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Protestantische Orientierung in Sachen Homosexualität

Seit Jahren ringt die evangelische Kirche um ihr Bild von Ehe und Familie. In einer neuen Orientierungshilfe ruft sie nun dazu auf, auch Patchwork-Familien und homosexuelle Partnerschaften anzuerkennen. Das hat zu einem innerprotestantischen Schlagabtausch geführt.

Von Monika Konigorski |
    Die EKD-Schrift ruft dazu auf, alle Familienformen anzuerkennen und zu stärken, auch Patchwork-Familien oder homosexuelle Partnerschaften. Kritiker sprechen von einer "unevangelischen, schrift- und bekenntniswidrigen Orientierungshilfe".

    Für den emeritierten protestantischen Ethiker Ulrich Eibach verdient das Familienpapier der EKD auf keinen Fall die Bezeichnung "Orientierungshilfe". Zumindest nicht, was die theologisch-ethische Orientierung angehe. Eibach bemängelt, dass der Stellenwert des theologischen Teils der Schrift sehr gering sei. Tatsächlich nimmt die sogenannte theologische Grundlegung mit knapp 20 Seiten innerhalb des 160-Seiten-Werks einen vergleichsweise geringen Raum ein. In der theologischen Grundlegung heißt es:

    "Ein normatives Verständnis der Ehe als "göttliche Stiftung" entspricht nicht der Breite des biblischen Zeugnisses."

    Allerdings komme in der Schöpfungsgeschichte zum Ausdruck, dass der Mensch auf ein Gegenüber angewiesen sei. So sei die Ehe ...

    "eine gute Gabe Gottes, die aber, wie das Neue Testament zeigt, nicht als einzige Lebensform gelten kann. Bei aller Hochschätzung als "göttlich Werk und Gebot" erklärte Martin Luther die Ehe zum "weltlich Ding", das von den Partnern gestaltbar ist und gestaltet werden muss."

    Ulrich Eibach meint, dass eine solche Deutung nicht den Kern von Luthers Aussage trifft.

    "Es geht Luther dabei um eine Abgrenzung von der katholischen Lehre, die die Ehe als Sakrament versteht. Die Ehe ist aber damit nicht außerhalb des göttlichen Bereiches, es ist eine Stiftung Gottes, es ist ein göttlicher Stand geradezu, der Ehestand, eine ganz hohe Würdigung hat das für Luther."

    Dem stimmt auch der hessische Kirchenpräsident Volker Jung zu. Jung hat die Orientierungshilfe mit ausgearbeitet. In der Ehe könne die göttliche Bestimmung, dass Menschen füreinander da sind, wunderbar gelebt werden, aber, so Jung:

    "Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es gibt auch andere Möglichkeiten, diese Bestimmung des Füreinander-Daseins zu leben. Wir haben dabei insbesondere auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften im Blick. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine bestimmte Form von Ehe, nämlich die bürgerliche Ehe, so wie sie sich im 19. und 20. Jahrhundert dann auch ausgeprägt hat, als etwas gleichsetzen, das genauso und in dieser Form mit der Schöpfungsordnung identifiziert wird."

    Seit Jahren ringt die EKD um ein angemessenes Bild von Ehe und Familie. Als 1997 die "Kammer der EKD für Ehe und Familie" sich für die Position starkmachte, es könne neben der Ehe auch andere akzeptable Lebensformen geben, wurde dies nicht als Position des Rates, sondern nur als Stellungnahme veröffentlicht. Seitdem galt als Konsens: Andere Lebensformen werden von der evangelischen Kirche akzeptiert, das Leitbild bleibt aber die Ehe.

    Das aber ist nicht mehr die Position des neuen Papiers. Mit gutem Grund, so Volker Jung.

    "Es ist ganz wichtig, dass Menschen, etwa in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, nicht signalisiert bekommen: Ihr seid in irgendeiner Weise etwas Minderwertiges. Oder auch Menschen, die in anderen Familienkonstellationen leben, dass man ihnen von vorneherein signalisiert: Über euch gibt es etwas, was das eigentlich Gewollte ist, was ihr mit eurem Leben verfehlt. Ich glaube, das ist wichtig, dass man zunächst mal sagt: So wie ihr lebt, gibt es auch eine Möglichkeit der Akzeptanz."

    So heißt es im neuen Familienpapier, dass auch die Bibel im Alten und Neuen Testament viele Formen des Zusammenlebens als Familie gekannt habe: Da gebe es beispielsweise Patchwork-Familien wie bei Abraham, Sarah und Hagar, Geschwister wie Maria und Martha, sowie polygame Beziehungen. Wichtig sei, wie Theologie und Kirche Bibelstellen auslegten. Dabei müssten auch die historischen Bedingungen der damaligen Zeit beachtet werden.

    Der Ethiker Ulrich Eibach kritisiert diese Argumentationsweise:

    "Die Orientierungshilfe in ihrer Gesamtheit geht von sozialgeschichtlichen und soziologischen Beobachtungen aus. Und dann fragt man, ob es dafür eine theologische Legitimation gebe. Und dann schaut man in die Bibel, findet eine Vielzahl von Beziehungsformen, im Alten Testament habe es beispielsweise auch polygame Beziehungen gegeben. Und so sei das auch eine Legitimation für die Pluralität von Lebensformen heute. So kann man nicht verfahren."

    Polygamie sei in der Bibel keinesfalls eine Option unter mehreren gleichrangig möglichen gewesen, so Eibach:

    "Spätestens bei den Propheten, den frühen Propheten, Hosea, ist die Monogamie die einzige Lebensform, die praktiziert wird in Israel, begründet damit, dass Gott einen Bund geschlossen hat, zwischen sich und Israel, dem entspricht auf der menschlichen Ebene der Ehebund mit der einen Frau, die man nicht verstoßen darf, von der man sich nicht scheiden lassen darf."

    Die lebenslange Ehe zwischen Mann und Frau stehe im Zentrum der biblischen Aussagen. An diesem Leitbild müssten die vielfältigen Lebensformen, die es heute gebe, beurteilt werden.

    Kirchenpräsident Jung verteidigt dagegen die in der Orientierungshilfe vorliegenden Überlegungen.

    "Ich würde es nicht Legitimationsethik nennen, sondern ich würde es Ethik nennen, die nicht einfach mit einer Ordnung der Wirklichkeit gegenübertritt, sondern Wirklichkeit aufnimmt und Wirklichkeit reflektiert."

    Für die Ökumene scheint das neue Papier die unterschiedlichen Positionen noch zu vertiefen. Entsprechend äußerten sich sowohl der emeritierte evangelische Militärbischof Hartmut Löwe als auch katholische Theologen und Kirchenvertreter. Der Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, forderte gar die Orientierungshilfe zurückzuziehen. Und Karl Kardinal Lehmann aus Mainz befürchtet, dass sich ein weiterer Dissens zwischen katholischer und evangelischer Kirche in Deutschland auftue. Schon bei den Themen Bioethik und Sterbehilfe spreche man nicht mehr mit einer Stimme. Lehmann hofft jetzt auf intensive Gespräche mit der EKD.

    Wolfgang Thönissen, katholischer Theologe und Professor für Ökumene an der Universität Paderborn, kann diese Aufregung nicht verstehen. Er verweist darauf, dass das Papier des Rats der EKD möglicherweise keine so großen Folgen für den ökumenischen Prozess haben könnte. Denn:

    "Offiziell betrachtet führt die katholische Kirche keinen ökumenischen Dialog mit dem Rat der EKD. Es gibt natürlich den Kontaktgesprächskreis, aber einen wirklichen ökumenischen Dialog führt die katholische Kirche in Deutschland mit der VELKD, mit den lutherischen Kirchen. Dort gibt es seit Jahrzehnten einen ökumenischen Dialog über theologische und jetzt auch über ethische Fragen. Das heißt, wir haben hier einen klaren Partner vor uns, das sind die Lutheraner in Deutschland."

    Zwar sind diese auch Teil der EKD. Und auch mit den Lutheranern gebe es Differenzen. Doch Thönissen ist hoffnungsvoll, zu gemeinsamen Positionen zu finden:

    "Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass Ehe, Familie, natürlich aus der religiösen, das heißt, aus der göttlichen Perspektive betrachtet werden. Die Ehe ist ein göttliches Ding, das können wir mit Luther gemeinsam sagen. Wie die Konsequenzen in den einzelnen Lebensbereichen aussehen, das müssen wir heute sicher differenzierter wahrnehmen, als das noch vor Jahrzehnten der Fall war."