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Provinz und Osten wieder nicht vertreten

Yvonne Büdenhölzer, die neue Festivalleiterin beim Berliner Theatertreffen, verkündet das dieses Mal Neuzugänge und Extrempositionen das Treffen prägen würden. Kulturjournalist Hartmut Krug kritisiert dass "einerseits die Jury zwar unheimlich gereist sein muss, aber dann doch wieder bei den großen Bühnen gelandet ist."

Hartmut Krug im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 17.02.2012
    Doris Schäfer-Noske: Als höchste Auszeichnung für deutschsprachige Schriftsteller gilt der Büchnerpreis. Für Theatermacher wird in Deutschland der Deutsche Theaterpreis "Der Faust" vergeben. Besonders freuen sich die Bühnen aber auch über eine Einladung nach Berlin, denn die zehn bemerkenswertesten deutschsprachigen Inszenierungen dürfen jedes Jahr zum Berliner Theatertreffen kommen. Heute wurde nun bekannt gegeben, welche Inszenierungen diesmal im Mai nach Berlin eingeladen sind. Und dazu sagte die neue Festivalleiterin, Yvonne Büdenhölzer, es werde ein Theatertreffen der Neuzugänge und Extrempositionen.

    - Frage an meinen Kollegen Hartmut Krug: Herr Krug, welche Neuzugänge und Extrempositionen finden sich denn in der Auswahl?

    Hartmut Krug: Na ja, es sind nicht die üblichen Verdächtigen zwischen Kriegenburg und Thalheimer, aber es sind auch keine wirklichen Überraschungen. Also die Neuzugänge sind im Bereich der freien Gruppen, wie im letzten Jahr She She Pop hat man jetzt Cop Squad eingeladen. Man hat eingeladen eine Gruppe vom Milo Rau, die "Hate Radio" zeigt über den Völkermord an den Tutsi. Und andere Neuzugänge sind dann das Theater Bonn mit einer Inszenierung von Lukas Langhoff, aber das ist es dann eigentlich. Nein, ich muss noch sagen, etwas ganz Besonderes ist natürlich John Gabriel Borkman von Henrik Ibsen in der Regie von Vegard Vinge und Ida Müller. Das ist eine Koproduktion zwischen der Volksbühne und dem Nordwind-Festival.

    Und was das Besondere für mich an all diesen Inszenierungen ist, dass sie durchaus strittig waren in der Rezeption, sowohl in der Kritik wie auch bei dem Publikum, aber dass man dieses Mal eine Auswahl erfährt, die die unterschiedlichsten ästhetischen und theatralischen Positionen umfasst.

    Und das finde ich eine sehr große Qualität, auch wenn ich sicherlich an der ein oder anderen Inszenierung etwas auszusetzen hätte. Bemerkenswert in der Art, wie sie ihr Thema und ihre Ästhetik in den Griff zu bekommen suchen und wie sie das Publikum fordern und auch sehr spalten, sind diese Inszenierungen allemal.

    Schäfer-Noske: Die Volksbühne ist gleich drei Mal nominiert, ist also zurück – womit hängt das zusammen?

    Krug: Also, sicherlich nicht mit dem Leiter der Volksbühne, nicht mit Frank Castorf, der ist nicht ausgewählt. Das hat ein bisschen was zu tun, denke ich mal, dass an den Rändern der Volksbühne sehr viel probiert wird in den kleinen Räumen, aber auch damit, dass die Volksbühne sich ihren ehemaligen Schauspieler Herbert Fritsch dann eingekauft hat, der als Regisseur im letzten Jahr schon zwei Mal beim Theatertreffen war. Und der hat jetzt auch wieder einen Schwank diesmal, "Die spanische Fliege" von Franz Arnold und Ernst Bach, inszeniert. Das ist für mich, würde ich sagen, ja etwas eine Enttäuschung, dass sie zum Theatertreffen eingeladen worden ist, weil bemerkenswert ist nicht, dass er eine Methode, die er in seinen ersten Inszenierungen gefunden hat, jetzt auch an der Volksbühne vorzeigt. Und das ist eher ein schwächerer, wenn auch unterhaltsamer Abend.

    Und es liegt auch daran, dass man dieser Truppe vom Nordwind-Festival Platz gegeben hat. Und das ist nun eine Inszenierung, John Gabriel Borkman, da sieht man aber Avatare, die Schauspieler eigentlich nicht als richtige Schauspieler, sondern als Avatare in einer Pappmaschee-Landschaft. Und das ist ein so wüstes, fast über zehn Stunden langes Spektakel. Das hat die Berliner "Bild"-Zeitung auf ihre Schlagzeile gebracht und nennt das "elf Stunden Ekel, Sex, Blut und Massaker". Also, das ist eine Auseinandersetzung mit Realität auf der Bühne, mit der Frage, wie kann man Realität zeigen, was ist überhaupt Realität und einer Auseinandersetzung mit dem Stück, das genauso wie die Bühne ziemlich zerlegt wird.

    Schäfer-Noske: Karin Beier und das Kölner Schauspiel sind diesmal leer ausgegangen, woran lag das?

    Krug: Ja, das kann man nur vermuten. Also, wenn ich gucke auf das, was in diesem Jahr Karin Beier gezeigt hat, also auch ihr Kölner Schauspiel, sind da sehr viele respektable Inszenierungen, aber keine Inszenierung, die so bemerkenswert ist, dass sie aus dem Perfekten, Üblichen herausstößt.

    Schäfer-Noske: Gab es denn sonst Versäumnisse, also großartige Inszenierungen, die nicht eingeladen worden sind?

    Krug: Also, mir fehlt wirklich Leipzig und Sebastian Hartmanns improvisatorischer Versuch, mit den Schauspielern wirklich nicht fest vorgelegte Rollen zu spielen, sondern zu improvisieren, selbst bei Klassikern, selbst bei "Fanny und Alexander" nach Bergman.

    Ansonsten ist für mich auch ein ganz klein wenig enttäuschend, dass einerseits die Jury zwar unheimlich gereist sein muss, denn sie sagt, sie hat rund 430 Inszenierungen sich angeschaut, aber dann doch wieder bei den großen Bühnen gelandet ist. Wenn wir nicht Hebbel am Ufer, was mit zwei Produktionen vertreten ist, dazuzählen, aber dann Salzburg, zwei Mal München, dreimal Berliner Kammerspiele, einmal Theater Bonn, mit einem "Volksfeind" von Lukas Langhoff inszeniert, der sehr schön so eigentlich 80 Jahre deutsch-deutsche Befindlichkeiten – wenn man 80 Jahre dazu sagen könnte – durchdekliniert und den Volksfeind als einen Mann mit migrantischem Hintergrund zeigt.

    Aber es ist wirklich – die Provinz und auch der Osten sind wieder nicht vertreten. Das will ich jetzt gar nicht rechten, ob da so starke Positionen waren, aber ein wenig enttäuschend ist das schon.

    Schäfer-Noske: Hartmut Krug war das über die Auswahl der Jury für das Theatertreffen in Berlin.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.