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"Problematisch zu einem so frühen Zeitpunkt"

Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hält die Auszeichnung von US-Präsident Obama mit dem Friedensnobelpreis für verfrüht. Zwar sympathisiere er mit den Zielen des Laureaten, aber mit diesen Vorschlusslorbeeren tue man Obama keinen Gefallen.

Volker Rühe im Gespräch mit Dirk Müller | 09.10.2009
    Dirk Müller: Eine Entscheidung mit großer politischer Signalwirkung. Der Mann im Weißen Haus erhält den Friedensnobelpreis. Eine riesengroße Überraschung, Rückendeckung aus Stockholm für die ehrgeizigen Ziele, die sich Barack Obama gesetzt hat. Barack Obama erhält den Friedensnobelpreis. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem CDU-Politiker Volker Rühe. Guten Tag!

    Volker Rühe: Schönen guten Tag!

    Müller: Herr Rühe, eine gute Entscheidung?

    Rühe: Überraschend auch für mich. Ich sympathisiere mit Obama, aber ich halte das für keine gute Entscheidung, viele Vorschusslorbeeren. Ich glaube gar nicht mal, dass man Obama damit einen Gefallen tut, und wenn man den Vergleich zieht zu Brandt oder auch zu Gorbatschow, dann waren die doch schon sehr viel weiter im Handeln, als Obama das jetzt sein kann. Also ich halte es auch für problematisch zu einem so frühen Zeitpunkt, trotz der großartigen Rede in Kairo, und stimme mit ihm überein, dass man als Langfristziel die Abschaffung aller Atomwaffen haben sollte, aber er hat noch nicht handeln können als Politiker.

    Müller: Sie wirken jetzt, Herr Rühe, mit Verlaub sehr nachdenklich und sehr zerknirscht. Warum?

    Rühe: Nein, nicht nachdenklich. Ich glaube schon, dass das problematisch ist, das zu einem so frühen Zeitpunkt zu machen. Sehen Sie mal: Wenn Obama Pech hat, dann muss er am Tage der Verleihung des Friedensnobelpreises die Truppen in Afghanistan erhöhen auf der amerikanischen Seite. Das zeigt die Problematik, in der ein Präsident ist, der zu einem so frühen Zeitpunkt einen solchen Preis bekommt.

    Müller: Dann wäre das eine unkluge politische Entscheidung aus Oslo?

    Rühe: Ich will jetzt nicht das weiter hart kommentieren. Man muss ja nicht immer Jahrzehnte abwarten, aber ich glaube schon, wenn das Lebenswerk überschaubarer ist, dass man dann das besser bewerten kann. Noch einmal: Ich bin jemand, der mit Obama sympathisiert und ihm Erfolg wünscht, aber ich bin mir gar nicht sicher, dass ihm das hilft bei der Durchsetzung seiner Politik, zu einem so frühen Zeitpunkt diesen Preis zu bekommen, und deswegen hätte ich mir eine andere Entscheidung gewünscht.

    Müller: Jetzt sagen Sie uns, Herr Rühe, warum das sogar kontraproduktiv sein könnte?

    Rühe: Naja, weil er tagtäglich daran gemessen wird, in Amerika, aber auch in den schwierigen militärischen Entscheidungen, die er treffen muss. Ich habe ja nun auf die schwierige Lage in Afghanistan und Pakistan hingewiesen, und da muss ein amerikanischer Präsident ganz offensichtlich jetzt auch Entscheidungen treffen, wahrscheinlich mehr Soldaten dort hinzuschicken, die Verbündeten zu animieren, mehr zu tun, damit die NATO dann auch ein stabiles Afghanistan in einem voraussehbaren Zeitpunkt verlassen kann. Und wenn er dann sozusagen ständig mit diesem Preis konfrontiert wird, in der Tagespolitik, dann macht das die Dinge jedenfalls nicht einfacher.

    Müller: Ich möchte Sie das auch einmal so fragen. Afghanistan ist ein Beispiel. Der Irak hat eine andere Entwicklung genommen, aber bleiben wir am Beispiel Afghanistan. Ist Barack Obama dann ein Kriegspräsident oder ein Friedenspräsident?

    Rühe: Nein, natürlich nicht. Wir sind ja auch keine Kriegstreiber dort. Wir wollen Frieden und Stabilität dort erreichen. Aber das Instrumentarium kann ja durchaus sein ... und jeden Tag muss der amerikanische Präsident militärisch handeln und es wird mit Sicherheit dann Leute geben, die ihn konfrontieren mit diesem Preis und sicherlich fälschlicherweise sagen, das bedeutet nun das Unterlassen von allen militärischen Maßnahmen. Also ich finde es zu früh. Ich würde ihm wünschen, dass er so erfolgreich ist, dass er den Preis dann im Nachhinein verdient, aber ich halte die Entscheidung für problematisch. Ich will das jetzt nicht nur aus der deutschen Sicht sehen, aber ein Lebenswerk von Helmut Kohl, Überwindung der Ost-West-Teilung, Überwindung der Teilung Deutschlands, das wäre schon etwas gewesen, was gerade zu diesem Zeitpunkt hätte ausgezeichnet werden können.

    Müller: Lassen wir uns doch vielleicht etwas über diese Motivation des Nobelpreiskomitees in Oslo spekulieren. Warum machen die das? Hat es vielleicht sogar politische Einflussnahme oder Druck gegeben?

    Rühe: Das glaube ich nicht, dass da aus dem Weißen Haus eine Einflussnahme gekommen ist. Das kann ich nicht im Einzelnen beurteilen. Ich fand es interessant, dass sie mit einer größeren Definition des Begriffes Frieden etwa auch in den letzten Jahren, was den Preisträger in Bangladesch angeht oder auch im Iran, Frau Ebadi, schon Zeichen gesetzt haben, sozusagen das nicht zu eng zu definieren. Aber jemand, der am Beginn noch seines politischen Handelns ist und bisher im Wesentlichen durch Reden handeln konnte, ist das schon ein großes Risiko und etwas, was die in der Vergangenheit so nicht gemacht haben. Ich kann das jetzt nicht beurteilen, wer sozusagen in der letzten Auswahl dort stand und warum man diese Entscheidung getroffen hat. Eines haben sie auf jeden Fall erreicht, dass dort sehr viel Scheinwerferlicht auf diese Entscheidung gefallen ist, denn ich glaube, dass ich nicht der einzige bin, der das so sieht.

    Müller: Helmut Kohl hätte es eher verdient gehabt?

    Rühe: Der hätte es verdient. Das ist ein klares Lebenswerk. Ich will das aber nicht nur aus der deutschen Sicht sehen. Es gibt sicherlich auch andere, die ein klares Lebenswerk vorzuzeigen haben. Ich würde mir wünschen, dass Obama Erfolg hat in seiner Abrüstungspolitik, in seiner Politik auch der Versöhnung des Westens mit den Muslimen und dass er dann nach einer zweiten Amtszeit dieses bekommen hätte. Das wäre mein Wunsch gewesen.

    Müller: Herr Rühe, noch einmal den Rückblick. Sie haben den Namen eben genannt: Willy Brandt, der andere deutsche Friedensnobelpreisträger Anfang der 70er-Jahre. Das steht, wenn ich Sie richtig verstanden habe, in keiner Relation zu dem, was wir jetzt heute erlebt haben?

    Rühe: Nein. Ich meine, es wird in der Argumentation ja so getan, dass er eingetreten wäre mit der deutschen Einheit. Das ist ja nicht der Fall. Diese Entspannungspolitik, die hatte ja schon ihren Sinn in sich und erforderte auch Mut und hatte sich schon über mehrere Jahre hingezogen, und da kann man nicht argumentieren, dass man vergleichbar zu Obama gehandelt hat. Genauso Gorbatschow hatte den Mut, auch zu handeln und sich gegen das alte sowjetische Establishment zu stellen, und da kann man nicht sagen, da hätte man auch erst abwarten müssen bis 1989, um ihm diesen Preis zu geben. Ich glaube schon, dass dies ungewöhnlich schnell geschieht und eigentlich nur auf der Grundlage von Denken und Reden, was ich wie gesagt voll unterstütze, und ich bin ein Anhänger, ein Fan auch von Obama, aber ich halte es für problematisch, zu einem so frühen Zeitpunkt einen solchen Preis zu verleihen.