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Probieren geht vor Studieren

Wer mit gerade mal 17 Jahren sein Abitur macht, der weiß gar nicht so recht, was er eigentlich studieren will. Da tut bessere Orientierung not. Das Internat Schule Schloß Salem bietet nun das Salem-Kolleg - eine Art Übergangsjahr zwischen Schulabschluss und Studienbeginn.

Von Thomas Wagner | 16.09.2013
    Das mit der Abi-Prüfung haben sie gut hingekriegt:

    "Ich habe einen Abiturschnitt von 1,6."

    "Ja, das ist gut gelaufen: Ich habe einen 1,1er-Schnitt."

    Leonie Erbenich und Christian Poensgen könnten mit ihrem Abi-Schnitt fast alles studieren, was sie wollen. Das Problem ist aber: Was sie wirklich wollen, wissen sie gar nicht so genau.

    "Es gibt da so viele Möglichkeiten, auch wenn man einen guten Schnitt hat, das man gar nicht so weiß, in welche Richtung man gehen soll."

    "Das wäre ja genau das größte Problem: Ich könnte eigentlich alles machen. Aber genau deshalb möchte ich mich noch einmal orientieren und schauen, was ich wirklich machen möchte."

    Aus diesem Grund sind Leonie Erbenich, Christian Poensgen und 20 weitere Abiturienten aus dem In- und Ausland in die Räume des Internats Schule Schloss Salem bei Überlingen eingezogen, ganz in Bodenseenähe. Sie sind die Ersten, die im neu gegründeten Salem Kolleg, einem neuen Bildungsangebot des Internats, eine Art Überbrückungsjahr zwischen Abitur und Beginn des Studiums absolvieren.

    "Es geht darum, den Kollegiatinnen und Kollegiaten einen Zugang zu ihrem Kerntalent zu öffnen. Sie werden allerdings immer interdisziplinär gefordert sein und begleitend über Berufsberatung immer weiter den Blick dafür schärfen, in welchem Bereich sie später nicht nur erfolgreich arbeiten werden, sondern vor allem glücklich werden können","

    erläutert Schulleiter Bernd Westermeyer. Ein Jahr lang haben die Kollegiaten, wie die 22 teilnehmenden jungen Frauen und Männer vornehm genannt werden, Zeit, ihre Kerntalente zu entdecken und herauszufinden, was sie später einmal studieren wollen. Dafür bietet das Salem-Kolleg eine Fülle von Kursen mit ganz unterschiedlichen inhaltlichen Akzenten an.

    ""Meine Veranstaltung heißt 'Chemie des Gehirns'".

    "Ich werde im ersten Semester ein Seminar zu den Folgen und dem Verlauf von Bürgerkriegen machen."

    "Am Salemer Kolleg bin ich zuständig für die so genannte Oudoor-Education. Das heißt: Wir schicken die Schüler raus ins Gelände."

    Die zwei Dutzend zumeist externe Dozenten, die im Salem-Kolleg unterrichten, bieten daneben Seminare mit wirtschaftswissenschaftlichen, mathematischen, geistes- und sozialwissenschaftlichen Themen an; Fremdsprachen inklusive, und das alles, wohlgemerkt, in einem einzigen Überbrückungsjahr. Die Kollegiaten sollen sich dabei an die Fachrichtung herantasten, die sie später einmal studieren möchten, erklärt Robert Leicht, Aufsichtsratsvorsitzender der Schule Schloss Salem:

    "Wir können diesen jungen Leuten eine Selbsterfahrung vermitteln. Wir wollen also nicht, den jungen Leuten das erste Semester Jurastudium abnehmen. Sondern sie sollen herausfinden: Was heißt Denken im Recht. Sie sollen nicht das erste Semester des Physikums hier absolvieren. Sondern sie sollen wissen: Wozu betreibt man medizinische Wissenschaft? Und dann können Sie entscheiden: Welcher dieser Wissenschaftstypen ist eigentlich derjenige, für den ich mein Leben investieren will."

    Denn, so Leicht, die Notwendigkeit des neuen Salem-Kollegs und des Orientierungsjahres habe sich auch aus den Bildungsreformen der vergangenen Jahre ergeben: Die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahren trage nicht unbedingt zur besseren Orientierung über das zukünftige Studienfach bei. Und die Umstellung auf Bachelor und Master an den Unis mit einem deutlich höheren Leistungsdruck nehme Studienanfängern die Chance, an der Uni das eine oder andere Fach mal auszuprobieren. Leicht zieht daraus die Schlussfolgerung, …

    "… das unsere Massenuniversitäten ganz wesentlich versagen, weil sie den Studenten nicht begleitend führen. Wir können diesen jungen Leuten eine Selbsterfahrung vermitteln, dass sie dann den Wirrungen der Universitäten viel stabiler entgegen treten lässt."

    Dafür nähmen zunehmend viele Eltern und angehende Studierende ein Orientierungsjahr in Kauf, das auch die Ausbildung insgesamt verlängere. Aber, so Schulleiter Bernd Westermeyer:

    "Ein guter Wein muss reifen. Und auch ein Mensch muss reifen. Und das Ganze zu beschleunigen, künstlich Fermente zuzusetzen, wird der Qualität nicht dienen. Und wir glauben tatsächlich daran, dass diese Entschleunigung dem Bildungsbereich gut tut. Und im Ergebnis wird man das, was man dann an Zeit verliert, im Beruf immer aufholen, wenn man eine gute Grundlage gelegt hat."

    Vor allem glaubt der Schulleiter fest daran, dass die Neigung, das Studium abzubrechen, bei den Kollegaten des Orientierungsjahres weitaus weniger stark ausgeprägt ist als bei den herkömmlichen Studierenden. Nur: Ein Schnäppchen ist die Teilnahme am Salem-Kolleg nicht. Rund 20.000 Euro müssen in der Regel die Eltern bezahlen, damit die Tochter oder der Sohn mitmachen darf; darin ist allerdings nicht nur der Unterricht, sondern auch Wohnen und Verpflegung im Internat inbegriffen. Für jeden fünften Teilnehmer stehen zwar Stipendien zur Verfügung. Dennoch stellen die 20.000 Euro Schulgeld für viele Interessenten eine unüberwindbare Hürde dar. Robert Leicht, Vorsitzender des Aufsichtsrates, macht dagegen eine ganz andere Rechnung auf:

    "Meine Tochter hat, glaube ich, vier bis sechs Semester studiert, bevor sie ihr Studienfach gefunden hat. Wenn ich die Ausgaben für diese sechs nutzlosen Semester zusammenzähle, war das viel mehr Geld als die Gebühr für das Salem-Kolleg."


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