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Protest in der Slowakei
Kein Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen

Zehntausende Slowaken haben am Freitagabend in rund 40 Städten gegen ihre Regierung protestiert: Sie fordern Aufklärung im Mordfall Kuziak und ein Vorgehen gegen mafiöse Strukturen in Wirtschaft und Politik. Unterstützt werden sie von Staatspräsident Andrej Kiska, der seinen Druck auf Ministerpräsident Robert Fico aufrecht hält.

Von Peter Lange | 10.03.2018
    Demonstranten halten während einer Kundgebung gegen die Regierung und die Mafia unter dem Motto «Für eine anständige Slowakei» ein Plakat hoch. Zu sehen sind unter anderem die Gesichter von Ministerpräsident Fico (Mitte), Innenminister Kalinak (2.v.r) und Polizeichef Gaspar (rechts).
    Demonstration nach Mord an Journalisten Kuciak in Bratislava (PA/AP/Ronald Zak)
    Sie rufen "Genug Fico!" und "Es ist uns nicht egal!". Allein in Bratislava haben sich etwa 50.000 Menschen eingefunden, so viel wie seit der Revolution 1989 nicht mehr. Sie sind gekommen, um auszudrücken, was in ihnen vorgeht, seitdem der Mord bekannt wurde.
    "Als ehemalige Journalistin trifft mich sehr, was hier vor zwei Wochen geschehen ist," sagt Veronika, eine 39-jährige Unternehmerin. "Ich denke in der Slowakei und überhaupt in keinem demokratischen Land sollte es möglich sein, dass Journalisten ermordet werden."
    Und sie wollen endlich politische Konsequenzen sehen. So wie Milan, ein Baustellenleiter aus Nitra:
    "Klar Neuwahlen. Eine Regierungsumbildung kommt überhaupt nicht in Frage. Wir müssen uns jemanden besseren suchen. Ich fürchte nur, nach Neuwahlen wird sich das Ganze wiederholen."
    Das Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen ist verschwunden. Das hat auch Ingeborg Grässle wahrgenommen, Europa-Abgeordnete für die CDU und Mitglied einer Delegation, die in Bratislava eine Vielzahl von Gesprächen geführt hat – mit dem Präsidenten und dem Regierungschef, mit Vertretern von Polizei und Justiz, mit Journalisten und NGOs. Ihr Fazit:
    "Es gibt ein Riesenmisstrauen gegenüber der Regierung, gegenüber staatlichen Stellen, gegenüber der Polizei, der Staatsanwaltschaft."
    Aufklärung im Team aus slowakischer Polizei und Europol
    Dass die slowakische Justiz allein den Mord an Jan Kuciak und Martina Kusnirova aufklären wird, das glaube niemand. Die Europa-Parlamentarier plädieren deshalb dafür, dass der Mord an dem jungen Paar von einem gemeinsamen Team aus slowakischer Polizei und Europol untersucht wird. Das ungläubige Entsetzen vieler Slowaken über das, was in den letzten Tagen bekannt wurde, kann Ingeborg Grässle nachvollziehen:
    "Ich persönlich werde nie verstehen, wie Personen, die im Zusammenhang mit Mafia-Kontakten genannt werden, auch nur einen Fuß in eine Regierungszentrale setzen können."
    Und spielt damit auf die Zustände im Regierungsamt an, die bisher noch zu keinerlei Konsequenzen geführt haben. Auch Robert Kallinak, der affärenbelastete Innenminister, dem schwere Versäumnisse nicht nur vorgeworfen, sondern nachgewiesen worden sind ist immer noch im Amt. Auf Initiative des Parlamentspräsidenten Andrej Danko kam es zu einem Dreiertreffen mit Staatspräsident Andrej Kiska und Ministerpräsident Robert Fico. Kiska will Neuwahlen, Fico seine Regierung retten. Jeder der beiden hatte einen Entwurf für eine gemeinsame Erklärung mitgebracht. Schon nach 30 Minuten war man sich einig, dass man sich nicht einigen würde.
    "Wir haben zwar keine gemeinsame Deklaration formuliert, aber den aufrechten, gemeinsamen Wunsch, dass Ruhe gewahrt wird in der Gesellschaft", sagt Andrej Danko.
    Viel politische Dynamik in Bratislava
    Für Robert Fico dürfte es aber keine Ruhe geben. Er will sich am Wochenende darauf konzentrieren, den Juniorpartner Most Hid im Kabinett zu halten. Der Partner will aber nur bleiben, wenn der Innenminister zurücktritt. Außerdem muss er sich bald einem Misstrauensvotum stellen. Bei seiner Drei-Stimmen-Mehrheit auch nicht ohne Risiko. Ingeborg Grässle vertraut denn auch darauf, dass sich die politischen Verhältnisse in Bratislava ändern werden.
    "Ich glaube, dass hier soviel Dynamik ist, dass vielleicht nächste Woche auch die Welt in der Slowakei schon wieder ganz anders ausschaut."