Donnerstag, 28. März 2024

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Projekt Draußenschule
Mehr Raum für Bewegung und sinnliche Eindrücke

Bei der sogenannten Draußenschule steht nicht nur Naturkunde auf dem Stundenplan, auch Mathematik und Deutsch werden hier vermittelt. An der Lichterfelder Grundschule läuft das Projekt nun schon seit zwei Jahren. Vor allem für die Schüler ist das ein großer Gewinn, aber nicht nur, weil sie an der frischen Luft sind und neue Eindrücke bekommen.

Von Katja Geulen | 01.10.2016
    Schüler machen sich Mitschriften während ihres Ausfluges in das Tropenhauses des Botanischen Gartens in Halle.
    Die Draußenschule ist ein bundesweites Projekt. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von Naturkunde. (picture alliance/ dpa)
    "So, dann wollen wir jetzt mal wieder nach draußen gehen, wir haben jetzt eine Draußenstunde, jeder holt sich seinen Rucksack und dann gehen wir in den Park". - "Ja!" Große Freude in der Grundschule Lichterfelde in Brandenburg. Jeden Donnerstag ist für die vierte Klasse Draußenschule – das heißt, der Unterricht findet im Freien statt. Heute geht Schulleiter Hans-Dieter Weiß selbst mit den Neun- bis Elfjährigen raus, denn die Klassenlehrerin ist krank. Doch ausfallen lassen will Weiß die Draußenstunde nicht. Auch wenn es diesmal nur in den Park gegenüber geht: Die Draußenausrüstung darf bei keiner Expedition fehlen, erklärt Ben Böttcher. "Da sind die Rucksäcke, ein Taschenmesser, Lupe, Bücher."
    Die waldgrünen Rucksäcke haben sogar einen kleinen eingebauten Hocker, falls es mal kalt und nass ist, denn die Draußenschule findet seit zwei Jahren bei jedem Wetter statt. Und die Kinder finden sie immer gut, so auch Schülerin Lina Brenner: "Weil wir in der Draußenschule ein bisschen rumtoben können und an die frische Luft können."
    Fünf Minuten später haben die Kinder ihre Rucksäcke schon wieder abgenommen und stellen sich – nach einer kurzen Laufrunde - im Kreis auf. Ein Plateau, das früher mal aus Beton Mitten im Park wie eine kleine Bühne angelegt wurde, ist jetzt ihr Klassenraum. Drumherum wachsen Gras, Büsche und hohe Laubbäume, die im Herbstwind rauschen. Heute ist eine Deutschstunde geplant – die Kinder werden später Zungenbrecher einüben und sie sich gegenseitig vorstellen. Zunächst aber gehört eine Einstimmungsrunde zur Draußenschule. Der Umweltpädagoge Wolfram Wehrmann leitet sie. Er hat das Projekt von Anfang an begleitet und unterstützt die Schule mit Kontakten, bei der Planung von Exkursionen oder, wie heute, ganz konkret die Lehrer beim Unterricht im Freien: "Kann sich jemand an das Lied erinnern, das wir letztes Mal am See eingeübt haben? – Na dann!"
    Eine soziale Interaktion zwischen den Kindern ist wichtig
    Die Hände zur Erde, und wieder hoch – mit passenden Bewegungen begleiten die Kinder das Lied. Danach machen alle gemeinsam Yoga-Übungen: den Hasen und den Baum – auf einem Bein stehen. Auch die nächste Gruppenübung kennen schon alle: das Augenblickspiel. Wer dran ist, bestimmt durch Augenkontakt, mit wem er den Platz tauschen möchte. "Das ist zur sozialen Interaktion zwischen den Schülern, dass die miteinander auf eine andere Art und Weise wie es im Klassenraum ist in Kontakt miteinander kommen. Und das ist so der Aufbau – diese Runde – dass man diese Runde auch noch mal durchmischt und jeder danach an einem anderen Ausgangsort steht. Und danach anfängt mit dem Unterricht."
    Neue Blickwinkel und außergewöhnliche Erlebnisse sind in der Draußenschule gewünscht, so Wehrmann. Im Gegensatz zum Klassenzimmer, wo es für Lehrende und Lernende meist am einfachsten ist, wenn alles nach Plan läuft, spielen draußen andere Ebenen eine Rolle: mehr Raum für Bewegung und Spontanität, mehr sinnliche Eindrücke. "Was da einfach auch besonders ist, sind spontane Ereignisse, das heißt: Ein Eichhörnchen krabbelt auf dem Baum rum. Ein Kind jubelt: Ich hab ein Eichhörnchen gesehen. Dann hat man einen Moment, der dazu führt, dass man sich gemeinsam mit einem Phänomen der Natur beschäftigt, ein gemeinsames Erlebnis, was total wichtig ist."
    Auch Mathe oder Deutsch stehen auf dem Draußenstundenplan
    Draußenschule hat einerseits viel mit Naturerleben zu tun. Doch es muss nicht immer Biologie oder Sachkunde sein, auch Mathe oder eben Deutsch stehen auf dem Draußenstundenplan. Wehrmann verteilt Arbeitsbögen mit verschiedenen Zungenbrechern: "Und eure Aufgabe ist gleich, in kleinen Grüppchen, eine Teamarbeit zu machen, ihr könnt euch dann hier im Park verteilen und dann studiert ihr den Zettel. Und nach fünf Minuten rufen wir euch hier auf dem Plateau zusammen und dann führt ihr eure Zungenbrecher den anderen vor, ja?"
    Hinter Bäumen, auf der Wiese, auf einem Hügel üben und lachen die Schülergruppen, denn Zungenbrecher sind dazu da, nicht gleich zu klappen: "Blaukraut bleibt Brautklau, äh hihihi."
    Trotz Wind- und Blätterrauschen sind die Mädchen konzentriert bei der Sache. Dass 19 Kinder gleichzeitig Zungenbrecher einüben, wäre im Klassenzimmer gar nicht möglich, stellt Maja Thierbach fest: "Drinnen ist es lauter als draußen. Denn drinnen lernen alle zur gleichen Zeit den gleichen Spruch und dann wird's ja 'n bisschen lauter als draußen."
    Ein kurzer Applaus für jede Gruppe, die ihren Zungenbrecher vorführt – auch das schafft ein besonderes Erlebnis.
    "Fand ich schön, weil ich mich andauernd versprochen hab und das war sehr witzig."
    Schulleiter Weiß zieht ein positives Fazit
    Für die Schülerinnen und Schüler heißt Draußenschule dennoch vor allem: Die Natur erleben. Pflanzen und Tiere entdecken und erforschen. Eigene Erfahrungen sammeln und sie mit der Gruppe teilen. Denn selbst im dörflichen Lichterfelde, das von Wald und einem Biosphärenreservat umgeben ist, sind die Ausflüge und das gemeinsame Hinausausgehen etwas Besonderes für die Kinder. Nach über zwei Jahren Projektlaufzeit zieht Schulleiter Hans-Dieter Weiß ein positives Fazit: "Wir haben auf alle Fälle festgestellt, dass gerade im Bereich Umweltbildung viel mehr hängen bleibt, aber auch in Deutsch und Mathematik, weil es den Kindern dort mehr Spaß macht, als wenn sie im Klassenraum ein Gedicht aufsagen. Sie verbinden das dann nicht nur mit dem Lernen, sondern auch mit den Erlebnissen, die sie dort haben."
    Auch wenn das Projekt zum Jahresende ausläuft, möchte Weiß weiterhin für die zweite bis vierte Klasse regelmäßig Draußenunterricht anbieten. Je nach personellen Möglichkeiten, denn ob es weiterhin Unterstützung, wie jetzt im Modellprojekt durch Umweltpädagogen, gibt, ist noch unklar. "Ob wir dann weiterhin einen ganzen Schultag anbieten können oder sagen, ok, wir gehen nur mal zwei Stunden raus. Aber auf alle Fälle ist es unser Ziel, das fortzuführen, auch wenn die Modellzeit jetzt vorbei ist, möchten wir das machen. Und wir haben auch schon Partner gefunden und uns Material angeschafft, das die Schüler auch weiterhin verwenden können."
    Die Schüler freut es, denn auch sie möchten auf keinen Fall mehr auf ihre Draußenschule verzichten: "Ich hab schon mal einen Fuchsbau gefunden. Ich würde an der Draußenschule vermissen, dass wir rausgehen, wandern, dass wir solche Draußen-Untersuchungen machen, wie Brennnesseln untersuchen und so was, die Natur."