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Prog-Rock ohne Bart

Es scheint, dass Progressive Rock alles andere als tot ist. Mit "Brief Nocturnes And Dreamless Sleep" schafft es die Band Spock’s Beard, den guten alten Prog-Rock ins Hier und Jetzt zu transportieren.

Von Tim Hannes Schauen | 11.05.2013
    Da sind sie wieder: "Spock's Beard". Die alten Progressive Rocker mit Musik, wie man sie von ihnen kennt. War der Vorgänger noch ein Konzeptalbum, so ist Nummer elf nicht durchgängig homogen. Bassist Dave Meros begründet das mit bandinterner Demokratie.

    "Wir haben eine gute Mischung an Songschreibern in der Band: Ich habe ein Stück geschrieben, Alan ein paar. Und sogar sein Bruder Neal war mal wieder beteiligt. Dann hat unser neuer Sänger Ted Leonard zwei Stücke beigetragen, zum Beispiel Hiding out."

    Kein Wunder, dass der Entstehungsprozess des Albums für alle Beteiligten harte Arbeit war.

    Alan Morse: "Oh ja, das Songwriting, manche der Stücke, haben einfach Jahre gebraucht, fertig zu werden, sind über einen wirklich langen Zeitraum geschrieben."

    Dave Meros: "Die Melodie von "A Treasure Abandoned" ist von 1997 oder '98. Eine Schwierigkeit ist bei uns immer auch, dass wir alle so weit auseinander leben, da haben wir viele, viele kleine mp3 hin- und hergeschickt. Und auch die Aufnahmen haben lange gedauert. Aber das ist natürlich auch ein bisschen genrebedingt, es sind ja sehr komplexe Songstrukturen. Zumindest wollen wir alle keine dreiminütigen Rocksongs spielen."

    Das ist "Spock's Beard" in jedem Fall gelungen. Und dabei schaffen sie es, guten alten Progressiv Rock hinüber ins Hier und Jetzt zu transportieren. Anders, als die technisch abgeklärten "Dream Theater", gelingt es "Spock's Beard" sich auf höchstes Niveau aufzuschwingen, ohne manieriert zu wirken. Das Mellotron schafft eine gefühlige Heimat, während der Leslie-Lautsprecher des Orgelverstärkers durchdreht, da schaufeln sich Keyboard- und Gitarrenlinien zu mal mehrstimmigen, mal kontrapunktischen Kaskaden, nur, um der Stimme des neuen Sängers Ted Leonard einen Halt in der Höhe anzubieten. Progressive Musik lebt vom Spiel mit den Gegensätzen.

    Das erwähnte Mellotron, vom Vocoder verfremdeter Gesang, Phaser und Flanger, also Modulationseffekte, für die Gitarre. Ist solche Musik per sé retro? Die Band wurde 1992 gegründet, der Name geht auf eine Folge von Raumschiff Enterprise zurück, in der Lieutanant Spock tatsächlich einen Bart zwischen den spitzen Ohren trägt. Seitdem musste "Spock's Beard" so manche Häutung erleben. Die wohl heftigste war, als Gründungsmitglied Neal Morse 2002 ausstieg, um solo Karriere zu machen. Er ließ seinen Bruder Alan alleine, der zusammen mit Bassist Dave Meros, Keyboarder Ryo Okumoto und wechselnden Trommlern und Sängern das auf Schleichfahrt schlingernde Schiff zu schaukeln hatte.

    Vier der fünf Bandmitglieder klemmen inzwischen in einer Sitzgruppe des von innen gar nicht mehr so großen Tourbuses – und diskutieren die Frage, was man denn mitbringen müsse, um progressive Musik konsumieren zu können. Europäer zu sein könnte schon mal helfen, vermutet Schlagzeuger Jimmy Keegan.

    "Hier sind die Ohren für Abgefahrenes vielleicht weiter geöffnet als in den Staaten. Musikfans in Europa sind musikalisch einfach besser vorgebildet."

    Dave Meros glaubt, Hörer progressiver Musik hätten den Katalog von Bands wie "Rush", "Yes", "King Crimson", den "Beatles" im Kopf abrufbereit. Der perfekte Nährboden also für Neues aus dem Genre.
    Die Motivation von Hörern interessiert Bandchef Alan Morse herzlich wenig, sein einziger Diskussionsbeitrag: Er schätze die spieltechnische Herausforderung im Progressive Rock. Schlagzeuger Jimmy Keegan hingegen ist auch als virtuoser Musiker Fan geblieben.

    ""Ich habe mir neulich ein altes Konzert von Pink Floyd angesehen. Die Kultur war damals doch darauf ausgerichtet, den Geist voranzubringen. Jeder war auf der Suche nach irgendetwas – und da hat es ja angefangen, dass die Leute Musik hören wollten, die sie irgendwohin mitnimmt. Mit dieser Art Musik ging es vorwärts. Bei diesem Konzert also saß ein Hippie-Mädchen in der ersten Reihe, ihr Blick sagte: Wohin geht das hier? Und dieses Bild mag ich so: Das Mädchen hat von der Band gefordert, sie persönlich weiter voranzubringen. Das klingt jetzt alles so esoterisch, aber dieses Gefühl habe ich oft, wenn ich in Europa spiele. Dieser Geist weht hier noch: Ein musikalisch vorgebildetes Publikum, das von den Musikern verlangt, nehmt uns ein Stück weiter mit, dorthin, wo wir vielleicht noch nicht waren oder wieder hin möchten.”"

    Weiterbringen, irgendwohin mitnehmen: Ab dem 15. Mai sind "Spock's Beard" in Deutschland, spielen in Rüsselsheim, Aschaffenburg, Bochum, Hamburg. Soviel sei verraten: Dreiminuten-Songs wird es auch diesmal nicht geben.