Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Protest der Landwirte
Grüne Kreuze gegen den Agrarpakt

Viele Bauern machen sich Sorgen um ihre Existenz. Das liegt unter anderem an höheren Umwelt- und Tierschutzauflagen. Ihren Ärger über die Politik zeigen sie mit Traktoren auf der Straße, in Internetblogs und mit Kreuzen auf ihren Feldern.

Von Silke Hasselmann | 13.11.2019
Ein grünes Holzkreuz steht auf einer Wiese neben einer Straße.
Nicht zu übersehen: Ein grünes Kreuz am Straßenrand (Deutschlandradio, Silke Hasselmann)
Vorpommern im Novemberregen – das gefällt René Rempt von der Stoltenhäger Agrargesellschaft mit ihren knapp 2.000 Hektar Acker- und Grünland. Die Grundwasserspeicher müssen aufgefüllt werden. Für das Interview bittet er freilich ins graugeputzte Bürogebäude aus LPG-Zeiten von vor 1990. An der Wand: ein Schwarz-Weiß-Foto mit einem schlanken Mann hinter einer DDR-Zeitung, dem "Bauern-Echo".
"Das ist mein Uropa. Und dort ist meine Uroma zu sehen. Die waren auch schon Landwirte."
René Rempt ist studierter Agrartechniker und soll den Betrieb mit den 15 Angestellten bald vollends von seinem Vater übernehmen. Eine schöne Perspektive für den 34-jährigen Familienvater. Doch kürzlich stellte er am Rand der Bundesstraße zwischen Grimmen und Stralsund ein großes grünes Kreuz auf.
"Das war das erste Kreuz, das in Deutschland stand. Die grünen Kreuze stehen für die Mahnung, dass es durch das Agrarpaket zum Strukturbruch kommen wird. Dass viele Betriebe, die heute schon nicht wissen, wie sie weitermachen sollen, noch schneller in die Aufgabe gehen und sagen: `Ich tue mir das nicht mehr an, ich empfehle meinen Kindern auch nicht die Nachfolge.` Aber es steht auch dafür, dass wir kämpfen wollen für unsere Betriebe. Dass wir weitermachen wollen, ja."
Eine Idee der Social-Media-Landwirte
Der stille Protest wurde im Kreise der "Agrarblogger" geboren, eine wachsende Szene Social-Media-affiner Landwirte, in der der Vorpommer seit drei Jahren unter dem Namen "Vorstadtbauer" mitmischt. Was die Kritik an dem Agrarpaket aus dem Bundeslandwirtschafts- und dem Bundesumweltministerium angeht, so wolle man nicht missverstanden werden:
"Die Landwirte sind nicht gegen Insektenschutz, nicht gegen Umweltschutz und nicht dagegen, dass unser Grundwasser sauber bleibt. Aber unsere erste Aufgabe - das wird in der aktuellen Diskussion oft vergessen - ist die Produktion von Lebensmitteln und Rohstoffen."
600 Euro weniger Lohn pro Mitarbeiter
Und: Davon müssten die Landwirte leben können. Doch die geplante Vorschrift, die Pufferzonen entlang von Gräben zu verdoppeln, werde das weiter erschweren, findet der junge Vorpommer.
"Diese Schutzstreifen sollen laut dem neuen Agrarpaket zusätzlich um fünf Meter erweitert werden und kein Düngen, kein Pflanzenschutz. Dieser Pufferstreifen, der kommt eben wirklich dazu. Also sprich: Wir nehmen nochmal zusätzliche Flächen aus der Produktion."
Im Fall der Stoltenhäger Agrargesellschaft wären das 30 Hektar Nutzfläche. Die staatliche Ausgleichszahlung werde die Ertragsausfälle nicht auffangen. Der jährliche Verlust sei gleichbedeutend mit 600 Euro weniger Lohn pro Mitarbeiter, rechnet Geschäftsführer René Rempt vor.
Keine Insektizide: "Ein Irrsinn"
Ebenfalls ein dickes Problem für viele Betriebe: Künftig sollen in den ausdrücklich landwirtschaftlich genutzten Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebieten Unkrautvernichter und Insektizide tabu sein sollen. Allein in Mecklenburg-Vorpommern beträfe das laut dem Schweriner Agrarministerium 25.000 Hektar. "Ein Irrsinn", findet René Rempt und führt als Beispiel den Betrieb Norddeutsche Pflanzenzucht auf der mecklenburgischen Ostseeinsel Poel an.
"Das Rapszüchter auf Poel ist Weltmarkführer für Rapszucht. Der dürfte keine Insektizide mehr einsetzen und ein Anbau im Raps ohne Insektizide ist nahezu unmöglich. Das würde dazu führen, dass die im Grunde dort keine Rapszucht mehr machen können und damit keine Freilandversuche mehr und im Grunde die Zelte dort abbrechen und woanders hingehen können. Das trifft den normalen Landwirt, der normal Raps anbaut, auch."
Nachteile im internationalen Wettbewerb
Dabei dient Raps nicht nur der Ölgewinnung und als Bio-Treibstoff, sondern vor allem als wichtigstes einheimisches Eiweiß-Futtermittel.
"Sprich: Umso weniger Raps wir anbauen, umso mehr Soja muss importiert werden."
Das Agrarpaket bedeute für die gesamte deutsche Landwirtschaft noch mehr Auflagen, Verbote, Widersprüche und letztlich Nachteile im internationalen Wettbewerb, findet auch der 60-jährige Landwirt Hartmut Ruhtz und lobt die grünen Kreuze.
"Grüne Kreuze stehen ja erstmal da auf den Feldern und schweigen vor sich hin, aber sie regen die Leute zum Nachdenken an. Ich finde, das ist genau das, was wir auch wollen. Wir wollen mit der Gesellschaft in Dialog treten. Also die Leute sollen ruhig fragen, warum haben wir die Kreuze dahingestellt."
Pakete an die Abgeordneten
Derweil unterstützt Agrarblogger René Rempt aktuell in seinem Blog "Vorstadtbauer" den für morgen geplanten Bauernprotest in Hamburg sowie den Aufruf, alle Landwirte mögen ihren Bundestagsabgeordneten "grüne Pakete" packen.
"In den grünen Paketen geht es einmal darum zu schildern: Wie trifft einen das Agrarpaket in jedem Betrieb selbst? Und wir bitten darum, Obst, Gemüse, Getreide beizulegen, was eben ohne Pflanzenschutzmittel oder nahezu ohne Pflanzenschutz behandelt wird. Wie es da aussieht und, dass wir dann einen höheren Anteil an nichtverwertbarer Ware haben, die auf den Äckern bleibt. Also wenn wir immer reden über Lebensmittelverschwendung: Ohne Pflanzenschutz, ohne Phytomedizin wird dieser Anteil immer größer werden. Hier sind wir im Wahlkreis von Angela Merkel, und das wird dann an die Bundeskanzlerin direkt gehen."