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Protest gegen australische Flüchtlingslager
"Kein anderes Land der Welt tut das Kindern an"

Australien fährt einen strikten Kurs gegen illegale Einwanderer: Selbst Kinder werden monatelang in Offshore-Lagern wie auf der Pazifikinsel Nauru festgehalten. Die Folgen sind verheerend. Viele von ihnen vegetieren in halbkomatösem Zustand. Doch gegen diese Politik formiert sich zunehmend Widerstand.

Von Lena Bodewein | 24.10.2018
    Proteste in Sydney gegen die Flüchtlingspolitik der australischen Regierung, die Flüchtlinge auf abgelegenen Inseln interniert.
    Proteste in Sydney gegen die Flüchtlingspolitik der australischen Regierung, die Flüchtlinge auf abgelegenen Inseln interniert. (AFP / William West)
    "Ich möchte irgendwohin, wo es schön ist, aber wir sitzen hier fest, seit fünf Jahren und fünf Monaten. Wir sterben hier. Es ist heiß. Ich möchte irgendwohin, wo es schön ist, in einen Park, ins Kino. Ich habe Alpträume hier."
    Worte eines Siebenjährigen, eines Kindes, festgehalten im Lager auf der kahlen, kargen Pazifikinsel Nauru. Die Eltern von Ahoora haben ihre Heimat im Iran aus Angst vor Verfolgung verlassen, mit der Hoffnung auf ein neues Leben haben sie die lebensgefährliche Reise per Boot nach Australien angetreten. Aber die Regierung des Landes fährt einen strikten Kurs gegen illegale Einwanderung: kein Asylsuchender, der über den Seeweg in australische Hoheitsgewässer gelangt, soll jemals auf das Festland kommen. Stattdessen landen sie in Auffanglagern wie zum Beispiel auf Nauru.
    "Ich nehme Tabletten gegen Depressionen, sie machen mich schwindlig, und am nächsten Tag kann ich nur schwer wachwerden. Ich habe immer Albträume hier."
    Widerstand gegen diese Politik der Offshore-Lager
    Das Schicksal von Ahoora und anderen auf der Insel bringt die Kinder in Australien auf:
    "Die Kinder auf Nauru sind genau wie wir – außer, dass sie jeden Tag in schrecklichen Bedingungen leben!"
    Ein großes Bündnis aus Menschenrechtsgruppen, Kinderschutzbünden, Kirchen und Wohltätigkeitsorganisationen hat den Widerstand gegen diese Politik der Offshore-Lager verstärkt. Am Wochenende sind Kinder in einem Protestmarsch in Melbourne auf die Straße gegangen, in Videos appellieren sie an die Regierung, alles Teil der Kampagne #KidsoffNauru, also "Kinder weg von Nauru":
    "Wir fordern Australiens politische Führung auf, alle Kinder aus den Lagern auf Nauru zu befreien. Wir wollen, dass sie spätestens am Weltkindertag nicht mehr auf Nauru sind."
    Kinder im halbkomatösen Zustand
    Am 20. November also, aber besser noch sofort sollen sie aus der Hölle befreit sein, in der viele von ihnen schon ihr ganzes Leben verbracht haben. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen schlägt Alarm:
    "Viele Kinder leiden unter einem traumatischen Rückzugssyndrom, sie existieren in einem halbkomatösen Zustand, sie können nicht essen, trinken oder sprechen", erzählt der australische Leiter von Ärzte ohne Grenzen, Paul McPhun. Die Organisation musste die Insel in diesem Monat auf Geheiß der australischen Regierung verlassen.
    "Während unserer Zeit auf der Insel haben wir beobachten können, wie die geistige Gesundheit der Asylsuchenden weiter rapide abnahm. Das liegt daran, dass sie auf unbestimmte Zeit festgehalten werden, manche schon seit fünf Jahren, und es ist kein Ende in Sicht."
    Ein Mädchen klagt empört: "Ein zehnjähriger Junge hat drei Mal versucht sich umzubringen. Das darf nicht sein!"

    Der öffentliche Druck in Australien steigt: Kinder gehen für Kinder auf die Straße, Abgeordnete drohen, die Regierung zu blockieren – denn die mit knappster Mehrheit regierenden Liberalen haben in einer Nachwahl am Wochenende einen Sitz verloren, sodass sie auf die Stimmen einiger Unabhängiger angewiesen sind. Doch die machen ihre Mitarbeit davon abhängig, dass die Kinder aus Nauru nach Australien kommen. Oder dass die Regierung einem Angebot Neuseelands zustimmt – das Nachbarland Australiens will 150 der Asylsuchenden aufnehmen. Doch Premierminister Morrison lehnt das ab: Es gebe keinen Kuhhandel, wo es um den Schutz der Grenzen gehe.
    Demonstration in Sydney gegen die Übersee-Camps im August 2016
    Demonstration in Sydney gegen die Übersee-Camps im August 2016 (imago stock&people)

    Noch am Montag hatte Morrison sich mit tränenerstickter Stimme bei den Opfern von jahrzehntelangem Kindesmissbrauch in Australien offiziell entschuldigt. Das sei doch nichts als Heuchelei, sagen Kritiker, die Kinder auf Nauru ließe er weiter leiden.
    Das Foto zeigt eine Frau aus Somalia, die im Lager Five auf der Insel Nauru in der Küche steht. Sie hatte versucht, sich das Leben zu nehmen.
    Eine Frau aus Somalia im Lager Five auf der Insel Nauru: Sie hatte versucht, sich das Leben zu nehmen. (AFP / Mike Leyral)
    UNO spricht von Folter
    Mediziner warnen seit Jahren, dass die Zustände auf Nauru für alle, aber besonders für Kinder untragbar sind. Beth O‘Connor war als Psychiaterin für Ärzte ohne Grenzen auf der Insel im Einsatz:
    "Als ich diese Kinder besuchte, lagen sie im Bett. Sie haben nicht mehr genug gegessen oder getrunken, um zu überleben. Viele konnten nicht mehr auf Toilette gehen, sie haben sich eingenässt und eingekotet. Und wenn ich versucht habe, mit ihnen zu reden, haben sie nicht geantwortet. Sie haben einfach durch mich hindurch gestarrt."
    Folter sei das, was auf Nauru geschehe, so sagt die UNO. Vertreter der Vereinten Nationen haben die Auffanglager mehrmals besucht. Sie haben Australien aufgefordert, diese Zustände dringend zu ändern. Bisher ohne Ergebnis.
    "In Großbritannien werden Kinder von Asylsuchenden im Schnitt fünf Tage festgehalten. In Australien sind es 15 Monate – und mehr. Es gibt kein anderes Land auf der Welt, das Kindern das antut", erzählt die Krankenschwester Alanna Maycock, die auf der Insel gearbeitet hat. "Ich war nur fünf Tage dort - und ich habe jetzt Albträume: Dass meine Kinder dort sind und ich sie nicht erreichen kann. Nach fünf Tagen! Können Sie sich vorstellen, was das für den Geist eines Kindes bedeutet, das dort jahrelang ist?"
    "Wir müssen sie hierher bringen! Bringt sie her! Bringt sie her!"