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Protokoll einer Analyse

Ein messianisches Anliegen leitet Manfred Pohlens Veröffentlichung der Protokolle, die Ernst Blum von seinen Sitzungen bei Sigmund Freud im Jahre 1922 stenographisch festhielt. Die Aufzeichnungen des 30-jährigen Schweizer Psychoanalytikers sollen nämlich einer Wieder-Erinnerung des authentischen Freuds dienen.

Von Elisabeth Bronfen |
    Das Buch lebt von der Hoffnung einer Ankunft: "Die Rückkehr Freuds, nicht die nostalgische Regression in der Rückkehr zu Freud, ist die Rückkehr seines Denkens: in der Aufhebung der Tabuisierung der analytischen Situation, in der Selbstbefragung der Psychoanalyse durch die Analyse seiner Tätigkeit und der daraus folgenden Schöpfungen. Die Psychoanalyse würde wieder aus ihrer selbstverschuldeten Sterilität und intellektuellen Erstarrung herauskommen und wieder lebendig werden als Ort subversiver Unterminierung des Fest-Stehenden".

    Dabei soll die Wieder-Erinnerung an die tatsächliche Praxis Freuds, die sich durch begleitende Teilhabe an Selbsterkundungen auszeichnete, nicht nur rigide Rituale der heutigen Ausbildung junger Analytiker hinterfragen. Auch die medizinalisierte Psychoanalyse soll wieder an ihre Anfänge erinnert werden, läuft sie doch Gefahr zu vergessen, in dem sie sich auf einen bloßen Heilungsauftrag beschränken lässt: Das Unbewusste stellt jenen nicht assimilierbaren Teil des Subjekts dar, der als Ort eines unstillbaren Begehrens und Aufbegehrens den Mensch erst zum Menschen macht.

    Dieser einzigartige Einblick in den authentischen Ablauf einer Lehranalyse erlaubt Manfred Pohlen jedoch nicht nur mit der "Verschwörung des Schweigens über die Freudsche Praxis" zu brechen, sondern an diesem Ausblenden eine weitere Verschwörung festzumachen: Die Glättung der jüdischen Wurzeln der Psychoanalyse. Denn in der Deutung, die er seiner Veröffentlichung der Protokolle hinzufügt, unterstellt er Ernst Blum, der vermeintlich von Freud ausgewählt wurde, um dessen Botschaft in die Schweiz zu tragen, einen doppelten Verrat. Freuds Analyse des jungen jüdischen Schweizers dreht sich nämlich im Kern um eine Inzestproblematik, die zugleich jene der Assimilation betrifft. Die unbewussten Fantasien, die Ernst Blum in diesen Sitzungen preisgibt, lassen einen zweifachen Widerstand gegen seine Braut Elsa erkennen: Sein eigenes verdrängtes Begehren für seine Schwester sowie die Ablehnung seiner Familie gegenüber jener christlichen Estin, die der viel versprechende Sohn während seines Medizinstudiums in Zürich kennen gelernt hatte, und die ihm nach Wien gefolgt war, um ihrerseits bei Otto Rank in die Analyse zu gehen. Wenige Tage vor das Protokoll abbricht, obgleich Ernst Blum noch weitere neunzehn Sitzungen bei Freud haben wird, hält der junge Schweizer fest: "In einem Traum von früher, der recht dunkel war - von da an wurden überhaupt alle Träume dunkel - kam heraus, dass ich Els verlasse und dass schon eine Konkurrentin da sein muss, welche wohl alle gegenteiligen Merkmale von meiner Braut besitzt. Die Burg Sion ist die Burg Zion. Burg = an Stelle des unbezwungenen Mädchens, Tochter Zion. Schon vor 8 Tagen war Fräulein Freud in der Sitzung anwesend. Ich will sie aber damals nicht gekannt haben, sondern glaubte, erst heute sie zu erkennen." Warum seine Notizen enden weiß Ernst Blum nachträglich nicht mehr zu erklären; er erinnert sich nur, dass die letzte Stunde von dem Eindruck getragen war, dass in seiner Jugend etwas zwischen seiner Schwester und ihm vorgefallen sein muss: "Aber die Erinnerung daran tauchte nicht auf. Und Freud sagte beschwichtigend:

    das Unbewusste will es nicht hergeben. Er verabschiedete mich ungefähr mit den Worten: Jetzt versuchen Sie Ihr Glück als Analytiker. Die Analyse ist beendet. Sie hatten keine Neurose".

    Für Pohlen besteht der Subtext dieses Abschieds in der Aufforderung, sich nicht weiterhin neurotisch zu verhalten, als würde Freud seinen Analysanden in die Pflicht nehmen, sich nicht mehr regressiv-phobischer Fluchtmechanismen zu bedienen, sich den Konflikten des Lebens nicht weiter zu entziehen und stattdessen aus der Freud'schen Hypothek Kapital zu schlagen. Den Umstand, dass Ernst Blum nach seiner Rückkehr in die Schweiz Elsa nicht nur doch heiratete, sondern sich zudem im Berner Bürgertum assimilierte, stellt Pohlen hingegen als tragische Selbstauslöschung eines jüdischen Menschen dar: Eine Flucht vor seiner Herkunft in eine andere Identität, die eine Unterdrückung des von Freuds Psychoanalyse propagierten oppositionell-kritischen Geistes forderte: "Blums Tragik liegt in der Transgression seiner ethnisch-biologischen Herkunft, im Versuch der Auslöschung seines jüdischen Makels: Er brachte sich als Subjekt seiner Geschichte (eines Juden) zum Oper durch Tilgung jenes Makels. Diese Selbst-Opferung ist der Kurz-Schluss der jüdischen Assimilation und

    Emanzipation: die endlose Anspannung im Warten auf jenes ferne Ereignis der Ankunft des Messias abzukürzen, um im Hier und Jetzt anzukommen, endlich 'zu Hause' zu sein und erlöst zu sein von der Heimatlosigkeit eines endlosen Exils - eine menschenverständliche Sehnsucht". Im Vermächtnis Ernst Blums Sitzungsprotokolle an ihn, will Pohlen hingegen einen Akt der Reue erkennen; eine "späte Erinnerung an den verlorenen Glauben seiner Väter in der Verschiebung auf Freud als 'Vater der Psychoanalyse'". Auch in diesem Sinn ist die Veröffentlichung dieser Aufzeichnungen von einem messianischen Geist getragen. Mit dieser traurigen Fallgeschichte einer totalen Assimilation soll zugleich die Wieder-Erinnerung eines authentischen Freuds als biblisches Narrativ offenbart werden. Entpuppt sich Ernst Blum am Ende doch als Freuds Joshua, jedoch nur, weil Manfred Pohlen ihn als solchen erkennt und uns dessen Botschaft zur Verfügung stellt.

    Nun ist es durchaus reizvoll, in Freud einen modernen Moses zu erkennen, der selber vom schmerzhaften Konflikt zwischen einem Verlangen nach Assimilation und einer Verpflichtung gegenüber seinem jüdischen Erbe geprägt war. Dennoch sitzt Pohlen mit seiner Deutung selber jenem Verschwörungsgestus auf, den die Psychoanalyse als Wissenschaft des Geheimen oft implizit aufruft. Die Aufteilung psychischer Prozesse in manifeste Äußerungen und deren latente Bedeutungen, die im Unbewussten abgelagert nur verschlüsselt zum Ausdruck gelangen können, lebt von einer Rhetorik des Verdachts. Jede Selbsterklärung lässt eine verborgene Botschaft vermuten. Kann diese sich gegen den Widerstand einer Preisgabe nicht durchsetzen, droht das Ungeklärte den Betroffenen ewig heimzusuchen.

    Derjenige, der in jeder Selbsterkenntnis eine weitere, noch im Geheimen gebliebene Bedeutung vermutet, übernimmt somit die Macht der Deutungshoheit. Seine Unterstellung, der Andere sei in seiner Selbsterkundung nicht tief genug vorgedrungen besagt: er weiß es besser.

    Doch das Faszinosum des Gesprächs mit Freud, das Ernst Blum in den Kommentaren offen legt, die er für Manfred Pohlen in den 70er Jahren seinen Aufzeichnungen hinzugefügt hat, hebt hervor: Die Wahrheit, die es zu finden gibt, wird vom Analysanden selber bestimmt. In der ersten Sitzung hatte Freud eine grundlegende Erklärung des Symptoms angebracht, die die Möglichkeit offen lässt, nicht alles muss gedeutet werden, was gedeutet werden könnte. "Die Lösung des Symptoms geschieht nicht dadurch, das, wenn der Zusammenhang zwischen Symptom und verdrängtem Trauma stattgefunden hat, das Symptom verschwindet, sondern dass dann der Betreffende fähig ist, das Symptom zum Verschwinden zu bringen. Meistens wird er es ja tun, da ihn das ja in die Analyse geführt hat. Wenn das Symptom aber ich-gerecht ist, kann er es beibehalten. Zum Beispiel die Liebe als Symptom angesehen: Wenn die Zusammenhänge hergestellt sind, kann man sich der Liebe entledigen, man kann sie beibehalten, wenn man sie ich-gerecht findet. Es wird aber immer eine Liebe sein. Ebenso verhält es sich mit den Kunstschöpfungen: Ein Hamlet, ein Moses usw. wird, wenn analysiert, nicht, wie man vorwirft, desillusioniert. Das Kunstwerk wird nicht zerstört, sondern nur vertieft.

    Das heißt, man entledigt sich seiner Symptome nach der Analyse desselben nicht. Ebenso wenig wird ein unbewusst schaffender Künstler, wenn er analysiert ist, schaffensunfähig, er braucht sich seiner Symptome nicht zu entledigen." Gegenüber den veröffentlichten Fallstudien, in denen Freud mit äußerster Strenge seine oft schematisch anmutenden Interpretationen durchzusetzen sucht, lässt das von Ernst Blum aufgezeichnete Gespräch erkennen, wie sehr es ihm in der Praxis auch darum ging, den Analysanden dahin zu führen, selbst entscheiden zu können, ob er wie bisher leben möchte oder die Sicherheit des Vertrauten zu Gunsten eines anderen Lebens aufzugeben bereit und fähig ist. Ausschlaggebend dabei ist nicht, welche Wahl man trifft, sondern die Erkenntnis, dass man eine Wahl hat, die man nicht nur treffen muss, sondern für die man auch die Verantwortung trägt.

    Das Glück der Sublimierung liegt darin, ein Begehren ich-gerecht, und somit erträglich zu machen.

    Weil sich Freud während der ganzen Analyse nie als Übertragungsobjekt anbot, und stattdessen die Rolle eines Gesprächs-Partners Vorzug, der eine offene Gleichsetzung mit seinem Analysanden gestattete und sogar forderte, konnte auch die Ablösung von ihm keine Schwierigkeiten bereiten. Von Sublimierung lässt sich deshalb sprechen, weil Ernst Blum seine Analyse als ein Drama versteht, dass von dem Dichter-Analytiker Freud wie ein Kunstwerk gestaltet wurde und ihn zugleich als Dichter seiner selbst anleitete. Darin entfaltet sich eine entscheidende Dialektik: "Nicht nur der Meister führt den Schüler den Weg, sein Werk (Objektfindung) zu schaffen. Sondern der Analysierte tritt ja selbst als eine Art "Prä-Objekt" in seine Lehre. Der Meister muss also schöpferisch-gestaltend aus dem "Prä-Objekt" Analysierter ein "Werk" gestalten. Je mehr er ihn, den Analysierten, gestaltet, umso gestaltungsfähiger wird dieser. Und je gestaltungsfähiger dieser wird, um so mehr 'Skizzen' liefert er seinen Gestalten zu seinem 'Werk'". Im Dialog vollzieht sich ein kreativer Prozess, der den Analysanden dazu anleitet, Lebensmodelle zu entwerfen, die ihm seine Symptome, als Ausdruck eines nicht erfüllten Begehrens, so umzugestalten helfen, dass sie ihm geeignet erscheinen. Verringert sich laut Freud die Schöpfungskraft eines Künstlers nicht, nachdem er analysiert wurde, weil er sich seiner Symptome nicht entledigen, sondern diese nur ich-gerecht gestalten muss, führt der von Freud oft gebrauchte Vergleich der Analyse mit einem Kunstwerk eine weitere Schlaufe der Kreativität ein. Im psychoanalytischen Gespräch, wie es zumindest laut Ernst Blum ursprünglich praktiziert wurde, entfaltet jeder Analysand zudem seine eigene Kreativität.

    Der Zauber, der in den Protokollen Ernst Blums zu Tage tritt liegt somit in der Präsenz eines gelassenen Zu-Hörenden: "Es war doch wohl so, als ob sich von der ersten Stunde an ein Bann gelöst hätte, oder wohl richtiger ein Ver-Bannt-sein aufgehoben wurde und ich ergriffen wurde von der Vehemenz eines Bewegtseins, das sich Bahn bricht und sich bahnt, gebahnt wird von der Präsenz eines gelassenen Zu-Hörenden." Freud bringt den jungen Mann dazu, belanglose Einfälle mit Deckerinnerungen zu verknüpfen, die zu evidenten Schlüssen und verdrängten Erlebnissen, sowie unerhörten Einsichten führen. Dabei gestaltet sich alles zu einem erlebten Zusammenhang, der dem Erzählenden selbst aufgegangen ist, wobei diese Herstellung ohne Freuds beteiligt-unbeteiligte Anwesenheit - seinem Mit-Sein - nicht möglich gewesen wäre. Das über vier Monate geführte Gespräch über den emotionalen Konflikt zwischen Judentum und Christentum, der an der Brautwahl einer Christin festgemacht wird, entfaltet ein gegenseitiges Vertrauen, geboren aus der Sicherheit, in einer gemeinsamen Welt sozialer Zugehörigkeit zu leben. Rückblickend bemerkt Ernst Blum, desto länger die Analyse dauerte, desto weniger konnte er seine Einfälle von denen Freuds trennen. Der Heiratsantrag, mit dem zwar nicht die Analyse, dafür aber die Protokolle aufhören, könnte somit auch als Chiffre dieser geistigen Vereinigung verstanden werden. Ernst Blum gesteht seinem geistigen Vater, er hätte seit einiger Zeit die Phantasie, dessen Tochter Anna zu heiraten, worauf Freud antwortet: "Nun kann der Endkampf beginnen!

    Die beiden Parteien sind da: Die zwanghafte Neigung zu Els und die zwanghafte Neigung zum anderen Extrem: Schwester-Imago. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie meine Tochter heiraten wollen; Sie sind ein junger Mann mit guten Manieren, Sie sind Analytiker, Sie sind Schweizer, alles Eigenschaften, die mir gefallen." Die Leichtigkeit, mit der Freud seine Tochter an Blum abzugeben bereit ist, deutet auf einen Pakt, in dem es weniger darauf ankam, was der eine oder andere gesagt hat. Bemerkt Ernst Blum doch, "Es war mehr als Verständnis, es war Ein-Verständnis". Ob es Freud dabei auch um das Fortführen seiner Lehre gegangen sein mag, wie Pohlen meint, liegt im Ermessen des nachträglich Urteilenden. Blickt man ohne Verdacht auf den Dialog, der sich in diesen Protokollen entfaltet, sticht jedoch vor allem die Vitalität der Verständigung ins Auge. Egal ob man der Deutung Blums folgt und in Freuds Bereitschaft, dessen Zuneigung zu seiner Tochter zu gestatten, die entscheidende Auflösung seines Konflikts erkennt, weil Freud damit die Übertragung der ursprünglichen Inzestabwehr auf eine andere, der Schwester von ihrer Herkunft her ähnlichen Frau fördert. Oder ob man wie Pohlen in der geglückten Lösung des ödipalen Konflikts einen Selbstschwindel sehen möchte, der Ernst Blum von einer tiefer liegenden Verpflichtung an seinen wirklichen Vater, und somit an seine jüdische Herkunft entbindet: Der springende Punkt besteht darin - die Entscheidung liegt beim Analysanden, nicht beim Analytiker. Rückblickend meint Blum: "Ich glaube, dass wir zu Freud zurückkehren müssen, nicht nostalgisch gemeint, sondern zu Freud in seiner Art der analytischen Tätigkeit; also eine Praxis wieder beleben vor jener Entwicklung der Psychoanalyse zur Widerstandsanalyse und zur falsch verstandenen Übertragungsanalyse." Freud wird nicht zur Figur des Schicksals, dessen feststehende Deutung über dem Fortgang der Analyse waltet, sondern zum helfenden, verständiger und verlässlichen Wegbegleiter; zum mäeutischen Prinzip einer Selbsterkundung innerhalb einer Praxis des gegenseitigen Dialogs; Vater und Mutter zugleich.

    Ernst Blum erinnert sich: "Es war eben nicht so, dass er derjenige war, der wusste, und ich derjenige war, der nicht wusste, sondern Freud hat alles, was ich sagte, jeweils als mein Wissen akzeptiert. Und wenn überhaupt so genannte Deutungen von Freud gegeben wurden, dann waren es Randbemerkungen:

    Es war immer so, wie wenn er seine eigenen Einfälle meinen Einfällen hinzufügte". Eine solche beiläufige, am Rande erwähnte Bemerkung ist jener Witz, der als Denkfigur fungiert für ein Verständnis des analytischen Gesprächs als Einstimmung in einem gegenseitigen Assoziationsstrom; für ein Einverständnis zwischen zwei Menschen, das Einsichten zuwege bringt. Als Blum einmal auf eine Bemerkung Freuds antwortete, er hätte gerade dasselbe sagen wollen, antwortet der Vater der Psychoanalyse mit einem Witz: "Ein Jude wird von seiner Frau in die Stadt geschickt, um für Sabbat einen Karpfen einzukaufen. Zwei Juden bemerken ihn mit einem schönen Karpfen nach Hause gehen und beschließen, ihn diesen Fisch 'abzuschwindeln.' Sie kennen sich, der eine spricht ihn wie zufällig an: was hast du eingekauft? Einen Karpfen. Zeig her. Aber das ist ja ein Aal (für den Juden eine verbotene Speise) und noch am Sabbat, nun, ich will nichts gesehen haben. Und er kehrt sich von ihm ab. An der nächsten Ecke begegnet ihm der zweite Jude, der ebenfalls, diesmal empört, ihm Vorwürfe macht, dass er einen Aal eingekauft hat und ihm den Vorschlag macht, ihm den Aal zu überlassen. Ohne Fisch nach Hause zurückgekehrt argumentiert der Mann gegen die Vorwürfe seiner Frau: Wenn zwei Juden sagen, es ist ein Aal, dann ist es ein Aal!"

    Für Pohlen lässt sich an dieser Anekdote seine Verschwörungstheorie, und somit das zentrale Geheimnis dieser Fallgeschichte festmachen: Ernst Blums Schwindel seines Assimilationswahns, der ihn zum Rückzug aus der psychoanalytischen Gesellschaft und seiner jüdischen Herkunft bewegte. Doch der im Witz angesprochene Schwindel erhellt auch die Magie der gemeinsamen Übereinstimmung, die diese Analyse so widerstandslos vonstatten gehen ließ. Die beiden Juden Freud und Blum beschwindeln einen Dritten um seinen Karpfen - die Persona des jungen Schweizer Psychoanalytikers, die sie im analytischen Gespräch gemeinsam geschöpft haben. Am Ende hat dieser etwas gewonnen, das er gegen seine Braut wenden kann: Von Freud aus der Analyse entlassen hat der wiederhergestellte Bräutigam Vertrauen in die Deutung, er kann jetzt heimkehren und seinen Beruf ausüben, weil zwei Juden ihm von der Richtigkeit dieser Wahl überzeugt haben. Alle wissen, der Aal ist in Wahrheit ein Karpfen, und in diesem Wissen eines geteilten Schwindels liegt die affektive Kraft des Vertrauens. Ein Schwindel wird dann zum Gewinn, wenn alle anerkennen, dass dieser einer ist. Wenn zwei Juden sagen, es ist ein Aal, dann ist es ein Aal. Wenn Blum sagt, er trifft mit seiner Brautwahl auch die der Assimilation, wissen beide, es ist ein Kompromiss.

    Er hätte sich dem Schwindel entziehen und sich von den gemeinsam mit Freud erarbeiteten Selbsterkenntnissen betrogen fühlen können. Doch er entscheidet sich, das Spiel anzunehmen: Im Einvernehmen mit seinem auserwählten geistigen Vater eine Brautwahl zu treffen, und seine idiosynkratische Art, dessen Lehre im Alleingang fortzuführen. Auch dieses Mitwissen lebt von dem Vorwurf einer nicht eingeweihten Vierten, die sich auf den Schwindel nicht einlassen will, denn es fällt natürlich auf: Anna Freud wurde nie gefragt, ob sie Ernst Blum überhaupt hätte heiraten wollen.

    Manfred Pohlen nimmt den Witz ernst und will im Heiratsangebot Freuds den Auftrag an den jungen Schweizer sehen, dem jüdischen Erbe der Psychoanalyse nachzukommen. Es könnte aber auch ein Scherz zwischen den beiden Männern gewesen sein, der jenes Einverständnis inszeniert, das Blum als Kern der psychoanalytischen Situation erfahren hat. Sie wissen beide, dass die Tochter, die Freud bereitwillig seinem Analysanden als Braut überlässt, in Wirklichkeit nicht der Gewinn ist, zu dem sie in dieser Szene eines fiktiven Tausches gemacht wird. Es geht vielmehr darum, wie die beiden Schwindler sich gegenseitig sehen, im Bezug zu jener unsauberen Schnittfläche zwischen Anpassung und Aufbegehren, die gerade heute wieder an kultureller Brisanz gewinnt. Wenn Manfred Pohlen darin nur eine tragische Selbstverleugnung sehen will, übersieht er, so bewegend sein Narrativ eines verspäteten Joshuas aus sein mag, dass eben dies auch eine Chance psychoanalytischer Erkenntnis birgt: Nicht eine blinde Anpassung an die Gesetze der Kultur, sondern eine Wahl, wo man in Wirklichkeit der Notwendigkeit gehorcht. Eine Wieder-Erinnerung an Freud könnte somit auch heißen darauf hinzuweisen, dass es dem assimilierten Wiener Juden darum ging, auf das Unbewusste zu achten und sich deshalb immer auch die Kosten vor Augen zu halten, die eine notwendige Anpassung an Gesetze fordert. Das Begehren muss mit den Anforderungen der Kultur stets neu verhandelt werden; als bewusst gewordener Widerstreit zwischen dem Verlangen nach Aufbegehren und der Notwendigkeit der Assimilation. In diesem Schwindel erkennt man, für jene Entscheidungen Verantwortung zu übernehmen, die man nicht einfach nicht fällen kann. Freiheit liegt eben darin, bewusst zu wählen, wo man keine eigentliche Wahl hat. Die Frage des Glücks oder des Unglücks hingegen entscheidet sich darin, ob man erkennt, dass niemand einem diese Entscheidung abnehmen kann.