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Projekt Rucksack

Seit zehn Jahren gibt es in Essen das Rucksackprojekt. Rucksack heißt: Mütter mit Migrationshintergrund werden angeleitet, ihrerseits Mütter mit Migrationshintergrund anzuleiten. Zu Themen, wie Jahreszeiten, Essen oder Religion sollen sie ihren Kindern Geschichten erzählen, mit ihnen malen, basteln und kleine Übungen machen. Väter sind in diesem Projekt nicht vorgesehen.

Von Andrea Groß |
    Ein Mittwochmorgen im Elterncafé der Grundschule an der Viktoriastraße im Essener Stadtteil Katernberg. Zehn Frauen decken den Frühstückstisch, kochen Tee und Kaffee und bereiten die Arbeitsmaterialien für ihre Rucksackstunde vor.

    "Wir kriegen die Anleitungen immer vorher montags, die Stadtteilmütter. Und die Unterlagen auch. Und dann komme ich halt Mittwochs hier, wir frühstücken zusammen mit den Müttern, wir nehmen unseren Stoff durch, einzeln je Schritt. Wir besprechen das, machen Spiele, unterhalten uns danach, wenn wir fertig sind mit der Anleitung über das, was wir haben als Probleme, was schön war, was schlecht war – also allgemein über alles."

    Zübeyde Pismek ist Stadtteilmutter. Sie nimmt regelmäßig an Fortbildungsseminaren teil und trifft sich jeden Montag mit anderen Stadtteilmüttern und einer Projektleiterin. Die händigt den Stadtteilmüttern die Arbeitsmaterialien für die Müttergruppen aus und gibt Tipps für die Themenstellung und die Aufgaben, die in der jeweiligen Woche anstehen. In der Gruppe der Schulkindermütter geht es diesmal um Feste und Feiertage.

    "Wir haben zum Beispiel letzte Woche ein Spiel gespielt, da wird nachgefragt zum Beispiel welche Feiertage die Christen haben, wer Nikolaus ist, was Weihnachten ist, was wird Weihnachten gefeiert. Viele wissen zum Beispiel nicht, was Weihnachten gefeiert wird, nicht. Viele sagen, die Auferstehung von Jesus – das ist ja nicht der Fall. Oder: was der Imam macht, was der Koran ist, im Islam beispielsweise. Das ist ein Vergleich sozusagen. Wir lernen gegenseitig die Religionen kennen."

    Zuhause sollen die Mütter mit ihren Kindern diese Übungen nachspielen: wie feiern Christen Weihnachten, wie feiern Muslime das Zuckerfest. Zur Vertiefung eines Themas gibt es in den Arbeitsunterlagen Buchtipps für Geschichten zum Vorlesen oder praktische Anleitungen zum Basteln oder Plätzchen backen. Den Kindern macht es riesigen Spaß, erzählt zum Beispiel Nazmir Yanaz.

    "Gestern Abend hat er zum Beispiel gefragt: Mama, was habt ihr letzte Woche gemacht, komm, lass uns schnell machen. Ich sage, machst du erst mal deine Hausaufgabe – uhh. Aber sobald dann Rucksack geht, dann machen wir als erstes Rucksackhausaufgabe und dann hinterher seine eigene Hausaufgabe. Läuft prima."

    Die Übungen zuhause sollen in der Muttersprache gemacht werden, in der Schule oder im Kindergarten werden dann noch einmal ähnliche Aufgaben zum gleichen Thema in deutscher Sprache gemacht. Die Lektionen zuhause dienen nicht nur dem Mutterspracherwerb, sondern auch dem Miteinander von Mutter und Kind. Meryem Arslan erzählt, dass sie vorher gar nicht auf die Idee gekommen wäre, mit ihrer Tochter zusammen zu basteln oder zu kochen.

    "Vorher habe ich überhaupt nicht so etwas gemacht. Aber dieses Projekt, was mir sehr gut gefällt –für meine Tochter ist es sehr wichtig, weil sie es gerne mitmacht."

    In Essen gibt es mittlerweile mehr als 50 Müttergruppen für Grundschulkinder und 30 für Kindergartenkinder. Die Klassenlehrer sprechen alle Eltern auf das Rucksackprojekt an, besonders aber diejenigen, die Förderunterricht oder Sprachförderung bekommen, sagt Alessandra Provenzano, die das Rucksackprojekt für die Schulen koordiniert. Wenn Mütter nicht daran teilnehmen, liegt das meistens daran, dass sie berufstätig sind. Mit der Nationalität habe das nichts zu tun. Auch persönliche Gründe der Eltern, sich nicht an dieser Förderung beteiligen, haben nichts mit der Herkunft zu tun.

    "Rucksack kann nicht jeden erreichen, ganz klar. Die Eltern, die an Rucksack teilnehmen, sind schon Eltern, die eine gewisse Bereitschaft zeigen. Es gibt auch Eltern, die diese Bereitschaft nicht zeigen, die werden dann weder an Rucksack teilnehmen noch an anderen Programmen."

    Eine verpflichtende Teilnahme sei weder erwünscht noch notwendig, sagt Alessandra Provenzano. Es habe sich herumgesprochen, dass Rucksack den Kindern und auch den Geschwisterkindern nicht nur Spaß macht und ihnen das Lernen von Sprache erleichtert. Es habe sich außerdem herumgesprochen, dass das Rucksackprojekt für die Mütter Erziehungshilfe und Frauenhilfe bedeutet. Und dazu Gelegenheit für ein privates Schwätzchen bei Tee oder Kaffee.