Freitag, 29. März 2024

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Protest gegen politisches Klima in Österreich
"Es fällt mir schwer, den Kontext zu verteidigen"

Der Kulturmanager Nicolaus Schafhausen verlässt vorzeitig die Kunsthalle Wien - aus politischen Gründen. Als Direktor des Museums könne er sich nicht vorstellen, einmal mit einer rechtsnationalen Regierung zu verhandeln. Über das politische Klima in Österreich und seine Folgen für die Kultur spricht er im Dlf.

Nicolaus Schafhausen im Gespräch mit Anja Reinhardt | 24.05.2018
    Porträt Nicolaus Schafhausen, Direktor der Kunsthalle Wien
    Porträt Nicolaus Schafhausen, Direktor der Kunsthalle Wien (Foto: Steffen Jagenburg)
    Anja Reinhardt: Vorher aber geht es um eine kulturpolitische Angelegenheit, auf die gestern mit Erstaunen reagiert wurde: Der Direktor der Kunsthalle Wien, Nicolaus Schafhausen, gibt seinen Posten als Direktor auf. Die Kunsthalle zeigt zeitgenössische Arbeiten und Schafhausen ist für seine immer wieder auch sehr politischen Konzepte oft kritisiert worden. In einer offiziellen Begründung sagte er gestern: "Die Wirkungsmächtigkeit von Kunst ist in Zeiten nationalistischer Politik stark eingeschränkt". Ich habe Nicolaus Schafhausen vor der Sendung gefragt, wie sich denn die Bedingungen für Kulturarbeit in den letzten Jahren bzw. seit ihrem Amtsantritt 2012 in Wien bis heute verändert haben.
    Nicolaus Schafhausen: Man muss ein bisschen ausdifferenzieren. Was sind städtische? Das ist wie in Berlin. In Berlin gibt es viele bundesfinanzierte - die Nationalgalerie ist vom Bund finanziert-, aber es gibt auch städtische Institutionen.
    Ähnlich verhält sich das auch in Österreich, vor allem hier in der Hauptstadt Wien. Die wirklich großen Museen, das sind Bundesmuseen. Viele Einrichtungen wie die Kunsthalle Wien zum Beispiel, das Architekturzentrum, das Tanzquartier, verschiedene Festivals wie die Wiener Festwochen, das sind städtische Einrichtungen und resultieren aus einer über Jahrzehnte gewachsenen sozialdemokratischen Kulturpolitik.
    Reinhardt: Aber das ist doch interessant. Die Stadt Wien ist rot-grün regiert. Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann befürchten Sie ja dann doch das Einmischen in Ihre Arbeit eigentlich eher von der rechten Seite.
    Schafhausen: Es ist eine grundsätzliche Stimmungslage. Man arbeitet ja auch in einem Referenzrahmen. Ich arbeite ja nicht völlig gegen den lokalen Kontext und die anderen Einrichtungen, vor allem die größeren, die sich auch um zeitgenössische Kunst oder um Kunst insgesamt kümmern - ohne die kuratorische Autorenschaft oder Direktionsautorenschaften der einzelnen handelnden Personen zu kritisieren - wundert es mich doch, dass die Institutionen sehr wenig tun, abseits von Besucherzahlen nach oben zu treiben, also von Tourismus und Marketing irgendwie zu handeln.
    Das beste Restitutionsgesetz Europas
    Reinhardt: Welche Institutionen meinen Sie denn?
    Schafhausen: Ich kann das nur verallgemeinernd sagen. Das sind wirklich die großen Häuser. Mir fehlt ein bisschen, und ich rede jetzt hier wirklich nur über den Kunstbereich und den Museenbereich. Da können Sie wirklich anfangen von den fantastischen Museen, vom Belvédère, vom Kunsthistorischen Museum. Das sind Horte wirklich der Kultur, ohne die Wien auch im Tourismus-Segment nicht so erfolgreich wäre.
    Oder ein anderes Beispiel: Österreich hat das beste Restitutionsgesetz eigentlich in Europa. Es gibt aber viele Schlupflöcher wie zum Beispiel im Leopold-Museum. Das Leopold-Museum wird zumindest von den Touristen, von den Besuchern der Stadt Wien als große öffentliche Institution wahrgenommen. Klimt und Schiele sich anzuschauen und zu besuchen, das ist ja auch wirklich was Besonderes.
    Es ist eine private Stiftung, die öffentlich subventioniert wird, sehr stark sogar öffentlich subventioniert wird, und die haben ihre Restitutionsfragen nicht alle geklärt. Das hat auch nichts jetzt explizit mit der aktuellen Regierung, also mit der neuen türkis-blauen Regierung zu tun.
    Reinhardt: Ich würde da gerne noch mal einhaken, weil das, was Sie gerade beschreiben, das hört sich nach einem, sagen wir mal, vielleicht für die Kultur arbeitsfeindlichen Klima an, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Und da würde ich gerne noch mal auf Michael Köhlmeier zurückkommen, der vor ein paar Wochen eine ziemlich flammende Rede vor dem Nationalrat gehalten hat und die Politik sehr angeklagt hat in Punkto Flüchtlingspolitik und viele andere Sachen, wo er doch auch immer wieder eine Nähe schon zum Nationalsozialismus unterstellt hat. Inwiefern hat sich das Klima für die Kulturschaffenden in Österreich denn verändert?
    Schafhausen: Ich gebe ihm vollkommen recht, aber als Österreicher und als Österreicher, der hier quasi immer gelebt hat und sich auch mit den ganzen Themen schon seit immer auseinandergesetzt hat, und er leitet auch eine öffentliche Institution. Er hat eine ganz andere Handlungsfreiheit und auch in dem, was er sagen kann. Das ist, wenn man zwar eine große, aber jetzt nicht so riesengroße Institution leitet wie die Kunsthalle Wien, schon was anderes. Man operiert mit einem Besuchersegment, was groß ist, aber trotzdem klar zu definieren ist. Wir werden hauptsächlich besucht von jungen Menschen unter 40. Große Teile sind internationale, junge Leute, die in Wien leben, und aber auch viele Touristen und Touristinnen, die explizit für die Gegenwartskunst nach Wien reisen.
    Um jetzt noch mal auf Köhlmeier zu kommen: Ich meine, das ist ein heikles Jahr für Österreich. Das wäre es auch ohne diese aktuelle Regierung gewesen.
    Reinhardt: Sie meinen den "Anschluss" 1938, vor 80 Jahren?
    Schafhausen: Genau, vor 80 Jahren. Aber es fehlt. Nicht, dass man die öffentlichen Institutionen zwingt, sich dazu zu äußern. Das geht mir in einer gewissen Weise zu weit. Aber der Bund hätte durchaus eine kritische Hinterfragung oder von mir aus auch Finanzmittel bereitstellen können für öffentliche Institutionen, für Museen, für Theater und so weiter.
    "Ich kneife ja nicht"
    Reinhardt: Für Ihr Museum auch?
    Schafhausen: Ja, ich meine, wir sind zwar städtisch, aber in anderen Ländern, Deutschland zum Beispiel auch, werden von der Kulturstiftung des Bundes auch städtische oder lokale oder kommunale Einrichtungen subventioniert. – Nein, also ich hätte da schon erwartet, dass man sich mit der eigenen Vergangenheit als Staat auch kritisch auseinandersetzt und quasi ein Leitmotiv vorgibt, und das passiert nicht.
    Reinhardt: Sie sind mit Ihren Ausstellungen, die Sie gemacht haben, die sich immer wieder auch abgearbeitet haben an sehr gesellschaftspolitischen Themen, auch oft auf Gegenwehr gestoßen. Sie sind auch oft kritisiert worden. Der Standard fragt heute und ich würde das gerne mal zitieren: "Darf jemand kneifen, der in Wien antrat, um über den intellektuellen und gesellschaftlichen Wert von Kunst zu diskutieren, und der angab, im marxschen Sinn an den gesellschaftlichen Mehrwert von Kunst zu glauben?".
    Schafhausen: Erst mal ist es so: Ich kneife ja nicht. Wenn ich kneifen würde, würde ich von heute auf morgen und dann hätte ich meine Auflösungsverhandlungen so getroffen, dass ich eher als vor März 2019 die Institution verlasse. Wir sind derzeit in neuen budgetären Verhandlungen was die Finanzierung der Institution 2019 bis 2021 angeht. Hier gibt es ein erschreckendes Naheverhältnis von Politik, Medien und Wirtschaft, gerade bei den Printmedien ein überraschendes Naheverhältnis zwischen den Protagonisten, gerade in den kleinen Redaktionen des Kulturbereichs. Und wenn ich jetzt mit einer neuen Stadtregierung, die heute angelobt wurde, in Verhandlungen über die finanzielle Zukunft der Kunsthalle Wien trete, habe ich, glaube ich – deswegen bleibe ich; das ist einer der Gründe, warum ich noch bis Ende März bleibe -, eine andere Handlungsfreiheit und in einer gewissen Weise auch Power, nur nicht für mich, für mein Programm, was ich initiiere oder initiieren könnte, zu arbeiten, sondern für die Institution als solche.
    Reinhardt: Wenn Sie in Zukunft außerhalb klassischer Institutionen für einen freien Diskurs arbeiten wollen, gibt es da wirklich diese unabhängigen Institutionen? Ist es da nicht vielleicht auch dann die Wirtschaft, die sich einmischt, wenn es nicht die Politik ist?
    Schafhausen: Ich weiß, dass das einen Widerspruch in sich natürlich birgt. Ich habe mir lange überlegt, wie ich selber weitergehe, und ich denke, dass wir nach neuen Modellen von Institutionen suchen müssen, wie auch immer die aussehen werden. Museen, die klassischen Häuser, die klassischen Museen, von mir aus auch Kunsthallen-Museen, Theater und so weiter, das reicht heute nicht mehr. Wie die aber aussehen können, das weiß ich ...
    Der Kontext hat sich verändert
    Reinhardt: Das reicht nicht mehr für den Diskurs, oder?
    Schafhausen: Für den Diskurs, für den Austausch in so einer heterogenen Gesellschaft, in der wir leben. Es müssen neue Modelle her. Ich kann Ihnen aber auch nicht sagen, wie sie aussehen sollen. Aber das ist einer der Schwerpunkte, an denen ich in Zukunft arbeiten möchte. Und ich gebe Ihnen recht: Die Wirtschaft alleine, das neoliberale Leben alleine wird das nicht regeln können.
    Ich habe in den letzten Jahren für die Kunsthalle Wien hunderte von nationalen und internationalen Gästen eingeladen, aus dem Kulturbereich und natürlich Künstlerinnen und Künstler. Künstler und Künstlerinnen springen mir nicht ab, aber ich muss begründen, immer wieder begründen, was ist das für ein Kontext, was ist das für ein Land, in dem du da arbeitest. Ich rede jetzt von Künstlerinnen und Künstlern, die aus dem nicht-europäischen Raum kommen. Und es fällt mir schwer, den Kontext, der sich hier wirklich verändert hat in den letzten Jahren, zu verteidigen, und da mache ich mich irgendwann auch unglaubwürdig. Es ist wirklich auch eine Frage, wie lange man diplomatisch mit den Gegebenheiten irgendwie umgehen kann. Ich persönlich kann mir für mich nicht vorstellen, mit Leuten zu verhandeln, die eine rechtsnationale Regierung gerade führen, und hypothetisch kann das passieren. Für mich wird das, auch weil ich so lange hier gearbeitet habe, sehr spannend zu beobachten, wie die Stadt Wien sich behaupten wird in diesem Regierungs-Mischmasch aus Türkis-Blau. Natürlich kann sich die Zeit auch wieder ändern und andere Leute, andere Parteien an der Regierung sein. Ich sehe das hier nur nicht kommen. Ich hoffe, ich täusche mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.