Donnerstag, 25. April 2024

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Prognosen zur Bundestagswahl
Warum ARD und ZDF verschiedene Parteien in Führung sahen

Als Unionskanzlerkandidat Armin Laschet am Wahlabend seinen Führungsanspruch verkündete, tat er das nach einer ARD-Hochrechnung, die die Union zeitweilig leicht vorne sah. Abweichungen von bis zu 2 Prozentpunkten bleiben ein statistischer Unsicherheitsfaktor. Dabei waren die Daten der Institute diesmal besonders nah am Endergebnis.

Von Volker Finthammer | 28.09.2021
Ein Blick auf eine Prognose zur Bundestagswahl bei der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern in der Hyparschale.
Der Blick auf die erste Prognose um 18 Uhr im Ersten. (picture alliance / dpa / Marcus Brandt)
Punkt 18:00 Uhr am vergangenen Sonntag. Der Moment, auf den alle gewartet haben: Zeit für die Prognosen über den wahrscheinlichen Wahlausgang. Bei ARD und ZDF sind im Hintergrund Infratest Dimp und die Forschungsgruppe Wahlen seit 8 Uhr in der Frühe mit den Befragungen am Wahlsonntag zugange, um eine möglichst treffsicheren Prognose für den Wahlausgang liefern zu können.
Denjenigen, die nicht beide Kanäle gleichzeitig geschaut haben, dürfte der Unterschied kaum aufgefallen sein. Aber in Verlauf des Abends hatte die ARD in ihrer Prognose die Union zumindest zeitweilig leicht vor der SPD gesehen, unter Einberechnung der Überhang- und Ausgleichsmandate. Das könnte auch Einfluss auf die Union gehabt haben und bei der Auslegung der Ergebnisse durch Kanzlerkandidat Armin Laschet – etwa hier in seiner ersten Stellungnahme:
"Und wir als Union haben von unseren Wählerinnen und Wählern einen klaren Auftrag erhalten. Eine Stimme für die Union ist eine Stimme gegen eine links geführte Bundesregierung."

Spitzenpolitiker können sich Zahlen nicht entziehen

Am Ende des Abends sollte tatsächlich aber die SPD an der Spitze stehen. Es bleibt die Frage nach der Unsicherheit in den Prognosen, denen sich offenbar auch die Spitzenpolitiker nicht entziehen können. Aber das wollen die Wahlforscher am Tag danach nicht gelten lassen:
"Das Ergebnis, auch wenn da vielleicht jetzt nicht ganz klar schon gleich war, wer da vorne liegt, ist nach statistischen Standards auf jeden Fall auch eines der besseren. Also da beißt die Maus keinen Faden ab. Wir haben beide sehr solide und auf unternationalem Standard hervorragende Abweichungen in der 18-Uhr-Prognose gehabt", sagt Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, die diesmal besonders nah am Endergebnis lag.
Für all diese Umfragen gilt: Abweichungen von bis zu 2 Prozentpunkten bleiben ein statistischer Unsicherheitsfaktor, mit dem man leben muss, stellen aber die grundsätzliche Aussage und Trendbeschreibung nicht in Frage. Aber eine Prognose ist eben auch noch keine Hochrechnung. Die Erhebungen dafür finden am Wahltag statt. In 560 Wahlbezirken wurden etwa bei Infratest Dimap rund 65.000 Wählerinnen und Wähler unmittelbar nach dem Urnengang befragt. Dazu kommen weitere Telefonumfragen, um die steigende Zahl der Briefwähler auch mit abbilden zu können.
Jung: "Wir hatten das Glück, das wir in diesem Jahr unter Corona-Bedingungen schon drei Landtagswahlen erlebt haben und dafür eigentlich auch ausreichend Erfahrung haben sammeln können, so dass wir die Briefwahleffekte auch korrigieren konnten."

Hoher Anteil an Briefwahlstimmen macht Prognosen schwieriger

Dieser erheblich größere Aufwand unterscheidet die Prognosen am Wahltag auch deutlich von den zahlreichen Sonntagsfragen im Vorfeld einer Wahl. Dafür werden bei nahezu allen Instituten, die damit auf dem Markt sind, regelmäßig etwa 1.000 bis 1.500 telefonische Befragungen mit der bekannten Frage "Was würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre", durchgeführt. Was wiederum nur eine Momentaufnahme der allgemeinen Stimmungslage unter den Wählerinnen und Wählern widerspiegeln kann. Weshalb Nico Siegel von Infratest Dimap auch betont:
"...dass man nie Vorwahlerhebungen mit Prognosen verwechseln sollte. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn man Prognosen macht, so wie das für ARD und ZDF gemacht wurde, dann haben die einen anderen Anspruch, und dann hat man auch gesehen, dass dort die Abweichungen relativ gering sind."
Die Wahlforscher gestehen aber zu, dass die letzten Sonntagsfragen vor der Wahl wohl auch zum Aufholprozess der Union in den letzten beiden Wochen vor der Wahl beigetragen haben, weil sich gerade taktische Wählerinnen und Wähler von solchen Tendenzen noch beeinflussen lassen. Die Frage nach einer Zurückhaltung der Institute in den letzten Tagen vor der Wahl weist Allensbach-Chefin Renate Köcher entschieden zurück:
"Man würde ja auch als Journalist nicht darüber nachdenken zu sagen: So, jetzt halten wir bestimmte Informationen in der Schublade, die die Leute vielleicht im Blick auf die Wahlen interessieren."