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Problem gelöst

Die deutsche Textilveredlungsindustrie produziert jährlich 80 Millionen Kubikmeter Färbereiabwässer. Abwässer, die die Umwelt erheblich belasten, wie z.B. die reaktiven Azofarbstoffe, denen zum Teil krebserregende Eigenschaften nachgewiesen wurden. Diese Reaktivfarbstoffe färben das Wasser und haben bisher einen erneuten Einsatz als Prozesswasser im Betrieb verhindert. Doch dank eines Verfahrens, das Wissenschaftler am Institut für Bioverfahrenstechnik der Technischen Universität Braunschweig entwickelt haben, ist das jetzt möglich.

Von Axel Hammerl | 09.12.2002
    Zu rund 60 Prozent werden in der Textilindustrie reaktive Azofarbstoffe verwendet. Sie reagieren mit der zu färbenden Faser, aber nicht vollständig. Die Folge: das Wasser wird verfärbt und organisch hoch belastet. Normalerweise wird das Abwasser zur kommunalen Kläranlage geleitet, wo die Farbstoffe mit großem Einsatz an chemischen Fällungs- und Flockungsmitteln ausgefällt werden. Dadurch entstehen Abfallschlämme, die als hochgiftiger Sondermüll entsorgt werden müssen. Durch das neue Verfahren der Braunschweiger Wissenschaftler fallen die Schlämme in viel geringerem Maße an. Dr. Rainer Krull, maßgeblich an der Entwicklung beteiligt, erklärt, wie es funktioniert:

    Es ist ein biologisch chemisches Verfahren, die Hauptkomponenten ist einmal die anaerobe Vorentfärbung: unter Sauerstoffabschluss werden diese Azofarbstoffe sozusagen gespalten von Mikroorganismen, in ihre Spaltprodukte zerlegt, dabei entfärbt sich das Abwasser, die organische Belastung bleibt aber zum großen Teil erhalten. Anschließend haben wir eine aerobe weitergehende Behandlung, indem dann die Spaltprodukte weiter biologisch abgebaut werden. Und dann haben wir noch eine Restfarbe und eine restorganische Belastung in unserem Abwasser, die dann durch eine chemische Restentfärbung mit Hilfe von Ozon behandelt wird und dann kann dieses Wasser wieder in den Prozess zurückgeführt werden.

    Im Keller des Instituts für Bioverfahrenstechnik laufen Tag und Nacht die Laboranlagen. Hier werden immer neue Abwasserproben mit dem dreistufigen Verfahren behandelt. Die Proben stammen von einem Textilveredelungsbetrieb im sächsischen Meerane. Dort läuft seit Juli diesen Jahres die erste Anlage mit dem neuen Recycling-Verfahren – als Demonstrationsprojekt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert. Dabei werden die Abwässer aus Färberei, Spannerei, Druckerei, Vorbehandlung und Wäscherei in zwei Teilströme aufgeteilt. Der eine wird für die Kläranlage aufbereitet. Der andere wird mit dem dreistufigen Verfahren behandelt. Die Aufgabe der Bioverfahrenstechniker ist es nun, das Verfahren zu optimieren. Dr. Rainer Krull:

    Derzeitig sind wir dabei, immer neue Teilströme zusammenzustellen, inwieweit bestimmte Wassermischungen sich für das Recycling besonders gut eignen. D.h. wir sind permanent in dem Betrieb an den Maschinen dran, nehmen Proben und fahren diese Proben hier im Labor nach mit unserem Verfahren anaerob, aerob, chemische Entfärbung und können daraus Lösungsstrategien oder Verbesserungsstrategien entwickeln, wie das Verfahren noch besser laufen kann.

    60 Prozent der anfallenden Abwässer werden so in dem Betrieb in Meerane recycled. Das ist ein Wert, der das Verfahren für das Unternehmen auch wirtschaftlich interessant macht. Der "break even point" einer Wirtschaftlichkeitsrechnung lag bereits bei 26 Prozent. Das Unternehmen hatte jedoch noch andere Gründe, eine höher Recyclingquote zu fordern: es wollte seine Produktion erhöhen, durfte jedoch nicht mehr als eine bestimmte Menge an Frischwasser verbrauchen. Das Recycling-Verfahren war die Lösung. Außerdem entlastet es auch die kommunale Kläranlage vor Ort.

    Die Braunschweiger Wissenschaftler haben das Verfahren nun gemeinsam mit einer Ingenieurgesellschaft in Aachen patentieren lassen. Dass das Interesse der Betriebe an umweltschonenden Recycling-Verfahren so spät kommt, dafür hat Dr. Rainer Krull eine einfache Erklärung:

    Erst in den letzten Jahren hat man darüber nachgedacht, dass eben Wassereinsparung auch Kosten spart im Betrieb. Die Wasserpreise sind erst in den letzten 10 Jahren so hoch geworden, dass die Textilveredelungsbetriebe über Kosteneinsparung auf diesem Sektor nachdenken und über diese innovativen Verfahren zur innerbetrieblichen Rückführung von Produktionsabwässern nachdenken.

    Die erste, anaerobe Stufe des Braunschweiger Recycling-Verfahrens wird bereits bei den Kläranlagen in Steinfurt und Neuenkirchen verwendet. Darüber hinaus gibt es Anfragen von weiteren Kläranlagen, die einen hohen Anteil an Textilabwässern zu bewältigen haben. Auch den Export ihrer Entwicklung können sich die Bioverfahrenstechniker vorstellen. Zum Beispiel nach China, wo weltweit die meisten Textilien veredelt werden.