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"Projecting Space" bei der Ruhrtriennale
Mission mit Zweifeln

Ihr Thema ist der traumatisierte Körper. Bei der Ruhrtriennale fragt die Choreographin Meg Stuart nun nach der zerstörerischen Rolle des Menschen in der Geschichte. In der stillgelegten Zechenruine Lohberg in Dinslaken schaffen ihre Tänzer Bilder von großer Wucht – mal Scherz, mal Schrecken.

Von Nicole Strecker | 01.09.2017
    Menno Vandevelde (li.) und Márcio Kerber Canabarro in "Projecting Space"
    Tanz auf dem Gabelstabler: Menno Vandevelde (li.) und Márcio Kerber Canabarro in "Projecting Space" (Laura van Severen)
    Wer ein guter Ruhrtriennale-Künstler sein will, pflanzt nicht einfach eine Bühnenproduktion in eine der schnieke restaurierten Industriehallen des Ruhrgebiets, die mit dekorativ verrosteten Maschinengiganten von der alten dreckigen Kohlenförderzeit künden wie ein schöner-Wohnen-Magazin.
    Nein, ein guter Ruhrtriennale-Künstler erschließt eine echt-verwahrloste Industriebrache neu und watet gemeinsam mit seinem Publikum durch Pfützen und Geröll. Und zu wem passt das Kaputte, Schäbige besser als zu Choreografin Meg Stuart und ihrer Kompanie mit dem allessagenden Namen "Damaged Goods", beschädigte Ware?
    Wie Aliens erobern die Tänzer die verlassene Zeche
    Sie schickt ihre Tänzer nun los als seien sie ein Trüppchen Aliens und lässt sie die längst verlassene Werkstatt der Zeche Lohberg erobern. Es beginnt draußen. Auftritt eines Gabelstaplers und eines Baggers. Auf dessen Schaufel baumelt jeweils ein Tänzer. Die schweren Maschinen heben mit behutsamer Langsamkeit die schlaffen Körper in die Luft, als hätten sie sie geborgen. Anrührend ist das, und komisch. Der Mensch – ein Fremdkörper. Und wie Fremde von einem anderen Stern werden die Tänzer danach in der 2000 Quadratmeter großen Halle mit dem Publikum Kontakt aufnehmen. In Stuart-typischen, absichtsvoll unvorteilhaft geschnittenen Silber-Glitzer-Outfits strecken sie den Zuschauern ihre Hände entgegen, legen – ein bisschen wie ET - Fingerspitzen auf Fingerspitzen zum freundlichen Erstkontakt, während doch zugleich der Sound von Vincent Malstaf und Klaus Janek zum unheilvollen Dröhnen anschwillt und in einer Ecke der Halle eine riesige Gummireifen-Schaukel bedrohlich kreiselt wie auf einem Horrorspielplatz.
    Roberto Martínez und Márcio Kerber Canabarro in "Projecting Space"
    Roberto Martínez (li.) und Márcio Kerber Canabarro in "Projecting Space" (Laura van Severen)
    "Projecting Space" - jeder Raum, den der Mensch in seiner Geschichte betreten hat, den hat er auch verändert, nicht selten zerstört, mindestens aber zivilisiert. So unterteilt Bühnenbildner Jozef Wouters die ramponierte Riesen-Halle mit einem meterlangen Regalsystem, als wolle er kleinteilige Ordnung in die einschüchternde Weitläufigkeit des Raumes bringen.
    Die Tänzer klettern darin mit affengleichem Wagemut in schwindelnde Höhen. Sie knubbeln sich zum ekstatischen Pogodancing. Und was erst nach Spaß aussieht, wird immer ruppiger bis sich schließlich die Bilder der Duisburger Loveparade aufdrängen, als die Menschen aus der lebensbedrohlichen Enge verzweifelt nach oben zu klettern versuchten.
    Es verwirbeln sich Evolution, Historie und Science-Fiction
    Raumnot, Raumnahme, Raumvisionen. Meg Stuart umkreist in ihrer grandiosen Tanzperformance das Assoziationsfeld mit Bildern, die immer verstörend widersprüchlich bleiben, immer trügerisch vom Scherz in den Schrecken und wieder zurückkippen. Hier geht es um mehr als eine getanzte Architektur-Annexion. Hier verwirbeln sich Evolution, Historie und Science-Fiction, und vor allem geht es um den Zustand unserer Zeit.
    So dräuen natürlich auch die weltweiten Migrationsbewegungen, dräut die Flüchtlingsdebatte im konzeptuellen Hintergrund. Dann tanzen etwa die Performer in Soli mit solcher Dringlichkeit das Publikum an, als wollten sie von ihrer persönlichen Geschichte erzählen. Doch ihre eigenartigen Gestenfolgen kann niemand verstehen. Das interkulturelle Kommunikationsdefizit als peinigende Chaos-Choreografie. Hospitalisierende Bewegungsloops, zum Schrei aufgerissene Münder, Krallenhände, Zuckungen. Ein Grauen echot in den Körpern dieser Fremden, das unbegreiflich bleibt, und der Zuschauer nur ein hilfloser Katastrophen-Voyeur.
    Das konnte Meg Stuart schon immer überragend gut, und die Wucht dieser Szenen wird nicht mal dadurch gemildert, dass aufs Trauma die Therapie folgt: In einer langen Sequenz exerziert Meg Stuart ihr Repertoire an Antidepressiva kunstvoll durch - vom Urschrei über die kollektive Tai-Chi-Versenkung bis zum kunsttherapeutischen Herumpusten mit rosa Kreidestaub; so penetrant paradiesisch, dass es fast schon wieder ironisch wird. Es gilt die Menschheit nicht nur zu richten, sondern auch zu retten – wirklich? In dieser clever-ungeheuren Arbeit von Meg Stuart eben doch eine Mission mit Zweifel.