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Problembeladen

Boxen als Mittel der Sozialarbeit ist in Mode gekommen. Doch der Boxtrainer Uwe Schuster aus Halle/Saale ging den umgekehrten Weg - sein Proficamp wurde zu einer Anlaufstelle für problembeladene Jugendliche. Nun schildert eine Biografie das Leben des Boxtrainers, der als Amateur in der DDR als großes Talent galt.

Von Stefan Osterhaus | 10.09.2011
    "In diesem Ausbildungscamp trainieren und überleben nur die Härtesten. Weicheier haben hier nichts zu suchen. Also tritt ein und sei willkommen."

    Was für eine Begrüßung für Neue. Prägnant. Unmissverständlich. Uwe Schuster, Boxtrainer in Halle an der Saale, hat diese markige Wendung zur Devise erklärt. Es ist ein spezielles Projekt, das er im Norden der Innenstadt betreibt. Hier, an der Berliner Straße in einem heruntergekommenen Hinterhof, trainieren Profiboxer. Doch im Laufe der Jahre hat sich sein Camp zu einem Anlaufpunkt entwickelt. Die Stadt Halle schickt dem Trainer straffällig gewordene Jugendliche, die Sozialstunden ableisten müssen:

    "Das gibt es Leute, die haben Stunden gemacht, die haben ein Drogenproblem, da haben sie geklaut, das ganze Spektrum eigentlich. Und irgendwie treffen die sich komischerweise hier und haben Arbeitsstunden bekommen vom Gericht, und wo gehen sie dann hin? Zum Commander! Ich habe genug Arbeit, ich habe sehr viel Arbeit, ich könnte am Tag hier locker fünf, sechs Leute beschäftigen."

    Er lässt die Jugendlichen Arbeit im Camp verrichten, ehe er mit ihnen boxt. Ein typischer Streetworker ist der Mann, der sich selber den Commander nennt, nicht. Was Schusters Unternehmen von vielen anderen ähnlichen Projekten unterscheidet, das ist der Umstand, dass sein Camp zunächst als Profilager gedacht war. Auch Timo Hoffmann, die "Deutsche Eiche", fand den Weg hierher.

    Schuster wollte ursprünglich nie erzieherisch tätig sein. Er begriff sich als Profitrainer. Doch er betrieb einen eingetragenen Verein - und bald trat die Stadt an ihn heran und fragte nach, ob Jugendliche bei ihm Sozialstunden verrichten könnten. So schlitterte Schuster in eine zweite und unbezahlte Karriere als verkappter Sozialarbeiter. Stundenmacher, so heißen die jungen Männer, die zu ihm kommen, in seinem Jargon:

    "Das haste jut jemacht. Vorbildlich, das sieht dann doch gleich wieder akkurat aus. Pass mal auf, da machste noch Folgendes. Na ich zeig dir mal was, ich geh mal hinten rum."

    Auf dem Gelände ist eine Menge zu tun. Jetzt, wo der Herbst vor der Tür steht, steht Holzhacken auf dem Programm. Denn es gibt keine Zentralheizung in der Halle. Und die finanzielle Unterstützung ist nur spärlich, was Schuster aufbringt:

    "Jeder will und macht und tut und findet das geil und ah und ja. Aber unterstützen tut uns keiner. Weder die Stadt unterstützt uns noch der verdammte Staat. Da bauen sie hier nen Sportplatz und hier für so ne Sozialarbeit da haben se keinen einzigen Cent, eh, das ist doch zum Kotzen."

    Schuster spricht von 300 Jugendlichen, die seit 2003 durch sein Camp gegangen sind. Seine Erfolgsquote beziffert er auf neunzig Prozent. Seine Pädagogik ist rau, sie predigt Regeln. Und Schuster überzeugt seine Klientel, wie diesen jungen Mann, der Sozialstunden ableistet:

    "Im Tierreich wäre es zum Beispiel ein Alphatier. Für mich eine Respektsperson."

    Respekt. Noch so ein Schlüsselwort. Und der Schlüssel auf dem Weg zurück in die Gesellschaft heißt für Schuster:


    "Disziplin, hier lernen sie, nach Regeln zu kämpfen. Auf der Straße gibt es das ja nicht, da gibt ne Flasche vor den Kopf, da wird ein Messer gezogen, ein Stein vor die Birne. Da gibt es hier nicht. Boxen ist schon Sozialarbeit, natürlich."

    Das ist auch die Botschaft seiner Biografie "Box - Du hast nur diese eine Chance", die das Leben des ehemaligen DDR-Amateurs nachzeichnet. Ein Buch, das alle Klischees bedient: Denn Schuster ist darin der Rebell, der aus Staatssport aussteigt und zum Punk wird. Er macht seinen Sohn zum Boxer, weil der in der Schule verprügelt wird - und dabei entdeckt Schuster die alte Leidenschaft neu. Die Geschichte ist fast zu originell, um nicht erfunden zu sein. Doch es ist die Radikalität des Protagonisten, die alle Sozialromantik zunichtemacht. Uwe Schuster gibt nicht den verständnisvollen Sozialarbeiter. Er helfe gern. Doch wer nicht will, der wolle nicht.

    "Einige begreifen es auch nicht. Die sind heute 27, die machen immer noch die Scheiße. Die werden dann auch irgendwann mal, die landen dann über kurz oder lang zwei drei Mal bei mir, ist es wieder Winter, dann kommt der. Ist ja schön, dass du kommst, hast du wieder 300 Stunden mitgebracht. Ich sage ja, super, du weist ja, wie es geht? Manche begreifen, manche aber nicht."

    So wie einer, der ihm kürzlich angriff - und ein Messer zog:
    "Ich sehe, er kam auf mich zu und hatte irgendwas Spitzes, es war ein Messer halt, jedenfalls kam er dann auf mich zu, gesehen habe ich nicht viel, so nach dem Motto: den Gegner am Geruch erkannt. Da habe ich ihm eine gebrettert, dass er gegen die Heizung geflogen ist."

    Der Hamburger Journalist Philipp Kohlhöfer hat Schuster die Feder in diesem Buch geführt. Es gelingt ihm tatsächlich, den markanten Tonfall des Protagonisten ins Buch herüberzuretten. Laut. Polternd. Mächtig. Eine Sprache, die sich ihren Weg durch alle Widerstände bahnt. Doch trotz all seiner Brachialität: Schuster ist gewiss nicht unsympathisch. Fast so bereit wie hoch, ständig auf Diät. Ein Mann der klaren Ansprache. Doch Schuster ist auch einer, der seine Grenzen kennt:

    "Ich bin ja kein David Copperfield, der hier zaubern kann, ich bin kein Magier, es gibt immer Leute, die durchs Sieb fallen."

    Auch behauptet er nicht, ein Spitzentrainer zu sein - wenngleich sein Sohn Philipp in der Nische des nicht eben bedeutenden Weltverbandes WBU als Champion reüssierte. Kein Titel, mit dem Schuster renommieren geht, nein, Schuster erfreut sich an anderen Dingen:

    "Ich messe Erfolg nicht an materiellen Dingen, an Geld. Ich bin erfolgreich insofern, als dass wir ne ganze Menge erreicht haben, ne ganze Menge erlebt haben, ich war mit den Jungs, die mit einem Bein schon im Knast waren in Afrika und die haben dann geboxt."

    Boxen, das ist für Schuster die Welt der Außenseiter. Bald soll ein Film das Leben des Commanders in seiner Männerwelt beschreiben. "Rauhmannstag" - so lautet der Titel. Schuster im Kino - das wäre nur konsequent. Denn die Geschichte ist einfach für die Leinwand geschaffen.

    Uwe Schuster, Philipp Kohlhöfer
    "Box! Du hast nur diese eine Chance"
    Heyne-Verlag, Taschenbuch, 224 Seiten
    13,00 Euro