Loest: Bei mir steht drüber: 'Meine zwanzig besten'. Das sind die Bücher, die ich für die besten Bücher halte. Jeder andere hat das Recht, andere zu nennen. Für den 19. Platz habe ich dann geschrieben 'das lasse ich frei.' Der Leser soll sein Buch dorthin setzen. Ich habe dann Vorschläge über neuere Bücher gemacht. Mein letztes Buch in der Reihenfolge des Erscheinens ist von Siegfried Lenz 'das Heimatmuseum'. Das ist immerhin von 1978.
Koldehoff: Sie haben unter anderem zwei Romane genannt, die nicht nur als Schlüsselromane der DDR-Literatur gelten, sondern für die Vorreiterrolle stehen, die die Literatur in ganz bestimmten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in der DDR gespielt hat. Bei 'Nachdenken über Christa T.' war das zum Beispiel das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, über die Rolle des Einzelnen, die Gewalt einer Gesellschaft, die die beste aller denkbaren zu sein vorgab. Aber was macht Jurek Beckers 'Jakob der Lügner' oder dieses Buch von Christa Wolf 'Das Nachdenken über Christa T.' Ihrer Ansicht nach zu einem Klassiker?
Loest: Bei 'Jakob der Lügner' ist es die Darstellung des Holocaust. Das Wort war damals noch gar nicht üblich, als Becker das Buch geschrieben hat. Er schrieb es aus eigenem Erleben heraus. Es geht um einen jüdischen Jungen im Ghetto, wo er gelebt hat. Und er konnte heraus nach Berlin und schreibt dieses Buch über das Ghetto. Das ist auch ein Hoffnungsbuch. Hervorragend von Frank Beyer verfilmt. Das ist ein Roman, der für diese deutsche und europäische Geschichtszeit steht. Wir fangen ja alle mit Grimmelshausen an, und dann sind wir bei Werther und manche haben dann den 'Grünen Heinrich' von Keller. Und dann sind wir schon im vorletzten Jahrhundert, was mit dem besten Roman dieses Jahrhunderts beginnt, nämlich die Buddenbrooks. Das sind immer Bücher über diese Zeit. Das ist dann erwiesen, das hat sich festgesetzt und festgelegt. Über die jüngere Zeit müssen wir natürlich vorsichtiger urteilen.
Koldehoff: Nun sind ja die Kritiker, die bisher ihren Kanon vorgelegt haben, zum einen Marcel Reich-Ranicki, aber dann auch beispielsweise Joachim Kaiser, der Hölderlin und Eichendorff bei Reich-Ranicki vermisst hat, die großen der westdeutschen Literaturkritik. Halten Sie denn die Tatsache, dass bei denen die DDR-Literatur nicht vorkommt für einen persönlichen Mangel oder steht das symptomatisch für die gesamte Wahrnehmung der DDR-Kultur in der Bundesrepublik?
Loest: Das ist aus ihrem Lebenslauf heraus zu erklären. Der eine hat die meiste Zeit in Frankfurt gelebt, der andere in München. Nie haben sie in der DDR gelebt. Es hat sie auch nicht besonders interessiert. Reich-Ranicki kam nicht auf eine Leipziger Buchmesse und hat sich da umgesehen. Für ihn war die Frankfurter Messe die größte der Welt, das größte Erlebnis. Sie haben einfach anderes erlebt als wir. Wir im Osten sollten uns dann doch zu Wort melden. Das habe ich getan. Wir sollten sagen, unsere Literatur gehöre auch dazu. Auch hier sind einige hervorragende Bücher erschienen, und wir wollen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen.
Koldehoff: Bedeutet dieses 'zu Wort melden' denn auch, dass Sie grundsätzlich den Sinn eines solchen Kanons sehen? Braucht Deutschland einen Kanon?
Loest: Es ist nützlich. Es ist nützlich für Lehrer, für Leser, auch für Heranwachsende. Dadurch können sie Bücher kennen lernen, von denen sie sonst nicht gehört hätten. Und wenn nun drei verschiedene Personen sagen, der 'Radetzkymarsch' von Josef Roth sei ein großes Buch, dann denken sie, ich lese diese Buch mal.
Koldehoff: Wie verführerisch ist denn für einen Schriftsteller, der selbst einen solchen Kanon aufstellt, der Gedanke, ein eigenes Buch mit aufzunehmen?
Loest: Der wird sofort als anmaßend und lächerlich verwiesen, und ist dann sofort wieder aus dem wieder Kopf heraus.
Link: mehr ...
251.html
Koldehoff: Sie haben unter anderem zwei Romane genannt, die nicht nur als Schlüsselromane der DDR-Literatur gelten, sondern für die Vorreiterrolle stehen, die die Literatur in ganz bestimmten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in der DDR gespielt hat. Bei 'Nachdenken über Christa T.' war das zum Beispiel das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, über die Rolle des Einzelnen, die Gewalt einer Gesellschaft, die die beste aller denkbaren zu sein vorgab. Aber was macht Jurek Beckers 'Jakob der Lügner' oder dieses Buch von Christa Wolf 'Das Nachdenken über Christa T.' Ihrer Ansicht nach zu einem Klassiker?
Loest: Bei 'Jakob der Lügner' ist es die Darstellung des Holocaust. Das Wort war damals noch gar nicht üblich, als Becker das Buch geschrieben hat. Er schrieb es aus eigenem Erleben heraus. Es geht um einen jüdischen Jungen im Ghetto, wo er gelebt hat. Und er konnte heraus nach Berlin und schreibt dieses Buch über das Ghetto. Das ist auch ein Hoffnungsbuch. Hervorragend von Frank Beyer verfilmt. Das ist ein Roman, der für diese deutsche und europäische Geschichtszeit steht. Wir fangen ja alle mit Grimmelshausen an, und dann sind wir bei Werther und manche haben dann den 'Grünen Heinrich' von Keller. Und dann sind wir schon im vorletzten Jahrhundert, was mit dem besten Roman dieses Jahrhunderts beginnt, nämlich die Buddenbrooks. Das sind immer Bücher über diese Zeit. Das ist dann erwiesen, das hat sich festgesetzt und festgelegt. Über die jüngere Zeit müssen wir natürlich vorsichtiger urteilen.
Koldehoff: Nun sind ja die Kritiker, die bisher ihren Kanon vorgelegt haben, zum einen Marcel Reich-Ranicki, aber dann auch beispielsweise Joachim Kaiser, der Hölderlin und Eichendorff bei Reich-Ranicki vermisst hat, die großen der westdeutschen Literaturkritik. Halten Sie denn die Tatsache, dass bei denen die DDR-Literatur nicht vorkommt für einen persönlichen Mangel oder steht das symptomatisch für die gesamte Wahrnehmung der DDR-Kultur in der Bundesrepublik?
Loest: Das ist aus ihrem Lebenslauf heraus zu erklären. Der eine hat die meiste Zeit in Frankfurt gelebt, der andere in München. Nie haben sie in der DDR gelebt. Es hat sie auch nicht besonders interessiert. Reich-Ranicki kam nicht auf eine Leipziger Buchmesse und hat sich da umgesehen. Für ihn war die Frankfurter Messe die größte der Welt, das größte Erlebnis. Sie haben einfach anderes erlebt als wir. Wir im Osten sollten uns dann doch zu Wort melden. Das habe ich getan. Wir sollten sagen, unsere Literatur gehöre auch dazu. Auch hier sind einige hervorragende Bücher erschienen, und wir wollen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen.
Koldehoff: Bedeutet dieses 'zu Wort melden' denn auch, dass Sie grundsätzlich den Sinn eines solchen Kanons sehen? Braucht Deutschland einen Kanon?
Loest: Es ist nützlich. Es ist nützlich für Lehrer, für Leser, auch für Heranwachsende. Dadurch können sie Bücher kennen lernen, von denen sie sonst nicht gehört hätten. Und wenn nun drei verschiedene Personen sagen, der 'Radetzkymarsch' von Josef Roth sei ein großes Buch, dann denken sie, ich lese diese Buch mal.
Koldehoff: Wie verführerisch ist denn für einen Schriftsteller, der selbst einen solchen Kanon aufstellt, der Gedanke, ein eigenes Buch mit aufzunehmen?
Loest: Der wird sofort als anmaßend und lächerlich verwiesen, und ist dann sofort wieder aus dem wieder Kopf heraus.
Link: mehr ...
251.html