Samstag, 20. April 2024

Archiv

Prostituiertenschutzgesetz in Hamburg
Sexarbeit und Behördensoftware

Als eine der ersten Städte setzt Hamburg bald das Prostituiertenschutz-Gesetz um - mit Pflichtberatung und Klarnamen. Wird es die Situation der Frauen verbessern? Streetworker befürchten, durch eine Bürokratisierung könnten neue Probleme entstehen.

Von Axel Schröder | 19.10.2017
    Eine Prostitutierte steht am 18.02.2014 in der Dudweiler Landstraße in Saarbrücken (Saarland).
    Prostituierte bleiben gern anonym - und sollen sich demnächst bei den Behörden mit Klarnamen anmelden. Hamburg ist unter den ersten Städten, die das seit Juli geltende Bundesgesetz umsetzen (dpa / Oliver Dietze)
    Ein milder Oktoberwind weht die gelbvertrockneten Lindenblätter über den weiten Hansaplatz im Hamburger Bahnhofsviertel. Um viele der Frauen, die hier anschaffen gehen, Tag und Nacht, mitten im Sperrbezirk, kümmern sich Gudrun Greb und ihr Team von Ragazza, einer Anlaufstelle für drogenabhängige Prostituierte:
    "Wir machen als Ragazza ja auch aufsuchende Arbeit in Wohnungen und Bordellen. Und da haben wir ohnehin schon eine ungeheuer hohe Hürde, die Menschen zu überzeugen, dass wir ihnen nichts Böses wollen, dass wir ihnen Informationen geben wollen, dass wir ihnen Hilfe anbieten wollen, dass sie überhaupt die Tür aufmachen und das auch annehmen können. Und da haben wir natürlich ganz, ganz große Befürchtungen, dass diese Hürden noch höher werden."
    Dann nämlich, wenn das seit dem 1. Juli geltende Prostituiertenschutz-Gesetz in Hamburg umgesetzt wird, erklärt Gudrun Greb in einem kleinen Café am Rand des Platzes. Hamburg gehört zu den ersten Städten, in denen die im Gesetz vorgeschriebene Anmelde- und Beratungspflicht eingeführt wird. Und gerade hat sich Gudrun Greb noch vor deren Eröffnung die Räume anschauen dürfen, in denen die Anmeldung stattfinden soll.
    "Das ist eine Baustelle. Da kann man im Moment noch nicht von Zufriedenheit sprechen. Außerdem sind meines Erachtens die Räumlichkeiten zweitrangig. Das Wesentliche ist: Was passiert in diesen Räumlichkeiten?"
    "Huren-Pass" gegen Klarname, Adresse und Gesundheitsberatung
    Geplant ist, dass die Prostituierten dort ihren Klarnamen und ihre Wohnadresse angeben und einen, wie Gudrun Greb es ausdrückt, "Huren-Pass" bekommen, wenn sie bescheinigen können, dass sie an einer Gesundheitsberatung teilgenommen haben. Denn nur so, das ist eine Idee des Gesetzes, könne für mehr Klarheit über das bislang nur schwer quantifizierbare Geschäft mit käuflichem Sex gesorgt werden.
    Allerdings könne die Pflicht zur Beratung auch dazu führen, so Gudrun Greb, dass Frauen, die bislang noch offen waren für freiwillige Beratungsangebote, sich nun in Arbeitsumgebungen zurückziehen, wo sie viel schwerer zu erreichen sind.
    "Es kommt natürlich darauf an, dass die Anonymität gewahrt ist, es kommt natürlich darauf an, dass Menschen, die da hingehen, nicht von vornherein das Gefühl haben, dass sie sowieso geoutet sind. Auf all so was kommt es an, und all so was kann ich zumindest nach der Besichtigung der Räume nur ganz schwer beurteilen, ob das dort gegeben sein wird. Ich muss allerdings dazu sagen, was ich schon beurteilen kann, ist, dass man sich in Hamburg doch relativ viel Mühe gegeben hat."
    Die Hamburger Sozialbehörde hat an einem Runden Tisch mit Menschen, die sich um Prostituierte kümmern, Ideen zur Umsetzung des neuen Gesetzes gesammelt. Mit dabei war natürlich auch Gudrun Greb von Ragazza.
    Gesundheitsberatung verzeichne gute Resonanz
    Eigentlich sollte die Meldestelle für Prostituierte schon längst ihre Arbeit aufgenommen haben. Doch dann gab es Lieferprobleme bei der Melde-Software, die Mitarbeiter mussten geschult werden, Anfang November soll es jetzt aber losgehen. Die Gesundheits-Beratung ist hingegen schon angelaufen. Mit guter Resonanz, erklärt der Sprecher der Gesundheitsbehörde Rico Schmitt:
    "Für die kommenden Wochen haben wir schon über 150 Anmeldungen für Beratungen, die nicht von Frauen sind, sondern es betrifft ja genauso Transsexuelle und Männer. Aber Frauen sind bis dato in der Mehrzahl."
    In den Gesprächen klären drei speziell dafür geschulten Behördenmitarbeiterinnen über Geschlechtskrankheiten auf, darüber, welcher Schutz für welche Art von Sex nötig ist, um gesund zu bleiben. Eine Untersuchung, betont Rico Schmitt, findet nicht statt. Natürlich bestehe die Hoffnung, dass die Pflichtberatung auch Menschen erreicht, die bislang im Verborgenen, unter besonders prekären Umständen gearbeitet haben:
    "Es ist jetzt noch zu früh, zu sagen: Wir erreichen damit auch tatsächlich jemand anderes. Was wissen wir jetzt noch nicht. Dazu stehen wir noch zu sehr am Anfang. Die Hoffnung, die ist da. Aber das können wir jetzt noch nicht so bilanzieren."
    Escortdame: Es brauche mehr Rechte, nicht mehr Pflichten
    Demnächst will auch Josefa Nereus ihren Pflicht-Beratungstermin hinter sich bringen. Sie arbeitet schon seit einigen Jahren als Escort-Dame. Und engagiert sich im Vorstand des "Berufsverbands Erotik und sexuelle Dienstleistungen" für die Rechte von Prostituierten. Das Prostituiertenschutzgesetz setze falsche Prioritäten, kritisiert sie:
    "Wenn man uns tatsächlich unterstützen und schützen will, dann brauchen wir Rechte. Zum Beispiel, das wir im Geweberecht verankert werden, dass wir zu den freien Berufen zählen, dass wir nicht mehr darauf angewiesen sind, nur in Industriegebieten arbeiten zu dürfen. Solche Maßnahmen würden uns tatsächlich weiterhelfen, aber nicht, dass man versucht, uns bis ins kleinste Detail auf die Finger zu schauen, sondern uns einfach stärkt mit Rechten."
    Sorgen bereitet ihr vor allem der Datenschutz beim Anmeldeverfahren. Denn auch wenn auf dem "Prostituierten-Ausweis" ein Alias-Name stehen darf, wird bei der Anmeldung auch der Klarname mit der Behörden-Software gespeichert:
    "Einmal in diesem System drin, weiß man natürlich auch nicht, wer darauf zugreifen kann. Menschliches Versagen ist auch eine sehr, sehr wichtige Komponente. Was passiert in zehn Jahren mit diesen Daten, wenn die Frauen eventuell ganz normalen, bürgerlichen Berufen nachgehen, bei der Versicherung arbeiten wollen? Da können diese Daten vielleicht tatsächlich noch jemanden in Teufels Küche bringen."