In den Fernsehkrimis sind "Profiler" die besonders coolen Typen. Tod und Grausamkeit lassen sie unberührt. Sie behalten stets den Überblick und knabbern auch schon einmal an einem Käsebrötchen, wenn sie die Leichen der Opfer betrachten. Andere sammeln die Spuren. Sie versuchen sich nur einen Reim darauf zu machen. Die österreichische Dokumentarfilmerin Barbara Eder hat sechs dieser Super-Hirn-Polizisten bei ihrer Arbeit beobachtet.
"Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein."
Das schrieb Friedrich Nietzsche in "Jenseits von Gut und Böse". Barbara Eder stellt diese These ihrem Film voran und müht sich 90 Minuten damit ab, die Wahrheit dieses Zitates zu beweisen. Sie begleitet zum Beispiel Kriminalhauptkommissar Stephan Harbort, den nichts mehr erschreckt. Eher ist er irritiert, dass der Serienkiller, dessen Profil er erstellt, nicht noch konsequenter gemordet hat. Im Zug diktiert er seine Überlegungen ins Mikrofon:
"Der letzte Fall im Europa-Center ist besonders mysteriös. Er entführt eine junge Frau in ein Kellergewölbe. Er vergewaltigt sie, foltert sie. Er erzählt soviel über sich, dass, nachdem das Opfer nach der Tat zur Polizei gegangen ist, keine zwei Tage vergehen, bis man ihn überführen kann."
Was steckt hinter den Taten?
Die Rätsel der Taten von Serienmördern und Vergewaltigern sind komplex. Im Unterschied zu normalen Polizisten, die einfach nur den Täter fangen wollen, wollen die Profiler in ihr Hirn eindringen. Sie wollen begreifen, was hinter ihren Taten steckt: frühkindliche Verletzungen, generelle Empathiedefizite oder vertrackte Reiz-Reaktions-Schemata. Kann jeder zum Serientäter werden oder ist das vorbestimmt?
Helen Morrison, forensische Psychologin aus Chicago, befasst sich seit 40 Jahren mit Serienmördern. Sie glaubt inzwischen, dass der Killerinstinkt in einer bestimmten Region des Gehirns lauert und würde ihn nur zu gerne wissenschaftlich erforschen und finden:
"Ich entschied mich, wenn ich irgendwann einmal die Chance dazu bekommen würde, würde ich Elektroden ins Hirn implantieren lassen, die uns ermöglichen würden zu sagen: So sieht das Problem aus."
Barbara Eders Film ist sowieso fast eine Forschungsanordnung. Sie betrachtet ihre Profiler wie ein seltsames Menschengenre, das die Eigenschaften der Täter auf eine seltsame Weise wiederspiegelt. Wie weit kann man sich tatsächlich in die Täter hineinversetzen, ohne selbst Schaden zu nehmen, und wer kann sich Statements wie dieses ungerührt anhören:
"Und dann hab ich sie gewürgt."
- "Warum?"
- "Um nicht erkannt zu werden und so."
- "Nur gewürgt oder auch mehr?"
Das Böse hat viele Gestalten
Roger Depue und Robert Hazelwood sind pensionierte "Profiler". Sie haben im FBI einst die Abteilung gegründet, die seither systematisch die Profile der Gewalt erforscht. Sie wurden Vorbilder für die Profiler in dem Spielfim "Das Schweigen der Lämmer" von Jonathan Demme, was sie noch heute amüsiert.
Auch nach ihrer Pensionierung lässt sie ihre einstige Beschäftigung nicht los. Sie haben eine Firma gegründet, die ungelöste Fälle weiterverfolgt und aktive Profiler berät und unterstützt. In Wahrheit ist nämlich alles viel schwieriger, und Erfahrung ist äußerst kostbar. Das sogenannte Böse hat viele Gestalten.
Ist es eine Gehirnanomalie oder ein reiner Zufall, oder die verrückte Konsequenz unkalkulierbarer Umstände? Barbara Eder verlässt sich in ihrem Film nicht allein auf Interviews und Gespräche. Sie beobachtet und begleitet die Profiler bei ihrer Arbeit. Das ist filmisch lebendiger und spannender, als talking heads.
Bei manchem kann sie ihnen aber nicht folgen. Die wichtigsten Aktionen finden beim Denken, also im Hirn statt. Da muss der Film dann doch zum Voice-Over greifen, mit dem die Protagonisten des Films ihre Überlegungen mitteilen. Trotzdem ist Barbara Eder ein spannender und anregender Film gelungen über Menschen, die begreifen wollen, was nicht zu begreifen ist. Sie schildert die Geschichte als filmisches Patchwork ihrer Helden und handelt sie nicht nur kapitelweise ab. Am Ende steht dann doch die Erkenntnis, dass wir höchstens wissen, dass wir nichts wissen über die Gedankenwelt der extremen Gewalttäter.
"No one can tell you what causes violence."