Freitag, 29. März 2024

Archiv


Prousts Madeleine

Als Jonah Lehrer studierte, hörte er im neurowissenschaftlichen Labor zum ersten Mal von "Swanns Welt" - und war fasziniert. Er begann Marcel Proust zu lesen - und zu seiner Überraschung erkannte er, dass in Marcel Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit" viele der Erkenntnisse steckten, die er mit Hilfe der Wissenschaft zu gewinnen suchte. Jonah Lehrer war begeistert und begann, seine Lieblingskünstler daraufhin zu analysieren, was ihre Arbeit darüber erzählt, wie unser Gehirn aus unseren Wahrnehmungen heraus ein Modell von der Welt erschafft.

Von Dagmar Röhrlich | 25.04.2010
    Er wählte den US-Amerikaner Walt Whitman, dem es in seiner Dichtung um die Einheit von Körper und Geist gegangen war. Die britische Schriftstellerin George Eliot, die sich mit der Frage nach der Freiheit des Menschen beschäftigte. In einem anderen Kapitel erklärt Lehrer, dass Gertrude Stein die Arbeit des Linguisten Noam Chomsky vorweggenommen hat, der sich mit der Fähigkeit des Menschen Sprachen zu erlernen beschäftigt hat. Und dass Paul Cézanne, der in seiner Kunst der Frage nachging, wie wir sehen, die Versuche der Nobelpreisträger David Hubel und Torsten Weisel vorweg genommen hat.

    Auf der Suche nach der Funktion des Gehirns stützt sich Lehrer auf die Einsichten, die acht verschiedene Künstler über die menschliche Natur gewonnen haben - und nicht auf die übliche Ebene der neurowissenschaftlichen Experimente, die nur kurz angerissen werden und der Bestätigung des Geschriebenen dienen. Und es ist Marcel Proust, der ihm anscheinend am meisten am Herzen liegt. Proust wusste, dass Geruch und Geschmack intensive Erinnerungen wachrufen können - ein Zusammenhang, den die Psychologin Rachel Herz zu Beginn des 21. Jahrhunderts wissenschaftlich belegt hat. Proust wusste auch, dass die Erinnerung vom Moment abhängt und von der Stimmung, in der sich der Mensch befindet, der sich gerade erinnert. Dass unsere Erinnerung veränderlich sind.

    In "Prousts Madeleine" spürt Jonah Lehrer Sinneswahrnehmungen nach, wie aus ihnen Wissen wird, wie wir uns an sie erinnern. Die Künstler, die er vorführt, machen das geheime Funktionieren des Gehirns durch Nachdenken und Beobachtung erfahrbar, die Forscher, deren Arbeit nur kurz angerissen wird, spüren ihm nach den Regeln der Naturwissenschaften nach. Die Welt der Kunst steht im Zentrum. Die Idee hinter "Prousts Madeleine" ist nicht neu, aber das Buch ist amüsant geschrieben, genau das Richtige für einen Urlaub, um nach einem guten Buch, einem Besuch im Museum oder einem guten Restaurant den Tag noch einmal in einen anderen Licht zu durchleben.


    Jonah Lehrer: Prousts Madeleine. Hirnforschung für Kreative
    ISBN 978-3-492-05182-8
    Piper-Verlag, 302 Seiten, 21,95 Euro