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Projekt "Enter Africa"
Afrikas Gaming-Industrie im Aufbruch

Bei der Computerspielemesse Gamescom in Köln ist ein noch recht unbekannter Player mit dabei: Afrika. In vielen Ländern des Kontinents wird gespielt, auch dort werden Spiele entwickelt. Aber es hapert an einer richtigen Gaming-Industrie. Das soll ein Projekt des Goethe-Instituts ändern: "Enter Africa".

Von Leonie March | 20.08.2019
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Spieledesigner Steven Tu vor dem von ihm mitentwickelten Spiel "Busara" (Deutschlandradio/Leonie March)
Steven Tu ist in seinem Element. Er erklärt ein neues Spiel: Busara. Die Grafik des Spielbretts erinnert an ein uraltes Spiel, das überall in Afrika gespielt wird. Traditionell ein Holzbrett mit mehreren Mulden, in denen die Spieler strategisch Bohnen, Samen oder Steine umverteilen. Diese Ähnlichkeit sei kein Zufall, sagt der Spieledesigner:
"Es gibt hier auf dem Kontinent ein großes Verlangen danach, die eigene Kultur auszudrücken. Die Leute wollen nicht nur Marvels Superhelden sehen, sondern Konzepte und Figuren, mit denen sie sich identifizieren können. Da sich Afrika jedoch nicht auf eine einzige Kultur reduzieren lässt, repräsentieren in unserem Spiel Königreiche jene Aspekte, die für die Projekt-Teilnehmer wichtig waren."
"Spiele können die Welt verändern"
15 Teams aus 15 afrikanischen Ländern haben diese Königreiche im Rahmen des "Enter Africa"-Projekts entworfen. Jeder Spieler zieht eine entsprechende Karte.
Steven Tu hat "Egolica" gezogen und lächelt. "eGoli", so nennen die Zulu die Stadt, in der er lebt - Johannesburg, die Stadt des Goldes. Anders als in der Realität trägt der Rohstoffreichtum im Spiel zu einem universellen Grundeinkommen für alle Bürger bei. Zukunftsvisionen wie diese - Wohlstand, Vielfalt, Grenzenlosigkeit - würden auch die anderen Königreiche auszeichnen, sagt Co-Entwickler Dagmawi Bedilu:
"Wir haben unser Königreich ‚Arada‘ genannt. Den Begriff kennt bei uns in Äthiopien jeder. Ein Arada, das ist jemand, der in gewisser Weise in unterschiedliche Identitäten schlüpfen kann. Heutzutage werden Menschen ja oft auf ihr Geschlecht oder ihre Nationalität reduziert. Wer versteht, wie oberflächlich das ist, wird anderen gegenüber toleranter, empathischer und verständnisvoller."
Eine Spielekarte mit der Aufschrift "Egolica" und Handlungsanweisungen
Das Brettspiel "Busara" (Deutschlandradio/Leonie March)
Arada, so heißt auch das lokale Location-Based Game des äthiopischen Teams. Diese lokalen, App-basierten Spiele sind in 15 afrikanischen Großstädten entstanden, bevor die Teams das gemeinsame Brettspiel entworfen haben. Mit dem Smartphone erkunden Spieler ihre Städte, von Kinshasa bis Kampala, von Yaounde bis Dar es Salaam, erzählt Stefanie Kastner, eine der Projekt Managerinnen vom Goethe Institut:
"Wir sind überzeugt davon, dass Spiele die Welt verändern können. Wir sind ausgegangen von der Frage, was ist die Zukunft meiner Stadt, und wie soll die Stadt aussehen, in der ich gerne leben möchte. Und zu diesem Thema wollten wir einfach Menschen zusammenholen, die sich zu diesen Fragen austauschen möchten und die gemeinsam ein Spiel kreieren."
Nicht nur Spieledesigner waren daran beteiligt, sondern auch Stadtplaner, Architekten, Webdesigner, Künstler und viele andere. Dieses Netzwerk könne das Fundament für eine panafrikanische Gaming-Industrie bilden, betont Dagmawi Bedilu.
"Beim Aufbau eines solchen Gaming-Ökosystems, also einem fruchtbaren Boden für diese Industrie, brauchen wir nicht nur Studios, die Spiele entwickeln, sondern auch Ausbildungsstätten, Promoter, Geldgeber und so weiter. Erst dann kann man von einer echten Gaming-Industrie sprechen."
Aufbau einer afrikanischen Gaming-Industrie
In seiner Heimat Äthiopien liegen Handy-, Computerspiele und E-Sports bei der Jugend zwar im Trend. Aber die Industrie steckt in den Kinderschuhen. Andere afrikanische Staaten wie Südafrika seien schon weiter, erzählt Steven Tu:
"Momentan gibt es hier etwa 20 kommerzielle Studios und viele selbstständige Spielentwickler. Wir haben auch eine jährliche Spielemesse. Die Szene ist zwar auch nicht groß, aber sie wächst stetig. Südafrika wird bekannter und beliebter. Internationale Spiele werden zunehmend in unsere Studios outgesourced und hier entwickelt."
Geringere Produktionskosten seien dafür nicht der einzige Grund, fügt Dagmawi Bedilu hinzu:
"Auf dem globalen Markt mangelt es an neuen Inhalten. Wir glauben, dass unser Kontinent diese neuen, einzigartigen Inhalte liefern kann. Unser Projekt vernetzt uns untereinander und den Kontinent mit dem bereits etablierten globalen Netzwerk."
Spiele über Elektroschrott und Brain Drain
Wie neue Spiele vom Kontinent aussehen könnten, zeigt das "Enter Africa"-Projekt des Goethe Instituts. Symbole, Figuren und Themen gewähren nicht nur einen Blick in die jeweilige Kultur, sondern auch auf die Themen, die den Einheimischen auf den Nägeln brennen, betont Stefanie Kastner:
"Es gibt Spiele, die sich ganz stark mit dem Thema Nachhaltigkeit und Umwelt befassen, wie das Location-Based Game in Ghana zum Beispiel, das in Agbogbloshie angesiedelt ist - der riesigen Müllhalde, auf der unser europäischer Elektronikschrott landet. Und es gibt auch ein Spiel, in dem es um die Frage des Brain Drains geht."
Da viele dieser Spiele jedoch nur interaktiv vor Ort mit GPS-Daten funktionieren, hat sich das Johannesburger Team für ein anderes Format entschieden: "Walk With Me" ist eine Art Podcast, der die Spieler auf eine virtuelle Erkundungstour durch die Stadt des Goldes mitnimmt, geführt von Erzählerin Carmen Ho.
Carmen Ho: "Gold ist für uns ein Symbol für den besonderen Geist und die Energie der Einwohner. Trotz der enormen sozialen und ökonomischen Herausforderungen verlieren sie die Hoffnung nicht. Das wahre Gold liegt also in den Menschen, verkörpert von unseren Charakteren. Sie vermitteln ein positives Bild der Stadt."
Mit Spielen gegen Vorurteile
Spiele können Einstellungen verändern und neue Perspektiven eröffnen - dieses Credo des Projekts haben Teilnehmer wie Geoffrey Hunt selbst erfahren:
"In Spielen können Probleme oder Vorurteile angesprochen werden, ohne jemanden in die Ecke zu drängen. So kann ich als weißer Südafrikaner in die Fußstapfen eines Township-Bewohners in Soweto treten. Es ist eine interessante Erfahrung, wie ich mich selbst durch diesen Spiegel wahrnehme."
Genau das ist eines der Ziele des panafrikanischen Gaming-Projekts, das letztlich auch das Image Afrikas in der Welt verändern soll. Ein Kontinent, der nicht nur Krisen, sondern auch eine enorme Kreativität zu bieten hat.
Die Homepage des Projekts "Enter Africa"