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Proteste in Ungarn

In Budapest wird heute der Märzrevolution von 1848 gedacht. Parallel sind Kundgebungen der Bürgerbewegung "Eine Million für die Pressefreiheit" und der rechtsradikalen Jobbik Partei geplant. Die Ökopartei LMP sammelt Unterschriften für einen Volksentscheid über Themen wie Arbeitslosenhilfe, Arbeitnehmerrechte und Schulpflichtalter - und um ein Zeichen gegen die Politik der FIDESZ-Regierung zu setzen.

Von Anna Frenyo | 15.03.2012
    Vor dem ungarischen Parlamentsgebäude lehnt ein Obdachloser. Seine hellblaue Mütze leuchtet im diesigen Märznachmittag, unter seinem dicken Schal auf seinem schäbigen Mantel trägt er einen Anstecker - die Kokarde in den ungarischen Farben rot-weiß-grün hat die Form einer Rose. Einige Abgeordnete unterhalten sich vor dem Eingang, einer von ihnen begrüßt den Obdachlosen und kauft ihm die Kokarde ab. Der Abgeordnete ist ein junger, schlanker Mann mit Zwirbelbart, Wanderhut und feurig braunen Augen. Er stellt sich vor:

    "Ich bin Gábor Vágó von der LMP, grüne Partei Ungarn, ich leite die Kampagne für den Volksentscheid."

    Warum tragen Sie die Kokarde?

    "Bald ist der 15. März, der Nationalfeiertag."

    2002 hat die heutige Regierungspartei, FIDESZ, die nationalen Symbole wie die Kokarde für ihre öffentlichen Auftritte zu ihrem Alleinstellungsmerkmal gemacht. Nur Diejenigen galten damals als richtige Ungaren, die zur FIDESZ gehörten. Gábor Vágó will die nationalen Symbole nun "zurückerobern" wie er es ausdrückt. "Auf, Magyaren!", heißt der Aufruf der Ökopartei LMP, der in einen Volksentscheid münden soll: über Themen wie Arbeitslosenhilfe, Arbeitnehmerrechte und Schulpflichtalter. Seit zehn Tagen sind die LMP-Aktivisten in ganz Ungarn unterwegs, um 200.000 Unterschriften zu sammeln. Wenn sie es bis zum 2. April schaffen, kann der Volksentscheid stattfinden. Ein ehrgeiziges Ziel für die kleinste und jüngste Partei im ungarischen Parlament.

    Die erste Station des Politikers ist die Kleinstadt Jászberény, nur eine Stunde von Budapest entfernt - eine arme Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit. Wie groß die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist, zeigt sich schon, als Gábor Vago vor dem Busbahnhof mit einigen Leuten ins Gespräch kommt.

    "Auch, wenn man Familie hat, kriegt man keinen Arbeitsplatz. Ich habe es versucht. Ich habe drei Kinder, wir waren einige Tage krank, und als ich wieder zur Arbeit ging, sagten sie mir Auf Wiedersehen."

    Obwohl sie den Volksentscheid unterschrieben hat, glaubt die Frau nicht an einen Erfolg. Die Regierung sei so stark, sie könnte nur mit Kanonen entfernt werden, sagt sie mit frustrierter Stimme. Aber nicht alle geben Ministerpräsident Viktor Orban die Schuld an der schlechten Lage in Ungarn. Für diesen Mann sind die Banken die Ursache der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Der IWF würde nur eigene Interessen verfolgen, meint er.

    "Wissen Sie, wem der IWF gehört? Einer Schweizer Bank! Und wissen Sie, wem die Bank gehört? Den Rothschilds! Also, was macht der IWF? Was im Interesse der Rothschilds steht."

    Verschwörungstheorien gehören in Ungarn schon lange zum politischen Alltag - in wirtschaftlich schlechten Zeiten hört man sie nur öfter als sonst.

    Später bekommt der Abgeordnete den in Ungarn verbreiteten Antisemitismus zu spüren. Ein Passant fragt die LMP-Aktivisten, wo sie ihren Davidstern versteckt hätten. Als politische Gegner der FIDESZ-Partei sind die Grünen dem Mann offenbar suspekt.

    Vom Busbahnhof in Jászberény geht es weiter nach Szolnok. Gábor Vago ist mit dem heutigen Tag zufrieden:

    "Es war eine sehr positive Überraschung, dass es einen Mann gab, der selbst Unterschriften gesammelt hat, obwohl er kein LMP-Aktivist ist, einfach weil er auch unserer Meinung war. Ein Problem war aber die Presse. In den lokalen Medien ist es immer schwierig, für unsere oppositionelle Meinung zu werben, wenn sie den Interessen von FIDESZ zuwiderläuft."

    Ob der Volksentscheid am Ende Erfolg hat, ist für die Aktivisten vielleicht gar nicht entscheidend. Sie wären schon froh, wenn die Gegenbewegung zur mächtigen FIDESZ und zu den extremistischen politischen Parteien mehr Gewicht bekäme.