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Problembekämpfung mit Humordeckelchen

Frank Goosens neuer Roman "So viel Zeit" liest sich so leicht und locker weg, wie Soft-Eis auf der Zunge schmilzt. Er strahlt die Behaglichkeit eines Szene-Cafés aus: heimelig, menschenfreundlich und versöhnlich.

Von Brigitte Neumann | 06.11.2007
    Es ist das Buch mit der vermutlich holzigsten Sexszene die jemals gedruckt wurde: "Wie sie küsste! Das war fast besser als in sie einzudringen, was er jetzt natürlich trotzdem tat."

    Aber dies ist auch das Buch tief empfundener Zuneigung zu diesem trotteligen, aber auch liebessehnsüchtigen Tier namens Mensch. Besser gesagt: namens Mann. Frank Goosen, seit seinem Debüt "Liegen lernen" ein Männerbuchschreiber, führt uns in seinem neuesten Roman "So viel Zeit" eine Riege älterer Helden vor, Mittvierziger aus Bochum, denen das Leben schwer auf der Seele liegt.

    Rainer, der Anwalt, hat Blut im Stuhl und denkt übers Ende nach. Thomas, der erfolglose Schriftsteller, bringt sich mit Bildunterschriften für Pornohefte durch. Konnie, Lehrer für Biologie und katholische Religion, hängt der vermeintlichen Frau seines Lebens nach. Bulle, Arzt und Vater von Zwillingstöchtern, muss seit dem Tod seiner Frau mit der ungnädigen Schwiegermutter zusammenwohnen. Und Ole, der als einziger nicht bei der regelmäßigen Doppelkopfrunde der ehemaligen Schulfreunde dabei ist, hängt mit Depressionen in einer Berliner Bruchbude ab. Dort holen ihn die vier Freunde eines Tages raus, machen ihm klar: Der Karren muss noch einmal rumgerissen werden. Und das am besten mit Musik.

    "Wenn wir eine Band hätten, meinte Rainer, hätten wir ständig diese jungen Dinger am Hals. Ich habe keinen Hals, sagte Bulle, dessen massiger Körper den Beifahrersitz unsichtbar machte. Die sind wie Egel, sagte Rainer. Die saugen sich fest wo sie Platz finden.

    Ein paar Sekunden lang schwiegen sie.

    Ich kann ja nicht mal ein Instrument spielen, gab Conny zu bedenken. Bulle rülpste und brachte darin das Wort "Bass" unter. Wir bringen dir das Bass-Spielen bei. Iss keine große Sache. Bisschen Zupfen, das kriegst Du ja wohl hin. Der ist katholisch. Der darf das nicht, warf Rainer ein. Schnapsidee, sagte Conny. Als ob einer von uns Zeit für eine Band hätte. Zumal in unserem Alter. Mir ist doch der Kühlschrank schon zu laut."


    "Dieses Buch hat sich über weite Strecken so leicht geschrieben, wie sich das liest. Vor allem ging das gleich am Anfang richtig los. Wie so oft, bei Thomas Mann und bei mir, ist es ja so, man plant eine Kurzgeschichte, und es wird ein Roman draus. Und ich habe eigentlich eine Kurzgeschichte geplant über eine extrem uncoole Rockband, wo lauter uncoole Typen drin sind. Und das Uncoolste ist, dass keiner von denen singen will. Wobei bei Rockbands immer alle singen wollen, so eine Szene ist ja jetzt im Buch drin, weil der Sänger immer die Frauen abkriegt. Und das ist ja der eigentliche Grund, wieso man Rockmusik macht und sich überhaupt mit Rockmusik beschäftigt: seine eigenen Hormone loswerden und möglichst den Hormonabbau in weibliche Richtung oder meinetwegen auch in gleichgeschlechtliche Richtung, auf jeden Fall aber zu kanalisieren."

    "Musik ist nicht dazu da, die Welt zu retten. Musik ist dazu da, dir das Leben zu retten." Dieser Ausspruch des englischen Musikjournalisten und Schriftstellers Tony Parsons ist dem Roman "So viel Zeit" vorangestellt. Und er wird von Goosens Figuren immer wieder aufgegriffen. Denn die Faboulous Five aus Bochum tun nichts anderes: Sie suchen ihr Heil in der Musik, deren Lärm, wie Goosen schreibt, einem "antigeriatrischen Schutzwall gegen die Zeit" gleichkommt. Die fünf gründen eine 80er-Jahre-Revival-Band, nennen sich "Mountain of Thunder", treten auf und werden zu einer Art Viert-Liga-Stars in der Region.

    "Denkt ihr, ein bisschen Raudaumusik könnte uns erlösen? Das konnte sie noch nie. Sie kann trösten, aber nie erlösen. Wenn du 16 bist, glaubst du es noch, musst du davon überzeugt sein. Aber wenn du es 30 Jahre später immer noch glaubst, dann bist du ein armer Irrer."

    "Fressen, Ficken, Fernsehen", antwortet Thomas auf die Frage seiner Freundin, was ihn denn am Leben interessiere. Hört sich cool und lustig an, das moderne, männliche Pendant zu den drei Ks eines Nachkriegs-Frauenlebens. Hört sich lustig an, ist aber traurig. Nur: Dieser Tiefen-Dimension des Themas kann Frank Goosen wenig abgewinnen. Das Depressive, Öde, Tragische seiner alternden Männer-Figuren ist durchweg spürbar, es ist nicht wie in Lore-Romanen, wo diese Gefühle geleugnet werden. Aber wie ein Feldherr geht Goosen mit Legionen von Gags, grotesken Dialogen und coolen Sprüchen gegen die stets wieder aufkeimende Verzweiflung seiner Helden an.

    Seinen Jungs geht es schlecht, Frank Goosen weiß Abhilfe. Jeder Problem-Abgrund bekommt, damit es nicht so weh tut, sein Humordeckelchen. Ein Trostroman, könnte man sagen. Der Autor:

    "Ja, erst mal lese ich selber gerne so was. Ich lese auch gerne empathische Bücher, wo ich - wie jeder normale Leser, ich erhebe auch nicht den Anspruch unnormal zu sein - diesen Effekt, Mensch, das spricht mir jetzt aus der Seele und das berührt mich auf eine bestimmte Art und Weise, weil ich es auch genauso empfunden habe, einfach die Wiederholung der eigenen Empfindung durch das Buch. Das empfinde ich auch manchmal als sehr befreiend. Und wenn das mit dieser Geschichte gelungen sein sollte, dann freut mich das."

    Ich bin Unterhaltungsschriftsteller, sagt Frank Goosen in unserem Gespräch. Einige Kritiker können damit nichts anfangen, scheiß drauf, kommt hinterher. Andere sagen dafür, Goosen sei der deutsche Nick Hornby. Der Unterschied: Nick Hornby wird überall auf der Welt gelesen, wo man Bücher kaufen kann. Frank Goosen ist seit 2001 gerade mal ins Hebräische und Dänische übersetzt worden. Der Grund könnte seine große Heimatverbundenheit sein:

    Tatsächlich ist der heute 41-Jährige in Bochum geboren, aufgewachsen, ist auch zum Studieren geblieben und hat sich als Schriftsteller und zweifacher Familienvater in der Nähe des Bochumer Hauptbahnhofs niedergelassen. Wenigstens zum Präsentieren seiner Kabarettnummern verlässt er die Stadt, bevorzugt per Bahn.

    Goosens neuer Roman "So viel Zeit" liest sich so leicht und locker weg, wie Soft-Eis auf der Zunge schmilzt. Er strahlt die Behaglichkeit eines Szene Cafés aus: heimelig, menschenfreundlich und versöhnlich. Hier erholt sich der Leser von der Kühle des modernen Lebens. Und erkennt sich in Goosens Protagonisten wieder: Auch sie wollen nicht die Welt verbessern, sie entwickeln keine politische Utopie. Sie möchten nur den Schmerz des Alterns, des Mangels an Sinn und Metaphysik und den Schmerz der Einsamkeit lindern - durch einen sentimentalen Rückgriff auf eine als lebensstrotzend imaginierte Jugendzeit. Für mehr reicht die Kraft nicht.


    Frank Goosen liest seinen Roman "So viel Zeit"
    4 CDs, 5 Stunden und 12 Minuten
    in einer vom Autor autorisierten Fassung
    Tachels/Roof Records
    22.95 Euro unverbindliche Preisempfehlung

    Der Roman erscheint bei Eichborn
    352 Seiten
    19,95 Euro