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Problematische Prävention
Fortschritte in der Früherkennung von Psychosen werfen Fragen auf

Die Früherkennung von schizophrenen Psychosen war bislang schwierig. Untersuchungen mithilfe der Kernspintomografie des Gehirns ermöglichen jetzt eine Prognosegenauigkeit von bis zu 80 Prozent. Doch die Methode wirft jetzt schon ethische Fragen auf.

Von Martin Hubert | 01.06.2017
    Eine Mitarbeiterin steht in der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Braunschweig.
    Manche Menschen besitzen ein hohes Risiko, schizophren zu werden. (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Sie sind jung, haben vorübergehend Sprech- und Denkstörungen oder fühlen sich beobachtet. Solche Menschen besitzen ein hohes Risiko, schizophren zu werden. Trotzdem können Psychiater sie nicht routinemäßig früh behandeln. Denn nur ein Drittel dieser Personen wird später tatsächlich krank. Professor Nikolaos Koutsouleris von der psychiatrischen Universitätsklinik München arbeitet daher daran, die Prognosegenauigkeit für diese Menschen zu erhöhen. Sein Team untersuchte vor einigen Jahren per Kernspintomographie die Gehirne von Münchner Hochrisikopersonen. Bei denen, die innerhalb von viereinhalb Jahren krank wurden, ließ sich mit der Methode des maschinellen Lernens ein spezifisches Hirnmuster identifizieren. An Baseler Hochrisikopatienten wurde dann getestet, ob dieses Hirnmuster auch bei ihnen die Schizophrenie voraussagen kann.
    "Wenn man einen solchen Mustererkennungsalgorithmus an diesen Kernspindaten trainiert und den dann validiert an Personen, wo er noch nie verwendet wurde zum Trainieren, dann erreicht man eine Genauigkeit der Vorhersage von 80 Prozent im Schnitt."
    Manche Hochrisikopatienten haben später stark mit sozialen Problemen zu kämpfen
    Allerdings war dieses Hirnerkennungsmuster nur an 66 Hochrisikopersonen trainiert worden. Und es wurde eben auch nur an einer einzigen neuen Testgruppe in Basel überprüft. Koutsouleris startete daher ein europaweites Forschungsprogramm namens PRONIA, bei dem inzwischen neun verschiedene Früherkennungsinstitutionen zusammenarbeiten. Das berechnete Risikohirnmuster wird zwischen diesen Zentren überkreuz überprüft. Wobei die Forscher auch berücksichtigen, dass manche Hochrisikopatienten nicht das Vollbild einer schizophrenen Psychose entwickeln, aber später stark mit sozialen Problemen zu kämpfen haben. Sie können keine sozialen Beziehungen aufbauen und keiner geregelten Arbeit nachgehen.
    "Und wir wissen, dass diese Beeinträchtigung auch im Prinzip das entscheidende Merkmal ist, das die Kosten diese Erkrankung ausmacht. Und deshalb macht es Sinn, das möglichst frühzeitig vorherzusagen welche dieser Personen eine bleibende Beeinträchtigung in der sozialen Leistungsfähigkeit hat. Und wenn man diese Fragestellung aufmacht sozusagen und die strukturellen Bildgebungsdaten befrägt, dann findet man, dass auch hier die Genauigkeit bei 80 Prozent liegt bei einem Datensatz von jetzt 90 Hochrisikoprobanden, die wir momentan ausgewertet haben."
    Die Prognosegenauigkeit von 80 Prozent ließ sich also auf einer höheren Vergleichsebene bei einer speziellen Fragestellung bestätigen - der der sozialen Fähigkeiten der Betroffenen. Außerdem konnten die Forscher das Risikohirnmuster weitgehend erhärten. Für Nikolaos Koutsouleris ist das Anlass genug, über eine künftige standardmäßige Nutzung dieser Hirnuntersuchung bei Hochrisikopatienten nachzudenken.
    Die potenzielle Methode wirft bereits ethische Fragen auf
    "Diese Wahrscheinlichkeit ist an sich schon eine Handlungsanweisung an den Arzt, wenn man so will, verschiedene Therapieverfahren bei Patienten zum Beispiel zu kombinieren, die ein besonders hohes Risiko haben. Umgekehrt, wenn jemand in der anderen Gruppe liegt, die ein ganz ganz niedriges Risiko hat, da ist es dann kontraproduktiv zu sagen, ich behandele den Patienten zum Beispiel mit Antipsychotika, die eh alle Nebenwirkungen auch haben. Und das ist dann im Prinzip die Idee von Stratifikation oder Risikoeinteilung. Ich schätze das Risiko einer Person für eine spätere Erkrankung und passe meine Therapie dem Risiko dieser einzelnen Person an."
    Allerdings bliebe auch dann, wenn sich die Methode über die bisherigen neun Zentren hinaus bestätigen ließe, eine Frage: Wie geht man damit um, dass bei 80 Prozent Genauigkeit jede fünfte Hochrisikoperson trotzdem falsch prognostiziert werden würde? Nikolaos Koutsouleris ist sich des Problems bewusst.
    "Man ist hier als Therapeut in der Verantwortung, dem Patienten im Prinzip das so mitzuteilen: das heißt, wir können auch falsch liegen bei ihnen."
    Wie kann man vermeiden, dass ein Hochrisikopatient zusätzlich verunsichert ist, wenn er mit einer solchen Prognose konfrontiert wird? Und wie ließe sich verhindern, dass sich Psychiater lieber auf "objektive Hirndaten" verlassen, anstatt die individuelle Situation solcher Personen in Augenschein zu nehmen und sie ausgiebig zu beraten? Die potenzielle Methode wirft also bereits jetzt ethische Fragen auf.