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Progressiv, politisch, pessimistisch

Der israelische Musiker Aviv Geffen singt gegen Krieg, Gewalt und Terror. 1995 wurde er Zeuge, wie der damalige Premierminister Yitzhak Rabin umgebracht wurde. Auch beim neuen Album seiner Band Blackfield, das den Titel "4" trägt, kann er seine politische und pessimistische Haltung nicht verbergen.

mit Thomas Elbern | 31.08.2013
    Thomas Elbern: Aviv Geffen, wo sehen Sie den Unterschied zwischen einem Blackfield Album und ihren eigenen Solo-CDs?

    Aviv Geffen: Blackfield ist eine Art "Monster" geworden, das ich aber verdammt gut kenne. Stevens Gitarre hat einen großen Wiedererkennungswert, ebenso seine Stimme.
    Dazu kommt mein Piano, das Orchester und natürlich auch meine Stimme ... wir haben auf "Four" einen gemeinsamen Sound gefunden, der wie ein Stempel wirkt und, den wir auf diesem Album noch verfeinert haben. Außerdem hat Steven diese CD gemischt. Meine Soloproduktionen klingen ähnlich, aber bei Blackfield ist alles noch ausgefeilter. Nehmen Sie den ersten Song "Pills", der klassischer "Blackfield-mäßiger" nicht sein könnte. Groß, episch und schon fast feudal ...

    Elbern: Ihr neues Album beginnt auch direkt mit diesem Song. Hatten Sie damit so etwas wie das Antidepressiva Prozac im Kopf, also ein Mittel, das all die unangenehmen Gedanken einfach ausblenden kann?

    Geffen: In diesem Song geht es nicht nur um Antidepressiva. Heutzutage gibt es Pillen gegen Depressionen, Pillen um Sex zu haben, um einzuschlafen und um wieder wach zu werden.Wir verlieren den eigenen Bezug zu unseren Gefühlen und zum eigentlichen Menschsein. Wir sind eher wie Roboter und werden von diesen Drogen kontrolliert. Das ist ziemlich traurig und das ist eines der Themen dieses Blackfield Albums. Wir müssen uns mit dem Chaos um uns herum auseinandersetzen.

    Elbern: Kommen in ihren Texten immer noch politische Themen vor, oder sind sie derer überdrüssig geworden?

    Geffen: Nein, die kommen immer noch in meinen Songs vor. Auf dem Cover von unserem neuen Album sehen sie einen großen Radarschirm, der Richtung Himmel ausgerichtet ist.
    Wir sind immer auf der Suche nach neuen Lebensformen, die irgendwo da draußen im All existieren. Es geht um Gott, an den ich im Übrigen nicht glaube. Gott spaltet die Menschen und Musik bringt sie zusammen ...Das Hauptmotiv, das hinter dem aktuellen Blackfield Album steckt, ist dieses ständige Chaos um uns herum zu beschreiben. Die Tatsache, dass wir eigentlich alleine sind, aber ins Universum schauen, um eine Art Erfüllung und Trost zu finden.

    Elbern: Kann man in Israel als Künstler leben und nicht politisch sein?

    Geffen: Viele israelische Künstler würden diese Frage bejahen, aber in meinem Fall ist es ein klares Nein. Ich habe mich schon sehr früh dazu entschieden, meine Meinung zu sagen.
    Und wenn ich mich gegen die israelische Besatzung ausspreche, dann so, dass meine Fans mich auch verstehen ... Schluss mit der Besatzung, gebt den Palästinensern ihr Land, weil sie ein Recht darauf haben. Ich glaube, sie können kein Künstler in Israel sein, ohne sich auch mit Politik zu beschäftigen. In Israel ist die Politik etwas, an dem niemand vorbei kommt ... es ist alles andere als ein Hobby.

    Elbern: Im Infomaterial zu ihrem aktuellen Album erfährt man, dass sie in der Jury der Talentshow "The voice" mitgewirkt haben. Wie verträgt sich das mit dem Künstler Aviv Geffen ?

    Geffen: Ich habe bei zwei Ausgaben als Berater mitgewirkt. Diese Casting Show, die zur besten Sendezeit im israelischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, gab mir die Chance, einem breiten Publikum meine Meinung über die Gesellschaft, die Kultur und Kunstwelt mitzuteilen. Am Abend, als das Finale live ausgestrahlt wurde, bin ich auf die Bühne gegangen und hab Folgendes zu meinen Sängern gesagt: All diese Shows sind wie ein Glashaus. Wenn ein kleiner Stein aus dem echten Leben geworfen wird, kann alles zusammenbrechen.Es gab großen Applaus ... das war ein sehr interessanter Moment.

    Elbern: Auf dem letzten Blackfield Album "Welcome to my dna" wirkten besonders ihre Beiträge sehr depressiv und zornig. Hat sich das beim aktuellen Album geändert?

    Geffen: Diese Ängste, diese Gefühle, sind tief in meiner Seele vergraben. Ich hatte eine sehr schwierige Kindheit und habe irgendwie eine Menge davon versucht, in meiner Erinnerung zu löschen. Für lange Zeit konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Doch in meinen Songs kommen diese Erinnerungen wieder hoch und da ist es fast egal, um welches Album es sich handelt.

    Elbern: Auch auf ihrem aktuellen Album gibt es wieder diese typische "Blackfield" Melancholie. Hat die Tatsache, dass sie nun Vater geworden sind, ihre Sicht auf die Dinge verändert?

    Geffen: Nun Vater zu sein, gibt mir irgendwo die Möglichkeit, meine eigene Kindheit neu zu gestalten. Ich bin wie ein Regisseur, ich versuche meinem Sohn Dylan Dinge zu geben, die ich nie hatte. Es ist irgendwo eine Art Kur, die ich gegen die innere Leere anwende. Meine eigene Geschichte ist geprägt von den Bombenangriffen und dem Terror in Israel. Ich bin eigentlich ein ziemlich ruhiger und gewaltloser Typ. Ich arbeite nie im Studio, wenn es mir gut geht. Ich möchte keine Tanznummer oder einen blöden Popsong machen. Wenn es mir nicht gut geht, fange ich an zu schreiben.Meine Tränen werden zu Songs.

    Elbern: Die Songs auf dem aktuellen Blackfield Album sind sehr episch angelegt.
    Aber alle Enden so bei drei Minuten könnten aber sehr viel länger sein ...

    Gaffen: Das hat mit meinem Geschmack zu tun. Ich bewerte Kunst nicht nach Zeit. Wir wollten ein kurzes, aber tolles Album, wo die Botschaft und die Musik in kürzester Zeit rüber kommen. Ich hasse es, wenn Musiker ihre Songs in die Länge ziehen, nur damit ihre Platte länger wird, ich mag auch keine langen Keyboard- oder Gitarrensolos. Wir wollten kurze, knackige Stücke und die präsentieren wir nun bei Blackfield "4".

    Elbern: Sie sind ja mittlerweile sehr viel mit Blackfield getourt. Es gibt sogar eine Live -DVD, die in New York aufgenommen wurde. Welche Erfahrungen haben sie mit dem Publikum in den verschiedenen Ländern gemacht?

    Geffen: Es war fast schon schockierend. Ich schreibe meine Songs irgendwo in Tel Aviv, ziemlich zurückgezogen in meinem Studio. Dann gehen wir auf Tournee und du triffst all diese Menschen aus Chile, Brasilien, Japan, New York und Deutschland und die singen jedes Wort mit. Das finde ich verrückt ... und es ist ein sehr großer Moment für die Band, aber auch für das Publikum ...

    Elbern: Worum geht es in dem Song "Kissed by the devil"?

    Geffen: Es geht um diese dünne Trennlinie zwischen Liebe und Hass. Gerade in Beziehungen, die über Jahre gehen, kann man manchmal nicht sagen, ob man sich nur aneinander gewöhnt hat, oder sich liebt. In diesem Song geht es um diesen Konflikt. In den Strophen bin ich wütend und schimpfe herum und im Refrain bin ich versöhnlich. Es zeigt beide Seiten auf.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.