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Protomartyr-Album "Ultimate Success Today“
Das Schöne im Hässlichen

Die Band Protomartyr kombiniert schlecht gelaunten Stoizismus mit angezerrten Gitarren und wildem Punkethos. Auch auf ihren neuen Album “Ultimate Success Today” herrscht pessimistische Stimmung - dabei würde Sänger Joe Casey so gerne fröhliche Songs schreiben.

Von Anke Behlert | 02.08.2020
    Vier Männer sitzen unter drei leuchtenden grünen Lampen an einem mit Folie bedeckten Spieltisch.
    Alex Leonard, Joe Casey, Scott Davidson, Greg Ahee (v.l.n.r.) (Trevor Naud)
    Joe Casey: "Ich habe schon oft versucht, einen Song wie Thin Lizzy zu schreiben. Einige ihrer besten Stücke sind albern und lustig. Und unser Song "Processed by the boys" ist wie eine Fortsetzung von "The boys are back in town". Was machen die Jungs, wenn sie zurück in der Stadt sind? Sie werden Polizisten. Ich erzähle schon seit Jahren, dass das nächste Album fröhlich klingt. Aber ich glaube das wird einfach nicht passieren."
    ...sagt Protomartyr-Sänger Joe Casey halb amüsiert, halb resigniert. Der 43-Jährige ist eben einfach nicht der Typ für frivol-alberne Songs und überhaupt: Ein gut gelauntes Protomartyr-Album ist nur schwer vorstellbar. Der Song "Processed by the boys" handelt von Krankheit und Polizeigewalt und ist mit röhrenden Stakkato-Gitarren und dem aggressiv-anklagenden Sprechgesang Caseys durchaus repräsentativ für den Sound ihres neuen Albums "Ultimate Success Today".
    Musik: "Processed by the boys"
    2008 haben Protomartyr unter dem Namen Butt Babies als Duo angefangen. Sänger Casey schloss sich mit Gitarrist Greg Ahee und Drummer Alex Leonard zusammen und als Bassist Scott Davidson schließlich hinzukam, änderten sie ihren Namen zu Protomartyr. 2012 erschien das Debütalbum "No Passion All Technique", ein wütender 30-Minuten-Ausbruch, der nichts als verbrannte Erde hinterlässt. Man hört ihnen an, dass sie aus Detroit kommen, einer der gefährlichsten Städte der USA mit enormen wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Kein Wunder also, dass auch ihre Musik "No-Future"-Haltung ausdrückt.
    "Wir haben uns damals keine Gedanken über die Zukunft gemacht, als Garage-Band aus Detroit machst du keinen Fünf-Jahres-Plan. Wir wollten Songs aufnehmen und auf Tour gehen, mal aus Michigan rauskommen. Als Band hast du sowieso keine Zukunft, auch wenn es gerade gut läuft. Es ist also besser sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Das habe ich bei unserem ersten Album gemacht und diese Direktheit gefällt mir. So ein Gefühl wollte ich auch auf dem neuen Album einfangen."
    Musik: "I am you now"
    Direkt und unmittelbar ist die Musik auf "Ultimate Success Today" in jeden Fall. Zickige Gitarrenriffs schickanieren das rumpelnd-stoische Schlagzeug. Darüber thront der immer irgendwie angefressene Bariton von Joe Casey. Seine hörenswerten, sarkastisch-trockenen Texte drohen manchmal in der Wall-of-Noise zu verschwinden, aber das ist natürlich so gewollt. Auf dem ersten Album hatten einige der Songs gar keinen richtigen Text, erzählt er.
    "Als wir damals live gespielt haben oder auch im Proberaum habe ich mich ohnehin nicht gehört und fand deshalb auch, dass Texte nicht so wichtig sind. Manchmal habe ich einfach nur irgendwelche Geräusche gemacht oder gesungen, was mir gerade eingefallen ist. Mir waren die Emotionen dahinter wichtiger als der eigentliche Text. Bei dem Song "Tranquilizer" auf unserem neuen Album wollte ich das wieder so machen."
    Musik: "Tranquilizer"
    Die Musik kommt bei Protomartyr immer zuerst: Dieses Mal haben sie sich auch einige Jazzmusiker ins Studio geholt, darunter Jemeel Moondoc am Altsaxofon und Izaak Mills an der Bassklarinette.
    "Das mochte ich schon immer an Postpunk, man kann alle möglichen interessanten Einflüsse dazunehmen, ohne dass es sich zu gewollt anhört. Unser Gitarrist Greg ist großer Jazzfan und sucht immer nach neuen Wegen, sein Instrument zu spielen. Es war eine interessante Herausforderung für ihn. Und natürlich muss die Musik gut sein, damit jemand wie Jemeel Moondog mit dir zusammenarbeitet. Das war also ziemlich aufregend für uns."
    Musik: "Day without end"
    In Caseys Texten ist herrscht Dunkelheit, es geht um Angst, Einsamkeit und Tod. Das letzte Stück "Worm in heaven" mit seinen ächzenden Holzbläsern ist buchstäblich ein Abschiedssong.
    "Als Kind habe ich viel darüber nachgedacht, was passiert, nachdem ich gestorben bin. Ich dachte, ich komme in den Himmel und dort bin ich für immer. Später habe ich gedacht, dass es im Himmel vermutlich die gleiche Hierarchie gibt, wie auf der Erde. Und wenn ich dorthin komme, dann wahrscheinlich als Wurm. Letztes Jahr habe ich mich zeitweise ziemlich krank gefühlt. Es war nichts ernstes, wohl nur eine Midlife-Crisis. Aber ich habe dann lieber gleich meinen Abschiedssong geschrieben, anstatt zu warten bis es mir wirklich schlecht geht. Der kann dann auch auf meiner Beerdigung gespielt werden."
    Musik: "Worm in heaven"
    Mit düster-dynamischen, dicht arrangierten Songs und dringlichem Gesang finden Protomartyr auf "Ultimate Success Today" mal wieder das Schöne im Hässlichen. Jedes ihrer Alben hat sich bislang angefühlt wie ein finales Aufbäumen, so auch dieses. Hoffen wir, dass es nicht das letzte war.