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Probiotische Schokolade unterm Tannenbaum

Kurz vor Weihnachten überrascht uns ein gemeinsames Ernährungsprojekt von Universitätsforschung und Industrie: Bald ist es nicht mehr nur der Joghurt, der mit für Magen und Darm nützlichen Bakterien angereichert wird. Auch Schokoladen-Nikoläuse könnten bald "probiotisch" sein - Functional Food auf dem Gabentisch ...

Von Volker Mrasek |
    Behälter, Rohrleitungen, Ventile, Motoren, / Druckanzeiger, Pumpen ...

    Der Verfahrenstechniker Darek Lewin beschreibt die Prozessanlage, die er im nächsten Moment in Gang setzen wird . In Reih und Glied stehen sieben glänzende Edelstahl-Tanks, selbst der kleinste noch größer als eine Regensammeltonne. Es wirkt ein bisschen wie in einer Molkerei ...

    Das ist der Fermenter. Der Behälter, in dem die Bakterien wachsen und sich vermehren, um in ausreichender Zahl am Ende zur Verfügung zu stehen.

    Jeder kennt ja die Milchsäurebakterien, die sehr wichtig sind in Milchprodukten. Das ist das, was wir weiterverarbeiten zur Mikroverkapselung.

    Auch der Lebensmittel-Technologe Hartmut Bollinger hat die Anlage jetzt betreten. Es ist eine Pilotanlage. Sie steht rund 60 Kilometer westlich von Stuttgart, in Rosenberg. Dort hat einer der weltgrößten Faser-Hersteller seinen Stammsitz: die Firma Rettenmaier & Söhne.

    Bollinger leitet dort den Geschäftsbereich Lebensmittel, Lewin betreut die Pilotanlage. Mit ihr gelingt es, Milchsäurebakterien lebendig einzukapseln. Und zwar nützliche Arten, von denen man weiß, dass sie unserer Darmflora gut tun, und die deshalb schon heute Joghurts beigemischt werden. Man spricht dann auch von probiotischen Kulturen ...

    Was eben neu ist, ist die Stabilisierung, die wir erreichen, um den Keim universell einsetzbar machen zu können. Kapseln stellt man sich immer vor als sichtbare Kapseln in Tablettenform etc. Wir sprechen hier aber von Mikrokapseln, das heißt wir sprechen von einer Größe von im Durchschnitt 50 Mikrometern, so dass die Kapsel auf der Zunge nicht detektierbar ist.

    Die Verkapselung soll das Anwendungsfeld der probiotischen Kulturen erweitern. Denn sie macht die Milchsäurebakterien robuster, zum Beispiel gegen hohe oder niedrige pH-Werte.

    Hartmut Bollinger schildert den Trick dahinter: Die Mikroorganismen werden zunächst in ein Netzwerk aus natürlichen Weizenfasern gebettet und dann zusätzlich umhüllt, von einer Schale aus Protein- und Zuckermolekülen ...

    Und dieses Netzwerk schützt vor äußeren Einflüssen. Und das Interessante ist auch, dass das Netzwerk sich öffnet bei Bedingungen, die im Magen bzw. im Darm vorherrschen. Die Enzymtätigkeit im Darm, die Temperatur im Darm, der pH im Darm ist die Voraussetzung, dass sich die Kapsel öffnet und diesen Mikroorganismus freisetzt.

    Das fehlt bisher: die Gewähr, dass die probiotischen Bakterien auch wirklich unbeschadet im Verdauungstrakt ankommen.

    Wenn Verbraucher angereicherten Joghurt zu sich nehmen, ist das nicht unbedingt der Fall. Denn im Magen schlingern die Mikroorganismen in ein stark saures Milieu, bei pH-Werten zwischen 1 und 3. Man könnte auch sagen: Sie nehmen ein Bad in Salzsäure. Ungeschützt überstehen die Bakterien das nicht schadlos. Das haben auch Untersuchungen von Benno Kunz gezeigt, Professor für Lebensmittel-Technologie an der Universität Bonn.

    Kunz kam deshalb die Idee mit der Verkapselung. In der Firma Rettenmaier & Söhne fand der Professor einen Partner, der das Ganze nun umsetzt. Fördergelder kamen auch vom Bundesforschungsministerium. Kunz kann sich nun vieles vorstellen:

    Ausweitung der mit Probiotics versetzten Milchprodukte: Speisequark, Frischkäse etc. Wir denken auch an Ausweitung im Wurstbereich: vor allem Rohwurst, Salami - in diese Richtung. Oder in den Bereich der Frischsäfte, die eine sehr gute Zuwachsrate haben, was ernährungsphysiologisch sehr, sehr sinnvoll ist. Und wenn wir da noch zusätzlich dort Probiotics einbringen, ist das ein Vorteil.

    Selbst Süßwaren sollen in Zukunft verkapselte Bakterien-Kulturen enthalten. Laut den Projektpartnern plant ein Hersteller bereits "probiotische Gummibärchen" ...