In einem Punkt waren sich der Oktoberrevolutionär Lenin und Propagandaminister Goebbels völlig einig: Beide sahen im Medium Film das ideale Propagandamittel, um die Zuschauer in eine den Mächtigen genehme Richtung zu mobilisieren. Hitlers oberster Propagandist eiferte dem von ihm bewunderten russischen Revolutionsfilm nach und setzte seine Propagandahoffnungen auf die junge Siebte Kunst. Das programmatische Erziehen des Zuschauergeschmacks machte er zur Chefsache.
"Der Geschmack des Publikums ist keine unabänderliche Tatsache, die man als gegeben hinnehmen muss. Er ist erziehbar, im guten wie im bösen Sinne. Am Wille, diese Erziehung auch praktisch durchzuführen, entscheidet sich das künstlerische Gesicht des Films."
Besonders bei strategisch wichtigen Propagandastreifen wie dem antisemitischen Hetzwerk "Jud Süß" oder dem Durchhaltefilm "Kolberg" nahm der selbsternannte Schutzherr des deutschen Films engsten Anteil an Drehbuchentwicklung, Besetzung und Dreharbeiten. Erneut nach Moskauer Vorbild gründete Goebbels auf dem Babelsberger Studiogelände eine Filmakademie, die den Nachwuchs im Sinne der propagandistischen Ziele ausbilden sollte, aber nach wenigen Semestern bereits schließen musste. Denn eine Vielzahl renommierter Drehbuchautoren wie Billy Wilder oder bekannter Regisseure wie Fritz Lang und Detlef Sierck, aber auch beliebte Schauspieler wie Elisabeth Bergner, hatten die Emigration dem propagandistischen Arbeitsdienst zum Ruhme Nazi-Deutschlands vorgezogen.
In den zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur ließ Goebbels rund 1.150 abendfüllende Spielfilme produzieren. Hinzu kam eine Vielzahl an Kulturfilmen sowie Dokumentationen und kurze Sachfilme, die zusammen mit der Wochenschau per Gesetz im Vorprogramm zu laufen hatten. Die Autoren Heinz Giesen und Manfred Hobsch werten 90 Prozent dieser abendfüllenden Produktionen als Unterhaltungsfilme, darunter Melodramen, Komödien und Revuefilme. Nur zehn Prozent klassifizieren die Buchautoren als direkte Propaganda. Dazu gehören beispielsweise alle antisemitischen Hetzfilme und Leni Riefenstahls propagandistisches Meisterwerk "Triumph des Willens", in dem sie Hitler als gottgleichen Führer in Szene setzt. Zu seinem Lobpreis melden sich aus allen Teilen Deutschlands Männer zum freiwilligen Arbeitsdienst:
"Kamerad, woher stammst du? – Aus Friesland. – Und du, Kamerad? – Aus Bayern. – Und du? - Vom Kaiserstuhl. – Und du? – Aus Pommern. – Und aus Königsberg. – Aus Schlesien. – Von der Waterkant. – Vom Schwarzwald. – Aus Dräsden. – Von der Donau. – Vom Rhein. – Und von der Saar. – Ein Volk. Ein Führer. Ein Reich. Deutschland."
Auch Riefenstahls Reichsparteitags- und Olympiafilme zählen die Autoren zu den direkten Propagandafilmen. Erstaunlicherweise umfasst ihre eigene Auflistung der Nazi-Filmpropaganda mit rund 170 Einträgen jedoch deutlich mehr Werke, als es die prozentuale Aufteilung erwarten lässt. Giesen und Hobsch kommen zu dem Schluss:
"Und doch waren Propaganda- und Unterhaltungsfilme nur zwei Seiten ein und derselben Medaille, denn die gesamte Filmproduktion diente auf ihre Weise den Zielen des Regimes. Was in den Propagandafilmen in der Regel offen und deutlich ausgesprochen wurde, spielt unterschwellig in den scheinbar harmlosen Unterhaltungsfilmen mit."
Diese Aussage weist auf eine zentrale Frage hin, die die Autoren jedoch an keiner Stelle beantworten: Was ist ein Propagandafilm? Die Antwort scheint Giesen und Hobsch so vernachlässigbar, dass sie den Begriff weder definieren noch historisch einordnen oder im internationalen Kontext betrachten. Sind es nur die Werke mit offensichtlicher nationalsozialistischer Tendenz? Hätte nicht auch die raffiniertere Agitation der vermeintlich unpolitischen Filme stärker in diesem Buch beleuchtet werden müssen? Zumal Goebbels explizit gegen "Propaganda mit dem Holzhammer" war.
"Goebbels wollte den Propagandafilm, der sich an ästhetischen und technischen Qualitäten orientiert. Er wollte einen Film, der nicht einfach "das Parteiprogramm dialogisiert", sondern einen Stoff wirklich gestaltet."
Aus diesem Grund waren dem Reichsminister Filme wie "SA-Mann Brand" und anfangs auch die Horst-Wessel-Biographie ein Dorn im Auge. Den Wessel-Film ließ Goebbels sogar verbieten, weil er "weder der Gestalt Horst Wessels noch der nationalsozialistischen Bewegung als Trägerin des Staates gerecht wurde". Die Freigabe erfolgte erst nach völliger Umarbeitung und unter dem neuen Titel "Hans Westmar – einer von uns". Die Autoren bleiben Kriterien für ihre Auswahl von Propagandafilmen schuldig. Aus verschiedenen Kommentaren lässt sich nur die Vermutung ableiten, dass sie sich weitgehend auf die Liste der von den Alliierten verbotenen Filme stützen. Viele dieser Werke wurden später durch die FSK zum Teil mit überschaubaren Schnittauflagen wieder zugelassen.
Das Buch gliedert die Propagandafilme nach ihrem Produktionsjahr und stellt ihnen jeweils eine Jahreschronik der wichtigsten Ereignisse voran. Zu jedem Film gibt es ausführliche, aber leserunfreundlich gedruckte filmographische Angaben, gefolgt von einer kurzen bis ausführlichen Inhaltsangabe. Daran schließen sich "Dokumente" zum jeweiligen Film an, darunter Ausrisse aus Presseheften, Jubelarien aus der deutschen Presse, manchmal auch Zitate aus internationalen oder Nachkriegs-Publikationen oder den Autobiographien beteiligter Künstler. In der Länge variierende Kommentare schließen die über 170 Filmeinträge ab. Diese Grundstruktur hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Die Inhaltsangaben wirken teilweise wie übernommenes zeitgenössisches Material. Die ausgiebigen Zitate aus der gleichgeschalteten Presse wie dem Völkischen Beobachter erfahren keine Kommentierung. So bejubelt der "Illustrierte Filmkurier" den "Hitlerjungen Quex":
"Der kleine tapfere Soldat ist den Heldentod gestorben, für seine Sache, für die Kameraden, für die heiß geliebte Fahne und den Führer. Aber andere deutsche Jungens reißen die Fahne wieder hoch, die mit dem Blut eines der besten geweiht ist."
Die tiefere Sinnhaftigkeit dieser rhetorisch austauschbaren Lobpreisungen für die Analyse der filmischen Propaganda erschließt sich nicht. Der größte Schwachpunkt sind jedoch die "Kommentare". Detaillierte, ebenso kluge wie erhellende Analysen der Propagandafilme und ihres Einsatzes filmästhetischer Mittel sucht man vergeblich. Ebenso fehlt eine Systematisierung der genannten Werke hinsichtlich ihrer Propagandaabsicht, die die Kommentare zum Teil erstaunlich kurz und oberflächlich streifen. Auch die Frage nach der Wirksamkeit der nationalsozialistischen Agitation stellen sich die Autoren nicht.
Thematisch konzentrierte sich die Propaganda der Nazis auf die Verherrlichung des Führerprinzips wie in "Triumph des Willens" und auf die positive Darstellung von Krieg und Soldatentum, beides gerne im aufwändigen historischen Gewand wie in den Filmen "Bismarck" und "Die Entlassung" über den Eisernen Kanzler oder "Fridericus" und "Der große König" über Friedrich II., den Goebbels zum ersten Nationalsozialisten der Geschichte erhob.
Die Propaganda kreist um Schlüsselbegriffe nationalsozialistischen Selbstverständnisses wie "Volksgemeinschaft", Opferbereitschaft, "Blut und Boden" und Mutterschaft. Negative Propaganda richtet sich gegen die Weimarer Republik, Demokratie und linke Parteien sowie gegen die Feindbilder England, Polen und Sowjetunion. Die Filme "Die Rothschilds", "Der ewige Jude" und "Jud Süß" entstanden einzig und allein zu dem Zweck, den Vernichtungskrieg gegen die so titulierte "jüdische Weltverschwörung" filmisch zu legitimieren. Alle drei wurden 1940 mit Hochdruck gedreht und kamen als flankierende propagandistische Maßnahmen wenig später ins Kino.
Der historischen Figur des Jud Süß Oppenheimer wird im Film ein vermeintlich rechtsstaatlicher Prozess gemacht, propagandistisch stellvertretend für alle Juden, die bei Nacht und Nebel ohne juristische Handhabe deportiert wurden.
"Nach einer Monate langen eingehenden Prüfung haben wir die Gründe für die Anklage für Recht befunden. Ihr kennt sie: Erpressung, Wucher, Ämterhandel, Unzucht, Kuppelei und Hochverrat. Aber weit größer scheint mir die Schuld des Juden, wenn man sie an der Schande, dem Schaden, dem Leid ermisst, den unser Volk durch ihn an Leib und Seele erlitten hat."
Geradezu sträflich vernachlässigen die Buchautoren die Goebbels so wichtigen ästhetischen Komponenten der Propagandafilme und konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Inhaltsebene. Damit werden sie dem komplexen audiovisuellen Medium Film nicht gerecht. Natürlich erwähnen sie die "monumentalen, gigantomanisch-vermessenen Bilder" einer Leni Riefenstahl, aber die ästhetische Substanz der nationalsozialistischen Filmpropaganda wird nicht freigelegt. Die Autoren scheinen blind auf diesem Auge, was auch ihr unkritischer Umgang mit den Standfotos der Propagandawerke spiegelt: Über 500 Bilder sind in dem 3 Kilo schweren Band ebenso imposant wie dominant platziert. Auf jeweils einer ganzen Seite des großformatigen Buches präsentieren sich das heldenhafte Königsporträt aus "Fridericus", Paul Hartmann als "Bismarck" oder Zarah Leander in der Titelrolle der "Maria Stuart", die alle das Führerprinzip verherrlichen. Sowohl auf dem Titel als auch im Buch selbst findet das SA-Pin-Up des jugendlichen Hauptdarstellers aus "Hans Westmar" Verwendung. Und das alles auf schwerem Kunstdruckpapier in exzellenter Druckqualität: ein richtiger Propaganda-Prachtband!
Giesen und Hobsch reflektieren nicht die Gefahr, mit ihrem Buch die Faszination dieser Bilder zu reproduzieren, anstatt sie durch überlegte Präsentation, Kommentare und Analysen zu unterlaufen. In ihrer Tendenz, zu dokumentieren anstatt zu analysieren, werden sie den speziellen quellenkritischen Problemen ihres besonderen Ausgangsmaterials in Wort und Bild nicht gerecht. Liegt es daran, dass Rolf Giesen und Manfred Hobsch zwar ausgewiesene Filmpublizisten sind, jedoch sich mehr in populären Gefilden betätigen? Ohne ihren eigenen systematischen Ansatz zu hinterfragen, werfen sie dem Hitler-Biographen Joachim C. Fest vor:
"Fests Schuld ist es, das vordergründige Schauspiel, das der deutsche Faschismus aus Gründen der Propaganda inszeniert hat, das Ritual der Massenaufmärsche und Volksgemeinschaft, nicht zu entlarven, sondern in derselben pompösen Verpackung wie ehedem auf die Leinwand zu bringen."
Dieses postulierte kritische Bewusstsein hätte den Autoren auch für ihr eigenes Buch über den Nazi-Propagandafilm gut angestanden.
Stefanie Jaspers rezensiert Rolf Giesen und Manfred Hobsch: Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Der großformatige, 501 Seiten starke Kunstdruckpapierband ist im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag Berlin erschienen und kostet 49 Euro und 90 Cent.
"Der Geschmack des Publikums ist keine unabänderliche Tatsache, die man als gegeben hinnehmen muss. Er ist erziehbar, im guten wie im bösen Sinne. Am Wille, diese Erziehung auch praktisch durchzuführen, entscheidet sich das künstlerische Gesicht des Films."
Besonders bei strategisch wichtigen Propagandastreifen wie dem antisemitischen Hetzwerk "Jud Süß" oder dem Durchhaltefilm "Kolberg" nahm der selbsternannte Schutzherr des deutschen Films engsten Anteil an Drehbuchentwicklung, Besetzung und Dreharbeiten. Erneut nach Moskauer Vorbild gründete Goebbels auf dem Babelsberger Studiogelände eine Filmakademie, die den Nachwuchs im Sinne der propagandistischen Ziele ausbilden sollte, aber nach wenigen Semestern bereits schließen musste. Denn eine Vielzahl renommierter Drehbuchautoren wie Billy Wilder oder bekannter Regisseure wie Fritz Lang und Detlef Sierck, aber auch beliebte Schauspieler wie Elisabeth Bergner, hatten die Emigration dem propagandistischen Arbeitsdienst zum Ruhme Nazi-Deutschlands vorgezogen.
In den zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur ließ Goebbels rund 1.150 abendfüllende Spielfilme produzieren. Hinzu kam eine Vielzahl an Kulturfilmen sowie Dokumentationen und kurze Sachfilme, die zusammen mit der Wochenschau per Gesetz im Vorprogramm zu laufen hatten. Die Autoren Heinz Giesen und Manfred Hobsch werten 90 Prozent dieser abendfüllenden Produktionen als Unterhaltungsfilme, darunter Melodramen, Komödien und Revuefilme. Nur zehn Prozent klassifizieren die Buchautoren als direkte Propaganda. Dazu gehören beispielsweise alle antisemitischen Hetzfilme und Leni Riefenstahls propagandistisches Meisterwerk "Triumph des Willens", in dem sie Hitler als gottgleichen Führer in Szene setzt. Zu seinem Lobpreis melden sich aus allen Teilen Deutschlands Männer zum freiwilligen Arbeitsdienst:
"Kamerad, woher stammst du? – Aus Friesland. – Und du, Kamerad? – Aus Bayern. – Und du? - Vom Kaiserstuhl. – Und du? – Aus Pommern. – Und aus Königsberg. – Aus Schlesien. – Von der Waterkant. – Vom Schwarzwald. – Aus Dräsden. – Von der Donau. – Vom Rhein. – Und von der Saar. – Ein Volk. Ein Führer. Ein Reich. Deutschland."
Auch Riefenstahls Reichsparteitags- und Olympiafilme zählen die Autoren zu den direkten Propagandafilmen. Erstaunlicherweise umfasst ihre eigene Auflistung der Nazi-Filmpropaganda mit rund 170 Einträgen jedoch deutlich mehr Werke, als es die prozentuale Aufteilung erwarten lässt. Giesen und Hobsch kommen zu dem Schluss:
"Und doch waren Propaganda- und Unterhaltungsfilme nur zwei Seiten ein und derselben Medaille, denn die gesamte Filmproduktion diente auf ihre Weise den Zielen des Regimes. Was in den Propagandafilmen in der Regel offen und deutlich ausgesprochen wurde, spielt unterschwellig in den scheinbar harmlosen Unterhaltungsfilmen mit."
Diese Aussage weist auf eine zentrale Frage hin, die die Autoren jedoch an keiner Stelle beantworten: Was ist ein Propagandafilm? Die Antwort scheint Giesen und Hobsch so vernachlässigbar, dass sie den Begriff weder definieren noch historisch einordnen oder im internationalen Kontext betrachten. Sind es nur die Werke mit offensichtlicher nationalsozialistischer Tendenz? Hätte nicht auch die raffiniertere Agitation der vermeintlich unpolitischen Filme stärker in diesem Buch beleuchtet werden müssen? Zumal Goebbels explizit gegen "Propaganda mit dem Holzhammer" war.
"Goebbels wollte den Propagandafilm, der sich an ästhetischen und technischen Qualitäten orientiert. Er wollte einen Film, der nicht einfach "das Parteiprogramm dialogisiert", sondern einen Stoff wirklich gestaltet."
Aus diesem Grund waren dem Reichsminister Filme wie "SA-Mann Brand" und anfangs auch die Horst-Wessel-Biographie ein Dorn im Auge. Den Wessel-Film ließ Goebbels sogar verbieten, weil er "weder der Gestalt Horst Wessels noch der nationalsozialistischen Bewegung als Trägerin des Staates gerecht wurde". Die Freigabe erfolgte erst nach völliger Umarbeitung und unter dem neuen Titel "Hans Westmar – einer von uns". Die Autoren bleiben Kriterien für ihre Auswahl von Propagandafilmen schuldig. Aus verschiedenen Kommentaren lässt sich nur die Vermutung ableiten, dass sie sich weitgehend auf die Liste der von den Alliierten verbotenen Filme stützen. Viele dieser Werke wurden später durch die FSK zum Teil mit überschaubaren Schnittauflagen wieder zugelassen.
Das Buch gliedert die Propagandafilme nach ihrem Produktionsjahr und stellt ihnen jeweils eine Jahreschronik der wichtigsten Ereignisse voran. Zu jedem Film gibt es ausführliche, aber leserunfreundlich gedruckte filmographische Angaben, gefolgt von einer kurzen bis ausführlichen Inhaltsangabe. Daran schließen sich "Dokumente" zum jeweiligen Film an, darunter Ausrisse aus Presseheften, Jubelarien aus der deutschen Presse, manchmal auch Zitate aus internationalen oder Nachkriegs-Publikationen oder den Autobiographien beteiligter Künstler. In der Länge variierende Kommentare schließen die über 170 Filmeinträge ab. Diese Grundstruktur hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Die Inhaltsangaben wirken teilweise wie übernommenes zeitgenössisches Material. Die ausgiebigen Zitate aus der gleichgeschalteten Presse wie dem Völkischen Beobachter erfahren keine Kommentierung. So bejubelt der "Illustrierte Filmkurier" den "Hitlerjungen Quex":
"Der kleine tapfere Soldat ist den Heldentod gestorben, für seine Sache, für die Kameraden, für die heiß geliebte Fahne und den Führer. Aber andere deutsche Jungens reißen die Fahne wieder hoch, die mit dem Blut eines der besten geweiht ist."
Die tiefere Sinnhaftigkeit dieser rhetorisch austauschbaren Lobpreisungen für die Analyse der filmischen Propaganda erschließt sich nicht. Der größte Schwachpunkt sind jedoch die "Kommentare". Detaillierte, ebenso kluge wie erhellende Analysen der Propagandafilme und ihres Einsatzes filmästhetischer Mittel sucht man vergeblich. Ebenso fehlt eine Systematisierung der genannten Werke hinsichtlich ihrer Propagandaabsicht, die die Kommentare zum Teil erstaunlich kurz und oberflächlich streifen. Auch die Frage nach der Wirksamkeit der nationalsozialistischen Agitation stellen sich die Autoren nicht.
Thematisch konzentrierte sich die Propaganda der Nazis auf die Verherrlichung des Führerprinzips wie in "Triumph des Willens" und auf die positive Darstellung von Krieg und Soldatentum, beides gerne im aufwändigen historischen Gewand wie in den Filmen "Bismarck" und "Die Entlassung" über den Eisernen Kanzler oder "Fridericus" und "Der große König" über Friedrich II., den Goebbels zum ersten Nationalsozialisten der Geschichte erhob.
Die Propaganda kreist um Schlüsselbegriffe nationalsozialistischen Selbstverständnisses wie "Volksgemeinschaft", Opferbereitschaft, "Blut und Boden" und Mutterschaft. Negative Propaganda richtet sich gegen die Weimarer Republik, Demokratie und linke Parteien sowie gegen die Feindbilder England, Polen und Sowjetunion. Die Filme "Die Rothschilds", "Der ewige Jude" und "Jud Süß" entstanden einzig und allein zu dem Zweck, den Vernichtungskrieg gegen die so titulierte "jüdische Weltverschwörung" filmisch zu legitimieren. Alle drei wurden 1940 mit Hochdruck gedreht und kamen als flankierende propagandistische Maßnahmen wenig später ins Kino.
Der historischen Figur des Jud Süß Oppenheimer wird im Film ein vermeintlich rechtsstaatlicher Prozess gemacht, propagandistisch stellvertretend für alle Juden, die bei Nacht und Nebel ohne juristische Handhabe deportiert wurden.
"Nach einer Monate langen eingehenden Prüfung haben wir die Gründe für die Anklage für Recht befunden. Ihr kennt sie: Erpressung, Wucher, Ämterhandel, Unzucht, Kuppelei und Hochverrat. Aber weit größer scheint mir die Schuld des Juden, wenn man sie an der Schande, dem Schaden, dem Leid ermisst, den unser Volk durch ihn an Leib und Seele erlitten hat."
Geradezu sträflich vernachlässigen die Buchautoren die Goebbels so wichtigen ästhetischen Komponenten der Propagandafilme und konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Inhaltsebene. Damit werden sie dem komplexen audiovisuellen Medium Film nicht gerecht. Natürlich erwähnen sie die "monumentalen, gigantomanisch-vermessenen Bilder" einer Leni Riefenstahl, aber die ästhetische Substanz der nationalsozialistischen Filmpropaganda wird nicht freigelegt. Die Autoren scheinen blind auf diesem Auge, was auch ihr unkritischer Umgang mit den Standfotos der Propagandawerke spiegelt: Über 500 Bilder sind in dem 3 Kilo schweren Band ebenso imposant wie dominant platziert. Auf jeweils einer ganzen Seite des großformatigen Buches präsentieren sich das heldenhafte Königsporträt aus "Fridericus", Paul Hartmann als "Bismarck" oder Zarah Leander in der Titelrolle der "Maria Stuart", die alle das Führerprinzip verherrlichen. Sowohl auf dem Titel als auch im Buch selbst findet das SA-Pin-Up des jugendlichen Hauptdarstellers aus "Hans Westmar" Verwendung. Und das alles auf schwerem Kunstdruckpapier in exzellenter Druckqualität: ein richtiger Propaganda-Prachtband!
Giesen und Hobsch reflektieren nicht die Gefahr, mit ihrem Buch die Faszination dieser Bilder zu reproduzieren, anstatt sie durch überlegte Präsentation, Kommentare und Analysen zu unterlaufen. In ihrer Tendenz, zu dokumentieren anstatt zu analysieren, werden sie den speziellen quellenkritischen Problemen ihres besonderen Ausgangsmaterials in Wort und Bild nicht gerecht. Liegt es daran, dass Rolf Giesen und Manfred Hobsch zwar ausgewiesene Filmpublizisten sind, jedoch sich mehr in populären Gefilden betätigen? Ohne ihren eigenen systematischen Ansatz zu hinterfragen, werfen sie dem Hitler-Biographen Joachim C. Fest vor:
"Fests Schuld ist es, das vordergründige Schauspiel, das der deutsche Faschismus aus Gründen der Propaganda inszeniert hat, das Ritual der Massenaufmärsche und Volksgemeinschaft, nicht zu entlarven, sondern in derselben pompösen Verpackung wie ehedem auf die Leinwand zu bringen."
Dieses postulierte kritische Bewusstsein hätte den Autoren auch für ihr eigenes Buch über den Nazi-Propagandafilm gut angestanden.
Stefanie Jaspers rezensiert Rolf Giesen und Manfred Hobsch: Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Der großformatige, 501 Seiten starke Kunstdruckpapierband ist im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag Berlin erschienen und kostet 49 Euro und 90 Cent.