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Projekt WISSARD
Was der Schlamm über den See im Antarktis-Eis verrät

Lake Whillans ist ein antarktischer See, der unter einer 800 Meter mächtigen Eisdecke liegt. Im Januar 2013 wurde er angebohrt, Wissenschaftler entnahmen Wasser- und Sedimentproben. Die Auswertung läuft seitdem auf Hochtouren, denn das Geschehen um Lake Whillans gilt als wichtiges Klimasignal. Nun liegen erste Ergebnisse liegen vor.

Von Dagmar Röhrlich | 23.07.2014
    Lake Whillans verbirgt sich unter 800 Metern westantarktischen Eises. Über ihn hinweg fließt der Whillans-Eisstrom in Richtung Ozean, und zwar schnell für einen Gletscher, immerhin mit ein paar hundert Metern pro Jahr, erklärt Ross Powell von der Northern Illinois University in Chicago:
    "Lake Whillans ist Teil eines komplexen, aktiven Fluss- und Seensystems, das sich unter dem Eis direkt auf dem Felsgrund gebildet hat. Es gehört zum Westantarktischen Eisschild, dem Teil des Kontinents, der sehr empfindlich auf Klimasignale reagiert."
    Das war einer der Gründe für das sogenannte WISSARD-Projekt, mit dem der Whillans-Eisstrom durch wissenschaftliche Bohrungen erforscht werden soll. Dabei interessiert die Geologen unter anderem das Zusammenspiel von Untergrund, Wasser und Eis. Denn das spielt bei der Geschwindigkeit der Eisströme eine große Rolle:
    "Die Seen dieses subglazialen Systems füllen sich periodisch mit Wasser, das durch das Fluss-System läuft."
    Das Auf und Ab des Sees unter dem Eis
    Auf die Phasen, in denen unter dem Eis eine Wasserlinse wächst, folgen ebenso periodisch solche, in denen dieses Wasser in Richtung Meer abfließt. In Lake Whillans passiert das nicht plötzlich und in einem Schwall, sondern langsam, über Monate hinweg:
    "Wir haben in den Wasserproben von Lake Whillans die Sauerstoffisotope analysiert. Sie zeigen, dass das Seewasser aus dem Gletschereis selbst stammt. Es entsteht jedoch nicht vor Ort, sondern in diesem großen System stromaufwärts: Sehr mächtige Gletscher wirken wie eine isolierende Decke und halten die Erdwärme fest. Deshalb beginnt das Eis in mehreren Hundert Metern Tiefe an der Gletscherbasis zu schmelzen - und das liefert das Wasser."
    Dieses Schmelzwasser schmiert den Eisstrom, lässt ihn schneller fließen - und es sammelt sich in den subglazialen Flüssen und Seen. Den Analysen zufolge sind diese verborgenen Seen von ganz anderer Natur sind als "normale": So haben die Sedimente am Grund von Lake Whillans nichts mit den typischen feinkörnigen Ablagerungen zu tun:
    "Dieser See ist Teil des Eisstroms! Seine Sedimente sind charakteristisch für Ablagerungen am Grund eines Gletschers. Das Eis löst sich vom Untergrund, weil sich durch nachfließendes Schmelzwasser eine Wasserlinse bildet. Ansonsten sitzt es fest auf, und so besteht der Seegrund aus dem typischen Geschiebemergel: Der ist eine strukturlose Masse aus mitgeschleppten Kieseln, Sand und viel Schlamm, vermischt mit Wasser."
    Vergleich mit früherer Bohrung ist aufschlussreich
    Das Material für diesen Geschiebemergel schleppt der Whillans-Eisstrom an seinem Grund mit und lagert es im See ab, solange er auf dem Boden aufsitzt: Schlamm, Sand und Steine werden dann durch die Bewegung des Eisstroms regelrecht herausgehobelt. In den See selbst gibt der Gletscher anscheinend nichts ab. Dafür ist die Temperatur zu niedrig. Vielmehr scheint das Seewasser im Kontaktbereich zum Gletscher anzufrieren, so Ross Powell:
    "In den späten 1990er-Jahren hatten wir einige Hundert Kilometer 'stromaufwärts' schon einmal in den Untergrund des Eisstroms gebohrt. Nun konnten wir diese Proben mit denen aus Lake Whillans vergleichen. Das Ergebnis: Die Zusammensetzung des Sediments ist sehr ähnlich, nur dass es auf dem langen Weg zu Lake Whillans deutlich stärker vom Eis durchgearbeitet worden ist. Allerdings finden wir in den Seesedimenten ein klares marines Signal."
    Dieses Signal stammt wahrscheinlich aus einer früheren Warmzeit, als das Meer mindestens 800 Kilometer weit bis zu Lake Whillans vorgedrungen war. Ob es die jüngste vor der unseren war oder eine frühere, ist derzeit unklar. Auf jeden Fall belegt dieses Signal, dass der westantarktische Eisschild tatsächlich kein stabiler Block ist, sondern sehr empfindlich auf Klimaveränderungen reagiert. Um das Geschehen besser zu verstehen, soll in der kommenden Saison eine weitere Bohrung abgeteuft werden: diesmal in einem Gebiet, wo Meer und Eisstrom aufeinandertreffen.