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Prollhumorist und Bildungsbürger

Als Spaßgehülfe oder "das junge Blonde an seiner Seite" wird er bezeichnet: Der junge Krawallkomiker Oliver Pocher. Seit gestern darf er für mindestens 22 Folgen bei Altmeister Harald Schmidt am Schreibtisch sitzen und mitmachen. 2,3 Millionen Zuschauer haben die erste Sendung des neuen ARD-Late-Night-Gespanns verfolgt.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Im Fernsehen wie im richtigen Leben ist eine Stunde manchmal kürzer als eine halbe. Das war zwar gestern Abend nicht der Fall, aber länger war sie auch nicht. Überhaupt war alles ziemlich gleich wie vorher: Harald Schmidt sah aus wie immer, redete wie immer, das Studio war eingerichtet wie immer, vom Schreibtisch abgesehen, an dem eben jetzt, schräg abgewinkelt, Oliver Pocher sitzt. Man muss schon sehr viel fernsehen, um zu wissen, wer Oliver Pocher und was an dem ganzen Bohei um seinen Auftritt dran ist. Und man muss noch viel mehr fernsehen, um die Gags der beiden zu verstehen: von der Persiflage auf die Besuchergruppen im ZDF-Morgenmagazin über die vielfachen Anspielungen auf Eva Hermanns Rausschmiss aus Johannes Kerners Talkshow bis hin zu der genussvollen und gelungen Selbstsatire, die ein tragendes Element der Sendung war.

    Genau betrachtet, nehmen Schmidt und Pocher allerdings nicht sich selbst auf den Arm, sondern wiederum den Medienbetrieb, in dem sie bloß als Avatare auftreten. Schmidt, der graumelierte Liebling des Feuilletons, und Pocher, der jugendliche Krawallkomödiant, sollen der ARD ihre sehr verschiedenen Publikumssegmente erschließen: darin besteht die strategische Absicht, die zugleich durch den Kakao gezogen wurde. Als Pocher irgendetwas über eine anspruchsvolle Wochenzeitung sagte, erwiderte Schmidt: "Für mein Publikums war es zu leise - und deines kennt sie nicht."

    Solche schlagfertigen Schnellrepliken geben immer wieder Anlass, darüber nachzusinnen, wie viel in einer solchen Sendung abgesprochen ist und wie viel wirklich spontan geäußert wird. Denn in dem spürbar Ungeplanten liegt der höchste Unterhaltungswert; diese köstlichen Augenblicke von realer Geistesgegenwart machen das Zuschauen erst lohnend. Nun ist die Paarung Schmidt und Pocher in dieser Hinsicht allerdings unglücklich, denn beide sind so ausgebuffte Profis, dass bei ihnen nicht mal Pannen als Echtheitsbeweis gelten können. Mit dem immer etwas kalt erwischten Andrack und erst recht mit Schmidts vielen hergelaufenen Gästen war das früher anders. Bei diesen Interviews war der Verlauf offen.

    Oliver Pocher fügte sich auch nicht in die Reihe der leidgeprüften Dulder von Herbert Feuerstein bis zu Manuel Andrack, die bislang an Schmidts Seite seine Sadismen zu ertragen hatten. Entweder hat Pocher zuviel eigene Kraft, seine geröteten Ohren und sein geröteter Nacken deuteten darauf hin, oder Schmidt arbeitet wirklich daran, sich zurückzunehmen. Bloß im Einspielfilm über das Promi-Pilgern - eine Parodie auf die spirituelle Wellness-Welle - wurden die alten Verhältnisse von Herr und Knecht noch mal lebendig, vom Off-Sprecher angesagt als "die Beziehung zwischen den beiden künftigen Ex-Kollegen". Manchmal ist eben nichts so spaßig wie die Wahrheit.

    Das Zweitspaßigste ist aber allemal das Verbotene. Es gab in der gestrigen Sendung drei knallige Geschmacksregelverstöße: einen leider verstolperten Gag über die Homosexualität der neuen ARD-Göttin Anne Will, eine wohlplazierte Gemeinheit gegenüber Stefan Raab mit Hilfe eines Welthungerhilfeplakats: Schmidt: "Welthungerhilfe - darüber macht man keine Witze", Pocher: "Nee, aber lustig sieht es aus" - sowie die Sache mit dem Nazometer: Das piept und blinkt, wenn jemand ein unter Verdacht stehendes Wort sagt, zum Beispiel "Autobahn". Aber auch "Gasherd" oder "Dusche" - und da wird es dann doch im Ersten Deutschen Fernsehen ein wenig bedenklich.

    Insgesamt war es aber wieder eine brachiale Blödelsendung von hohem Reflexionsniveau. Immerhin wurde nicht nur die Falschheit öffentlicher Statements von Stars und Sternchen gegeißelt, sondern auch die absurde Parallelität von Schlussszenen zweier aktueller Fernsehkrimis aufgedeckt; es wurden Sprachspiele mit Musta-Fa und Anti-Fa gemacht, und Günter Jauch in einem Kurzauftritt gefragt, ob er nun zur ARD komme oder nicht. Während der noch seine Antwort formulierte, setzte Pocher mit dem schönsten Satz des Abends nach: "Ich sag mal so: Es ist so einfach." Da spätestens zeigte der ARD-Neuling so etwas wie Schmidt-Format.

    Das Tolle an der ARD wiederum ist, dass sie nach Schmidt und Pocher eine Kabarettsendung mit dem Titel "Pelzig unterhält sich" bringt, die an Komik, Feinsinn und Brillanz den Klamauk des Duos deutlich übertrifft. Ja, für Frank-Markus Barwasser sind Schmidt und Pocher künftig bloß Vorprogramm. Aber auch kein schlechtes.