenn alles gut läuft - mit Panik durchsetzte Langeweile. Es gibt also Situationen, die ganz schnell ziemlich schlimme Folgen haben können. Der Anästhesist muss sehr rasch handeln, sehr zielgerichtet handeln, und was ganz entscheidend ist, er muss gut kommunizieren. Und das trainieren wir hier. Wir simulieren hier lebensbedrohliche Situationen und setzen die Kollegen, die hier herkommen, richtig unter Stress."

    Die Anästhesistin heute habe sich dabei gut geschlagen, sagt Volker Thieme.

    "Die Kunst ist, das Chaos zu beherrschen, durch zielgerichteten Einsatz der Ressourcen, dass man gut kommuniziert und jeder Bescheid weiß, was los ist im OP-Saal. Und das ist eigentlich ganz gut gelaufen."

    Auch die Anästhesistin hat vom Training viel mitgenommen, zum Beispiel, dass sie sich im Operationssaal besser durchsetzen muss - gerade gegenüber den Chirurgen.

    "Ich hab einfach gelernt, ich darf es nicht als Selbstverständlichkeit nehmen. Ich muss es auch weitergeben, ich muss auch sagen, jetzt brauch ich hier Ruhe, ich möchte vielleicht jetzt auch einfach mal, dass die Operation angehalten wird, und dass sich jetzt hier jeder der im Raum ist wirklich nur um den Patienten und um das Problem, das der Patient hat, kümmert."

    Ihre größte Angst, sagt sie, sei, eine Situation nicht mehr im Griff zu haben. Doch das sei ihr Gott sei Dank noch nie passiert.