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Projekt Ocean Cleanup
Meereswaschmaschine in der Nordsee in Not

Der junge Niederländer Boyan Slat hatte eine ambitionierte Idee: eine Art Meereswaschmaschine, die Müll von der Wasseroberfläche filtern soll. Nach vier Jahren Arbeit an der Vision wurde ein Prototyp in die Nordsee gesetzt. Doch nach zwei Monaten auf See musste die Konstruktion wieder an Land geholt werden.

Von Anja Krieger | 19.09.2016
    Der niederländische Erfinder Boyan Slat während der Installation des ersten Prototyps seines Projekts "The Ocean Cleanup" in der Nordsee am 23. Juni 2016
    Der niederländische Erfinder Boyan Slat während der Installation des ersten Prototyps seines Projekts "The Ocean Cleanup" in der Nordsee am 23. Juni 2016 (picture alliance / dpa / APN / Remko de Waal)
    "Bei diesen Dingen steckt der Teufel immer im Detail. Erst wenn man etwas baut und ins Wasser setzt, sieht man: Ah, ok, ja, so funktioniert das! Und das machen wir. Man kann so viel am Computer modellieren, wie man will, das richtige Lernen beginnt erst in der echten Welt."
    Lourens Boot weiß genau, wie schwierig die Umsetzung großer Ideen ist. Der Offshore-Ingenieur aus den Niederlanden entwickelte Ölplattformen, bevor er sich dem jungen Erfinder Boyan Slat anschloss. Slat hatte mit seiner Vision, den Nordpazifik vom Plastikmüll zu reinigen, weltweit für Furore gesorgt. Eine V-förmige Konstruktion auf dem Meer, bestehend aus kilometerlangen Gummiwülsten, soll schwimmende Kunststoffteilchen aufhalten, sodass Boote sie einsammeln und an Land bringen können. Neben zwei Millionen Dollar an Crowdfunding gewann Boyan Slat für sein Ocean-Cleanup-Projekt auch Helfer wie Lourens Boot:
    "Ich habe zwölf Jahre lang in der Gas- und Öl-Industrie gearbeitet, und irgendwann habe ich mich gefragt, will ich weiter daran mitarbeiten, die alte Welt zu erhalten, oder will ich eine neue Welt bauen?"
    Lourens Boot wurde technischer Leiter des Projekts und koordinierte Simulationen und Tests am Computer und in Strömungsbecken. Ende Juni setzte sein Team dann den ersten Prototyp in die Nordsee, eine 100 Meter lange Kette aus Luftkissen, 23 Kilometer vor der niederländischen Küste. Zusammen mit einem Hersteller für Öl-Barrieren hatte das Team eine Konstruktion entwickelt, die den Kräften auf dem Meer längere Zeit standhalten sollte: 15 schwarze Module aus Gummi mit einer Plastikschürze, die den treibenden Müll nahe der Oberfläche später einmal aufhalten soll. Die Widerstandsfähigkeit dieser Konstruktion wollten die Entwickler mehrere Monate lang testen. Doch schon Anfang August zeigten sich die ersten Probleme:
    "Tatsächlich sind die Bedingungen in der Nordsee viel, viel rauer als im Pazifischen Ozean, weil es da viele kurze Wellen gibt, das heißt, die Wellen drehen sich sehr schnell."
    Verbindungsglied zwischen Barriere und Befestigung hat versagt
    Was sich beim Test in der Nordsee auch verdrehte, waren die äußeren beiden Teile des gebogenen Schwimmarms. Obwohl der Prototyp mit zwei großen Bojen mit je drei Ankern befestigt war, geriet er aus der Form. Aufnahmen der Unterwasserkameras zeigten, dass das Verbindungsglied zwischen Barriere und Befestigung versagt hatte. Nach weniger als zwei Monaten auf See mussten die Ingenieure ihre Konstruktion wieder an Land holen. Projektleiter Lourens Boot erwartet, dass noch eine ganze Reihe von Anpassungen nötig wird:
    "Ich bin ziemlich sicher, dass das Design, das wir dann letztlich im Pazifik installieren werden, anders aussehen wird, als das, was wir jetzt haben."
    Ozeanografin Martini: "Man versucht, das Plastik einzusammeln, aber um welchen Preis?"
    Ursprünglich geplant war ein Einsatz von zwölf Monaten. Dass daraus nur zwei geworden sind, zeigt, dass die Umsetzung der Idee noch ganz am Anfang steht. Plastikmüll aus der Nordsee konnte der Prototyp zudem nicht sammeln. Dies sei auch gar nicht Ziel des Tests gewesen, erklären die Entwickler. Dafür sei der Prototyp zu kurz und das Meer und am Testort zu wenig verschmutzt. Zudem würden die Gezeitenströmungen das Plastik gleich wieder herausspülen.
    Müll und andere Dinge schwimmen zusammen mit einem Fisch im Meer kurz vor der Küste Abu Dhabis. Das Wasser sieht grün und dreckig aus. Ein kleiner Damm hindert den Müll zu passieren.
    Der Plastikmüll in den Weltmeeren stellt eine zunehmende Umweltbelastung dar ( Imago / Thomas Mueller )
    Als Testmaterial dienten den Entwicklern stattdessen Holzspäne und mitgebrachte Plastikflaschen, die sie an einer Leine ins Wasser warfen. Auch über die schwierige Befestigung im tausende Meter tiefen Pazifik sagt der Test nichts aus, denn der Nordseeboden ist an der Einsatzstelle nur 22 Meter tief. Die US-Ozeanografin Kim Martini hält diese Herausforderungen für immens. Zudem könnte das Ocean-Cleanup-Vorhaben selbst ökologische Folgen haben:
    "Das ist ein Gerät, das Fische anzieht. Es konzentriert Plastik an der Oberfläche, um das sich dann ein eigenes kleines Ökosystem bilden wird. Man versucht, das Plastik einzusammeln, aber um welchen Preis? Es gibt effektivere Wege, unsere Zeit und Mittel einzusetzen."
    Die Entwickler um Boyan Slat entgegnen, dass sie solche Umweltgefahren von Anfang an mit einbeziehen wollen. Im 35-köpfigen Team des jungen Unternehmers arbeiten auch fünf Meeresbiologen. Um das Prinzip in der Nordsee in kleinem Maßstab zu testen, hat die niederländische Regierung über eine halbe Millionen Euro dazu geschossen. Der technische Leiter Lourens Boot glaubt, dass sein Team eine gute Lösung entwickeln kann:
    "Bei jeder neuen Entwicklung gibt es 99 Gründe, wieso etwas schief geht, und nur einen Grund, warum es funktioniert - man muss sie einfach einen nach dem anderen angehen, von den größeren zu den kleineren Problemen. Aber wenn die Leute immer nur vernünftig wären, gäbe es keine neue Entwicklung in der Welt."
    Für Ende des kommenden Jahres hatten die Entwickler eigentlich geplant, ein deutlich größeres und diesmal funktionsfähiges Modell vor Japan zu installieren. Im Jahr 2020 wollen sie mit der fertigen und dann gigantisch großen Reinigungsplattform raus auf den Pazifik. Die Konstruktion soll mit 100 Kilometern dann tausend mal länger sein als der derzeitige Prototyp. Wie realistisch diese Ansagen sind, steht allerdings nach dem gerade abgebrochenen Test wieder sehr infrage.