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Problematische Virusbastelei

Gentechnik. - US-Forscher stellen Polioviren künstlich im Reagenzglas her. Diese Nachricht aus der aktuellen ''Science'' ist wissenschaftlich gesehen keine Sensation. Stimmen die Ansichten und Vorhersagen, auf denen die alltägliche Arbeit von Biologen und Chemikern beruht, dann musste ihr Experiment eigentlich klappen. Dennoch haben die Virologen in Stony Brook bei New York mit ihrer Arbeit Fakten geschaffen, die politischen und gesellschaftlichen Folgen haben müssen. Grit Kienzlen hat mit ihnen über das Experiment und seine Konsequenzen gesprochen.

12.07.2002
    Spielen Sie nicht Gott ? Diese Frage müssen sich Eckard Wimmer, Jeronimo Cello und Aniko Paul in diesen Tagen von vielen Reportern gefallen lassen. Denn was sie vollführt haben, ist ein Schöpfungsakt.

    Wir haben im Reagenzglas ein Virus wiederhergestellt, und zwar haben wir als einzige Anleitung dafür eine veröffentlichte Sequenz genommen, also nichts, was von dem Virus vorher im Labor schon existiert hat, sondern lediglich die aus dem Computer entnommene, geschriebene Anleitung, wie das Genom des Poliovirus aussieht. Und das ist das Virus das wir synthetisiert haben.

    so der deutsche Virologe Eckard Wimmer, der seit vielen Jahren in Stony Brook bei New York forscht. 7750 DNA-Bausteine hat diese Anleitung. Aber anstatt das Genom des Poliovirus wie sonst üblich zu kopieren, setzten Wimmer und sein Team die DNA Klötzchen für Klötzchen, das heißt Base für Base neu zusammen. Nun tragen Polioviren genau wie Aids-Viren keine DNA in ihrem Innern, sondern die sehr ähnliche, einsträngige RNA. Ein Enzym erledigte die Übersetzungsarbeit von DNA zur RNA. Doch auch damit ist noch kein ganzes Virus kreiert. Dazu braucht es neben der RNA, die die Fähigkeit hat sich selbst zu kopieren auch noch eine Virushülle aus Eiweißen. Die Form der Eiweiße wird ebenfalls durch die RNA beschrieben.

    Ihre selbstgebaute RNA mischten die Forscher mit einem Saft, den sie zuvor aus lebenden Zellen gewonnen hatten. In diesem Saft baute sich vollständige Virus von selbst zusammen; ein Poliovirus, das in der Lage war, einen besonderen, für die Krankheit sensiblen Mäusestamm mit der Kinderlähmung anzustecken. Wimmer:

    Und dann haben wir unser synthetisches Virus genommen und haben das in das Gehirn dieser Maus hineingespritzt und tatsächlich nach mehreren Tagen ist die Maus paralysiert gewesen und ist gestorben und dann haben wir aus dem Gehirn dieser Mäuse das Virus wieder isoliert und haben gezeigt, dass das dasselbe Virus war, was wir da rein getan haben.

    Ob Viren Lebewesen sind, das ist eine uralter Streitfrage in der Biologie. Fest steht, dass sie sich ohne die Hilfe fremder Zellen nicht kopieren und vermehren können. Einen eigenen Organismus und sei es nur eine Bakterienzelle ausgehend von der nackten DNA herzustellen, wäre ungleich schwieriger oder sogar unmöglich. Im religiösen Amerika nach der schöpferischen Komponente seiner Arbeit gefragt, reduziert Wimmer das Experiment deshalb lieber auf die Chemie:

    Und so sehe ich Poliovirus als eine Chemikalie mit einem Lebenszklus. Außerhalb der Zelle ist das Poliovirus genauso lebendig wie ein Golfball, sieht auch so aus wie ein Golfball im Elektronenmikroskop. Wenn es in die Zelle kommt, dann hat es Eigenschaften eines Lebewesens, weil es sich selber vermehrt.

    Dennoch haben Eckard Wimmer und seine Kollegen mit ihrem Experiment bewiesen, dass es möglich ist, tödliche Viren neu zusammenzubauen. Damit erübrigt sich unter anderem die Frage, ob die letzten Bestände ausgerotteter Viren wie etwa der Pocken vernichtet werden sollen oder nicht. Denn jetzt ist klar: Wer die Gensequenz eines Virus hat, kann es auch synthetisieren. Ist seine Erbinformation bekannt, so ist es nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Wimmer:

    Wir haben uns viele Gedanken gemacht, ob wir das machen sollen, ob wir es veröffentlichen sollen und wir sind gefragt worden, ob Bioterroristen etwas von uns gelernt haben. Dass es ihnen jetzt leichter gemacht worden ist, etwas schlimmes darzustellen und die Antwort ist Nein. Die Methoden, die wir benutzt haben, die waren alle veröffentlicht. Und dies ist eine Mitteilung an die Gesellschaft sozusagen, dass die Gesellschaft wissen muss, dass man so etwas machen kann. Dass so etwas missbraucht werden kann, das ist ganz wichtig und dass man sich von vorn herein Gedanken machen muss, wie man sich vor diesem Missbrauch schützt.

    Die Weltgesundheitsorganisation beispielsweise wird sich nun neu überlegen müssen, ob sie Impfprogramme, etwa gegen die in Europa für ausgerottet erklärte Kinderlähmung wirklich einstellen will.