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Proteste in Island

Der Internationale Währungsfond hat jetzt gemeinsam mit einigen Staaten ein Rettungspaket über 10 Milliarden Euro für Island beschlossen. Trotzdem bleiben für die Isländer die Aussichten alles andere als rosig: die meisten haben ihre Ersparnisse verloren. Seit Wochen demonstrieren deshalb jeden Samstag Tausende vor dem Parlament in Reykjavik. Sie fordern Neuwahlen. Philipp Boerger berichtet aus Reykjavik.

    "Wollt ihr, dass die Chefs der Zentralbank zurücktreten? Wollt ihr, dass die Regierung zurücktritt? Wollt ihr Neuwahlen? Wollt ihr, dass diese Clique verschwindet?"

    Als Island Anfang Oktober von der internationalen Finanzkrise so hart und plötzlich getroffen wurde, wie kaum ein anderes Land, waren die meisten Einwohner erstaunt, geschockt und gelähmt. Jetzt sind sie zornig und unruhig.

    Wir sind viel zu ruhig gewesen, aber jetzt sind wir sehr erbost, erzählt Ingunn, die an der Demonstration teilnimmt.
    Neben ihr steht Jóhann, er trägt ein Pappschild mit sich, darauf steht: Ein neues Island - und weg mit Geir Haarde. Dem Premierminister.

    "Es sollte Neuwahlen geben, wir wollen eine neue Regierung. Neue und jüngere Personen, die dieses alte Netzwerk, wir nennen es Wikinger-Business, nicht unterstützen. Die nicht korrupt sind."

    An einem Balkon des Parlaments flattert ein Bettlaken: Sold out to the IMF steht darauf, verkauft an den Internationalen Währungsfonds. Einige Demonstranten schleudern Eier, Tomaten und Farbbeutel gegen die Mauern Regierungsgebäudes.

    " Im Vergleich zu dem, was die Regierung uns angetan hat, ist das hier ja wohl nicht schlimm, rechtfertigt sich einer der Gemüsewerfer. "

    Die Bürger verlangen Antworten - und bekommen sie nicht.

    Das ist das Problem der nur rund 300.000 Isländer - die Elite ist klein, eine Art verstaubtes Geflecht ist durchaus erkennbar. Die konversative Unabhängigkeitspartei von Premierminister Haarde ist schon seit 1995 an der Macht. Haarde war früher schon Finanzminister und Außenminister, Manager der Zentralbank und gilt als Vertrauter von David Oddson, dem jetzigen Chef der Nationalbank - der früher aber auch schon Premierminister war und dem viele Isländer wie Oskar inzwischen zutiefst misstrauen.

    ""In isländisch würden wir sagen, die Macht hat ihn verrückt gemacht. Es ist furchtbar, wie arrogant und selbstüberzeugt er sich darstellt, auch in der ausländischen Presse."

    Partner der Unabhängigkeitspartei ist seit 2007 die sozialdemokratische Allianz. Die Allianz stellt die Außenministerin - Ingjibórg Sólrun Gisladottir. Sie ging im isländischen Fernsehen jetzt auf vorsichtige Distanz zum Koalitionspartner:

    "Es wurden Fehler gemacht und jetzt müssen Veränderungen her. Wir müssen jetzt alle Kraft aufwenden, um Island zu retten und es ist nicht die Zeit, sich Sorgen um das Ansehen der Partei oder unserer Popularität zu machen. Aber von Neuwahlen zu diesem unsicheren Zeitpunkt rate ich ab."

    Und tatsächlich ist unklar, wer das Land regieren soll, wenn die jetzige Regierung zurücktreten sollte, was sie derzeit strikt ablehnt. Die Opposition, liberale Fortschrittspartei und Grüne, unterstützt die Prostete nicht wirklich - die regelmäßigen Kundgebungen werden von Künstlern und Professoren und engagierten Bürgern organisiert. Eine neue Partei haben die noch nicht gegründet. Nicht alle Isländer sind deshalb so zuversichtlich, dass sich durch Neuwahlen etwas ändern würde.

    "Ich habe gehört, pro Kopf hat jetzt jeder Isländer 24 Millionen Kronen Schulden. Vom Baby bis zum Rentner. Die Regierung wird die Steuern erhöhen und die Fürsorge zurückfahren, um das jemals zurückzahlen zu können."

    Fürchtet der 33-jährige Isländer Oskar, der seinen Job in einem Importunternehmen für Lampen und andere Elektrowaren im Januar verlieren wird - ihm wurde gekündigt.