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Protest gegen türkischen EU-Beitritt

Da sich die Türkei weigert, einen Völkermord an Armeniern vor 90 Jahren anzuerkennen, lehnen die armenischstämmigen Franzosen den geplanten EU-Beitritt Ankaras ab. Die rund 400.000 in Frankreich lebenden Armenier wollen beim Volksentscheid um die EU-Verfassung am 29. Mai mit Nein stimmen und bringen damit Präsident Jacques Chirac in die Bredouille.

Von Martina Zimmermann |
    Achkhar heißt auf deutsch: Die Welt. Die Redaktion der armenischen Zeitung ist in der Nähe der Place de la République in Paris. Auf der Redaktionssitzung werden die Feierlichkeiten für den 90. Jahrestag des Völkermords am 24. April besprochen: Konzerte, Konferenzen, Demonstrationen, ein Requiem in der Pariser Kathedrale Notre-Dame, eine Zeremonie im Pariser Rathaus. Dass aber ausgerechnet 90 Jahre nach dem Völkermord der Beitritt der Türkei in die Europäische Union vorbereitet wird, sorgt für Empörung. Redakteurin Alice Mavian:

    "Man sagt uns, nichts eilt, bis in 10 oder 15 Jahren wird sich alles arrangieren. Die Türkei wird demokratischer werden. Sie wird anerkennen, was sie den Armeniern angetan hat. Aber nichts ist klar. Keiner sagt, entweder erkennt die Türkei den Völkermord an oder sie kommt nicht in die EU."

    Ihren Unmut wollen die Armenier beim Volksentscheid über die EU-Verfassung ausdrücken. Der Chefredakteur von Achkhar, Georges Kevork Sarian, erklärt:

    "Europa muss seine Haltung ändern. Sie sollen eben einen 324. Verfassungsartikel hinzufügen, der besagt, dass ein Staat, der ein dunkles Kapitel seiner Geschichte leugnet, nicht der EU beitreten kann. Ohne Umfragen gemacht zu haben, spüren wir, dass die Community mehrheitlich nein stimmen wird. Die Franzosen armenischer Herkunft gehören zu der Mehrheit, die beim Referendum am 29. Mai Nein sagen will."

    Frankreich hat zwar als erstes großes europäisches Land den armenischen Völkermord anerkannt. Doch es gibt kein Gesetz, das wie beim Holocaust den Negationismus bestraft. Zwar haben Präsident Chirac wie Außenminister Barnier öffentlich verkündet, dass die Türkei "ihre Pflicht der Vergangenheitsbewältigung" erfüllen müsse, bevor sie der EU beitrete. Doch das ist den Armeniern zu undeutlich.

    Die Armenier sind eben auch nur typische Franzosen: Sie nutzen den Volksentscheid zur EU-Verfassung, um Druck zu machen. Dass das europäische Parlament bereits 1987 eine Resolution verabschiedet hat, die die Anerkennung des Völkermords zur Bedingung eines Türkeibeitritts macht, ändert für die Armenier wenig. Gerard Dedeyan, Präsident des Koordinationsrates der armenischen Organisationen Frankreichs:

    "Wir haben das Gefühl, dass wir, wenn wir für die EU-Verfassung stimmen, die Türkei indirekt ermutigen, so weiterzumachen wie bisher. Bisher spricht keiner klar vom Völkermord, das hinterlässt bei uns ein Malaise. Man spricht von Massakern, von Morden, als sei der Völkermord an den Armeniern etwas aus ferner Vergangenheit. Die Armenier haben sich immer übers Ohr hauen lassen, und dieses Mal wollen wir das nicht mehr. Wir wollen keine schönen Worte mehr. In Europa hat man in schönen Reden viel Talent. Aber was für uns zählt, sind die Realitäten. Wir wollen Konkretes. "

    Zwei armenische Tageszeitungen gibt es in Frankreich, eine Wochenzeitung und zwei Monatsblätter. Die meisten sind auf armenisch und auf französisch, denn die jüngeren sprechen immer weniger die Sprache der Eltern und Großeltern. Serge Papazian, Student der Wirtschaftswissenschaften, fühlt sich als Franzose, geht nicht in die armenische Kirche und auch nicht auf Demonstrationen. Doch wenn es um das bevorstehende Referendum geht, vergisst er seine Herkunft nicht:

    "Ich bin Armenier und deshalb bin ich gegen den Beitritt der Türkei. Ansonsten würde ich für Leute stimmen, die ein Europa der Wirtschaft wollen. "

    Dass die türkische Regierung nun angeboten hat, in einer gemeinsamen armenisch-türkischen Kommission Licht in die Vergangenheit zu bringen, ändert nichts an der ablehnenden Haltung der Armenier. Alice Mavian erklärt:

    "Sie wollen armenische und türkische Historiker in die Archive lassen. Der Zugang zu den Archiven war in der Türkei verboten. In den türkischen Geschichtsbüchern gibt es den armenischen Völkermord nicht, wie soll man diesen Historikern vertrauen, die diese Bücher geschrieben haben?"

    Bei der Zeremonie zum 90. Jahrestag des Völkermords am kommenden Samstag im Pariser Rathaus werden die Armenier allerdings zwei türkischen Intellektuelle mit einer Medaille für ihren "Mut und ihren Gerechtigkeitssinn" auszeichnen. Diese setzen sich für die Anerkennung des Völkermords ein und riskieren in der Türkei Gefängnisstrafen.